01.02.2023

Schwingungsmoden in Membranblasen

Thermische Bewegungen eines Bakteriums beeinflussen Schwingungen einer Zellmembran.

Wie und mit welchen Aufwand gelangt ein Bakterium — oder ein Virus — in eine Zelle und verursacht eine Infektion? Zur Beantwortung dieser Frage haben Freiburger Forschende nun einen wichtigen Beitrag geleistet: Ein Team um den Physiker Alexander Rohrbach und seine Kollegin Yareni Ayala konnte zeigen, wie thermische Bewegungen eines Modell­bakteriums und Membran-Schwingungs­moden einer Modellzelle beeinflussen, mit welcher Energie die Modell­bakterien andocken und in die Membran eindringen.

Abb.: Eine optische Pinzette bringt ein thermisch fluk­tuierendes Partikel mit...
Abb.: Eine optische Pinzette bringt ein thermisch fluk­tuierendes Partikel mit einer Membran­blase in Kontakt. (Bild. AG. Rohrbach, U. Freiburg)

„Um zu verstehen, wie ein Bakterium oder Virus in eine Zelle eindringt, kann man sich ein klebriges Bonbon auf einem schlaffen, wabbeligen Luftballon vorstellen. Wenn ein Kind den Gummi-Luftballon herum schüttelt, verklebt sich das Bonbon noch mehr in seiner Oberfläche“, sagt Rohrbach vom Institut für Mikrosystem­technik der Universität Freiburg. In seinem Labor bauten die Laser- und Biophysiker ein vergleich­bares Experiment auf, um die Physik von Infektions­vorgängen zu studieren. Der wabbelige Luftballon entspricht hierbei einem Riesen-Membran­vesikel, das als eine biologische Modellzelle dient. Die Membranblase hat etwa einen Durchmesser von zwanzig Mikrometern. Das klebrige Bonbon entspricht hier einem ein Mikrometer kleinen, runden Partikel, das als Modell-Bakterium dient und in Kontakt mit der Membran gebracht wird. Dabei hilft den Forschenden eine Laser-Pinzette, mit der man das Partikel über Lichtkräfte nicht nur einfängt und festhält, sondern kontrolliert in kleinen Schritten der Membran nähert, diese kontaktiert und sogar deformiert, bis das Partikel in die Membran­blase hinein­schlüpft. 

Per optischer Pinzette und Laserlicht­streuung lassen sich nicht nur die notwendigen Kräfte und Energien messen, sondern auch die thermischen Bewegungen des Partikels, die für seine Aufnahme notwendig sind Diese wiederum entsprechen im obigen Beispiel dem Schütteln des Luftballons. Die Membranblase und das Partikel befinden sich während des Experiments in wässriger Lösung bei Raumtemperatur. Die Wasser­moleküle schießen in der Flüssigkeit in alle Richtungen, stoßen an das Partikel und lassen es eine charak­teristische Zitter­bewegung durchführen, die man Brownsche Molekular­bewegung oder auch thermische Fluktuationen nennt.

Zur gleichen Zeit regen die hoch­dynamischen Wassermoleküle die Membranblase zu Schwingungen mit verschiedenen Ampli­tuden und Wellenlängen an, welche völlig unabhängig voneinander entstehen und wieder gedämpft werden. „Wir gehen davon aus“, so Rohrbach, „dass auch Plasma­membranen von lebenden Zellen in unserem Körper ähnliche überdämpfte Schwingungen durchführen und mit den sich thermisch bewegenden Bakterien wechselwirken, was unter Umständen dann zu einer Partikel­aufnahme und Infektion der Zelle führt“.

Wie stark sich ein Bonbon in einen wabbligen Luftballon einwickelt, hängt von der Klebrigkeit des Bonbons ab und vom Zustand des Ballongummis. Vergleichbar hat eine Zellmembran zahlreiche Rezeptoren, die spezifisch an Liganden beispielsweise von heran­nahenden Bakterien binden. Hier konnten die Freiburger Physiker in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgruppe von Winfried Römer sowohl die Membranen der Modellzelle verändern, als auch die Beschichtung der Modell­bakterien variieren, um den Einfluss der thermischen Fluk­tuationen bei verschiedenen Adhäsions­kräften zu studieren. 

„Am Anfang waren wir etwas enttäuscht“, gibt Rohrbach zu, „da die Fluktuationsdaten des Partikels in der Laserfalle sich für verschiedene Abstände zur Membran oder bei verschiedenen Membranen kaum sichtbar unterschieden haben.“ Und das, obwohl die Forschenden Signale in Mikrosekunden­takt aufgenommen haben und damit kleinste Bewegungs­änderungen des Partikels aufzeichnen konnten. Erst als sie die Daten anders analysierten, stellten sich plötzlich signifikante Unterschiede in den Bewegungs­mustern heraus, die mithilfe von mathematischen Methoden und Computer­simulationen analysiert wurden.

In den mathematischen Modellen spielt die Überlagerung von vielen Schwingungsmoden eine entscheidende Rolle. Erhöht man die Spannung der Membranblase durch mehr Innendruck oder eine andere chemische Komposition der Membran­moleküle, so schwingt die Blase im Mittel in höheren Moden. Kommt nun das Bakterium in Kontakt mit der Membranblase, so werden zunehmend Grund­schwingungen unterdrückt und nur Moden mit höherer Frequenz überleben. Da nun jeder Schwingungsmode der Membranblase eine eigene Dämpfung oder Reibung hat, lässt sich hieraus über Computer­simulationen die summierte Dämpfung und Amplitude aller überlebenden Moden abschätzen.

Sowohl die Messungen als auch die Computer­simulationen zeigten, dass die notwendige Energie zur Membranverformung durch das Partikel bis zu seiner kompletten Aufnahme ins Innere der Membranblase stark mit der Steifigkeit und vor allem der Dämpfung der Membran­bewegungen skaliert. Durch diese mathematischen Modelle und die Bewegungs­messungen mit einer Million Partikel­positionen pro Sekunde lässt sich beispielsweise bestätigen, warum Bakterien mit bestimmten Proteinen auf ihrer Oberfläche leichter an Zellen mit bestimmten Membran­rezeptoren binden. Vor allem kann man damit aber erklären, inwiefern durch eine stärker fluktuierende und weniger gedämpfte Membran die Energie­kosten sinken und damit die Wahrschein­lichkeit steigt, dass das Bakterium aufgenommen wird, was einem erhöhten Infektions­risiko der Zelle entspricht.

U. Freiburg / JOL

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