27.04.2016

Sechseckige Wassermoleküle

Tunneleffekte sorgen für einen neu­artigen Zu­stand von Wasser.

Wasser ist die Grundlage aller uns bekannten Lebens­formen. Das verdankt sich den unge­wöhn­lichen und viel­fältigen Eigen­schaften, die dieses eigent­lich simple Molekül besitzt. Besonders bedeutend hierbei sind die räum­liche Asym­metrie und die dadurch bedingte elek­trische Pola­rität, auf­grund derer Wasser hervor­ragende Eigen­schaften als Lösungs­mittel besitzt. Der Grund hierfür liegt darin, dass einer­seits das Sauer­stoff­atom etwas negativ geladen ist, während anderer­seits die beiden Protonen leicht positive Ladung auf­weisen und sich beide auf einer Seite vom Sauer­stoff befinden.

Abb.: Im hexagonalen Kristallgitter von Beryll (durch grüne Striche an­ge­deutet) lassen sich einzelne Wasser­mole­küle ein­sperren. Durch Tunnel­effekte ver­teilen sich die Protonen (hell­blau) sym­me­trisch. Rechts die theo­re­tisch zu er­war­tende Wellen­funktion. (Bild: A. I. Kolesnikov et al.)

Wenn sich diese Konfiguration ändern ließe, müsste auch das elek­trische Dipol­moment ver­schwinden. Nun war bisher zwar aus ver­schiedenen Studien zu atomarem Wasser­stoff in Metallen oder von Methyl- und Ammoniak-Gruppen bekannt, dass quanten­mechanische Tunnel­effekte durch­aus Protonen betreffen können. Dabei verschieben sich etwa durch Super­positionen zwischen verschie­denen Rotations­zuständen die Energie­niveaus. Die Form der Moleküle blieb hierbei aber stets erhalten. Wie Messungen an Beryll mit Hilfe von Tera­hertz-Strahlung in den letzten Jahren ergaben, scheinen Wasser­moleküle in diesem Kristall­gitter eine unge­wöhn­liche Auf­splittung ihrer Energie­niveaus zu erfahren. Das deutete darauf hin, dass die Wasser­moleküle dort zwischen verschie­denen Zuständen wechseln können. Ein Team von Wissen­schaftlern um Alexander Kolesnikov vom Oak Ridge National Labora­tory in Tennessee ist diesem Phänomen jetzt mittels Neutronen­streu-Experi­menten nach­gegangen. Dabei fanden die Forscher sogar einen neu­artigen Zustand von Wasser.

Neutronenstreu-Experimente eignen sich besonders gut zur Auf­klärung solcher Fragen, weil sie einer­seits empfindlich für Tunnel­effekte und Vibrations­moden sind und anderer­seits Neutronen einen großen Wirkungs­quer­schnitt mit Protium besitzen. Die Forscher testeten ihre Proben sowohl mit nieder­energe­tischen Neutronen im Milli­elektronen­volt-Bereich an der Spallation Neutron Source in Oak Ridge als auch mit höher­energe­tischen Neutronen am ISIS-Neutronen­labor des Ruther­ford Appleton Labora­tory in Oxford.

Wie die Wissenschaftler überrascht feststellten, wiesen sowohl die Mess­daten als auch ab-initio-Rechnungen auf eine hexa­gonale Struktur der Wasser­moleküle im Beryll hin. In den engen, sechs­eckigen Poren des Kristalls ist nur wenig Platz: Die kanal­artigen Hohl­räume in Beryll messen nur rund fünf Ångström. Mit einem einzigen Wasser­molekül sind sie bereits voll­ständig belegt. Durch die hexa­gonale Symmetrie des Kristall­gitters koppeln auch die Protonen der Wasser­moleküle mit dieser Symmetrie an die Gitterschwingungen, wie Dichtefunktional-Rechnungen zeigten. Damit ergibt sich letztendlich eine blütenähnliche Struktur der Protonen­verteilung, bei der sich je zwei nah bei­ein­ander liegende Protonen sechs­fach rotations­symmetrisch um das zentrale Sauer­stoff­atom tummeln. „Wir können dies als tunnelndes Wasser bezeichnen, bei dem sich die deloka­li­sierten Protonen über alle möglichen Posi­tionen in den Kanälen des Berylls verteilen”, sagt Kolesnikov.

Aufgrund der Symmetrie kann dieses Molekül auch kein Dipol­moment mehr besitzen. Um auszu­schließen, dass es sich bei den gemessenen Neutronen­verteilungen um ver­fälschende Vibrations­moden handeln könnte, nahmen die Wissen­schaftler die Spektren auch bei verschie­denen Tempe­ra­turen auf. Bei einer Temperatur­erhöhung von fünf auf fünfzig Kelvin verrin­gerten sich die Spitzen der Spektren. Das ist ein gutes Indiz für den Tunnel­effekt, denn Vibrations­über­gänge zeigen entgegen­gesetztes Verhalten. Ein weiteres Indiz war die mittlere kine­tische Energie der Protonen. Im Beryll war sie rund dreißig Prozent geringer als in flüssigem oder gefrorenem Wasser. Nach der Unschärfe­relation weist das darauf hin, dass die Protonen räumlich weniger ein­ge­engt sind, da sie sich auf­grund des Tunnel­effekts an sechs Orten zu­gleich auf­halten können.

In Zukunft wollen die Forscher diesen sonder­baren Effekt auch mit Deuterium unter­suchen. Der Effekt nimmt wegen der höheren Masse zwar deut­lich ab: Auf­grund der exponen­tiellen Abhän­gig­keit erwarten die Forscher eine rund zehn­fach schwächere Auf­spaltung. Hinzu kommt der schlechtere Neutronen-Wirkungs­quer­schnitt von Deuterium im Vergleich zu Protium, so dass die Forscher nur rund ein Zwanzig­stel des Effekts werden messen können. Das sollte aber noch im Bereich des Möglichen liegen. Man müsste hierzu nur Beryll unter Vakuum stark erhitzen, um das Wasser auszu­kochen, und das Mineral dann in eine Deuterium-Atmo­sphäre bringen. Beryll, zu dessen Mineral­gruppe unter anderem auch Smaragde gehören, lässt sich aber auch einfach nur mit Wasser­stoff befüllen. Auch hier sollten Tunnel­effekte auf­treten.

Dirk Eidemüller

RK

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