28.06.2016

Schwingende Schwingen

Aeroelastische Eigenschaften laminarer Flugzeugprofile im Teststand.

In der Luftfahrt ist der Einfluss der Luftströmung auf die Flugzeug­strukturen von entscheidender Wichtigkeit. Die dabei auftretenden Phänomene untersucht die Aeroelastik. Je besser ein Flugzeug­flügel umströmt wird, desto weniger Treibstoff verbraucht das Flugzeug – und umso mehr kann es transportieren. Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) erforschen deshalb erstmals, wie sich laminare Strömung auf die aero­elastische Stabilität eines beweglichen Flügel­profils auswirkt. Dazu untersuchen sie ein entsprechendes Flügel­modell im minus 173 Grad Celsius kalten kryogenen Wind­kanal in Köln.

Abb.: Laminares Flügelprofil im kryogenen Windkanal Köln (Bild: DLR)

Bis 2050 sollen die von Flugzeugen verursachten Kohlen­dioxid-Emissionen im Vergleich zum Jahr 2000 um 75 Prozent und die Stickoxid-Emissionen um 90 Prozent sinken. So sieht es das europäische Strategie­papier „Flightpath 2050” vor. Um diese Vorgaben einzuhalten, werden einzelne Komponenten von Flugzeugen ständig optimiert. Dank der hohen Lebens­zeit von Flugzeugen lohnen sich selbst diese kleinsten Verbesserungen noch. Doch während konventionelle Optimierungen den Treibstoff­verbrauch oft nur um Tausendstel Prozent drücken, schätzen Experten das durch laminare Flügel­strukturen zu erreichende Potential auf etwa zwanzig Prozent.

Je gleichmäßiger die Strömung verläuft, desto geringer ist der Widerstand, gegen den das Flugzeug anfliegen muss. Eine gleich­mäßige, laminare Strömung hat Vorteile gegenüber einer ungeordneten, turbulenten Luft­bewegung mit großem Widerstand. Oberfläche und Form der Flügel beeinflussen dabei das Umströmungs­verhalten: Die Luft fließt mit geringstem Widerstand eng anliegend und gleichmäßig, also laminar, über den Flügel. Bei normalen Flügeln kommt es bereits an der Vorderkante zu Verwirbelungen, die den Auftrieb beeinträchtigen. Ein geringerer Luft­wider­stand reduziert den Treibstoff­verbrauch, die Emission von Schad­stoffen und spart Energie­kosten.

Die Idee von laminaren Flügeln ist nicht neu. Segel­flugzeuge nutzen sie bereits. Die Technik auf Strukturen von modernen Passagier­flugzeugen zu übertragen ist jedoch technologisch deutlich anspruchs­voller. Grund sind die hohen Anforderungen an Flug­geschwindigkeiten und System­zuverlässigkeit. Auch das Schwingungs­verhalten der Flugzeug­flügel wird durch die laminare Umströmung maßgeblich beeinflusst – wie genau, ist aber bislang noch nicht in der Luft erforscht. Die neuen, laminaren Flügel­strukturen können unvorher­gesehene Wechsel­wirkungen mit der umströmenden Luft eingehen und anders als herkömmliche Flugzeug­flügel schwingen. Um einen sicheren Betrieb dieser neuen Technologie zu ermöglichen, erforschen die Wissenschaftler des DLR-Instituts für Aeroelastik aus Göttingen deshalb zunächst in verschiedenen Windkanal-Versuchen mit einem zwei-dimensionalen laminaren Flügelprofil, wie sich die beobachteten Effekte einer typischen laminaren Umströmung sicher auf einen Flugzeug­flügel übertragen lassen.

In einem ersten Schritt haben die Forscher das Modell dafür im Trans­sonischen Windkanal Göttingen unter Flug­bedingungen simuliert, die in der Nähe der Schall­geschwindig­keit liegen. Mit diesen Messungen lassen sich überhaupt erst numerische Werkzeuge für die Vorhersage des laminaren Strömungs­verhaltens entwickeln und prüfen. Im nächsten Schritt wurde das Flügel­profil im kryogenen Wind­kanal in Köln realistischen Reynolds-Zahlen ausgesetzt. Diese geben Auskunft darüber, wie gut die Luft über ein Profil strömt und wann der Übergang von laminaren zu turbulenten Luftströmen auftritt. Dafür wurde der Windkanal mit Stickstoff geflutet und auf eisige minus 173 Grad heruntergekühlt. Die kalte, zäh gemachte Luft umströmt den Flügel­quer­schnitt; Sensoren messen wie sich der Druck verteilt und welche Schwingungen auftreten.

„Ohne die beiden Kenngrößen Geschwindigkeit und Reynolds-Zahl können wir keine verlässlichen Aussagen über die aero­elastische Stabilität des Flügel­profils treffen", erklärt Holger Mai, vom DLR-Institut für Aero­elastik. „Durch die verschiedenen Windkanal-Versuche können wir die Effekte der laminaren Strömung sehr sauber beobachten und von anderen störenden Effekten trennen."

In einem letzten Schritt soll das Flügelmodell auf realistische Flug­tauglich­keit geprüft werden: Der „European Transonic Windtunnel" (ETW) vereint beide Vorteile der bisherigen Windkanäle. In ihm lassen sich sowohl realistische Geschwindigkeiten als auch realistische Reynolds-Zahlen produzieren. Durch die Kombination beider Effekte lassen sich echte Flugzeug­konfigurationen testen und die erstellten numerischen Modelle validieren. Nach Abschluss dieses Schrittes werden die Ergebnisse ausgewertet. „Dann können wir eine Aussage treffen, ob laminare Flügel­strukturen tatsächlich anders schwingen als herkömmliche", erklärt Mai. Das DLR-Projekt ALLEGRA verfolgt die Weiter­entwicklung von numerischen Verfahren zu einem robusten Werkzeug zur Überwachung der aeroelastischen Stabilität in Windkanal­versuchen. Die Projekt­leitung liegt beim DLR-Institut für Aeroelastik in Göttingen.

DLR / DE

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