06.06.2019

Sedimente als Schmiermittel

Neues geophysikalisches Modell: Erosion beeinflusste maßgeblich die Prozesse der Plattentektonik.

Die Platten­tektonik formt die Oberfläche der Erde und macht sie einzigartig unter den Planeten im Sonnensystem. Wie die Kontinental­drift jedoch entstand und welche Faktoren ihre Entwicklung beeinflusst haben, ist bislang umstritten. Stephan V. Sobolev vom Deutschen Geoforschungs­zentrum GFZ sowie Michael Brown von der University of Maryland gehen nun neue Wege bei der Lösung dieses Rätsels. Sie schlagen vor, dass die natürliche Schmierung durch Ablagerungen, die aus Erosionen der Erdoberfläche stammen, entscheidend dafür waren, dass die Platten­tektonik in Gang gesetzt wurde und weiter fortlief.

Abb.: Enorme Erosions­prozesse, die nach einer neuen Hypothese wesentlich zur...
Abb.: Enorme Erosions­prozesse, die nach einer neuen Hypothese wesentlich zur Verschiebung der Kontinente beigetragen haben, prägen die Landschaft rund um den Grand Canyon. (Bild: M. Justin Wilkinson, Jacobs / NASA-JSC)

Seit den 1960er Jahren ist bekannt, dass die Platten­tektonik durch die tiefe Mantel­konvektion angetrieben wird, ein Prozess, der die heißere und kältere Materie in der Erde nach den Gesetzen der Thermo­dynamik verrührt. Daher sollte die Platten­tektonik nach gängigem Verständnis nur von Prozessen in der tiefen Erde abhängen. Ein wahrscheinlicher kontrol­lierender Faktor in diesem Prozess war demnach die Abkühlung des Erdmantels. Stephan V. Sobolev und Michael Brown erkennen an, dass dieser Prozess wichtig ist, legen aber nahe, dass Erosions­ereignisse an der Erdoberfläche für die Entwicklung der Platten­tektonik mindestens ebenso wichtig waren. „Unsere Hypothese ist kontraintuitiv“, erklärt Stephan V. Sobolev vom GFZ. „Das war das Hauptproblem für uns und wir erwarten, dass es das Hauptproblem für die Wissenschafts­community dabei sein wird, unsere Ideen zu akzeptieren.“

Auf der Grundlage geo­dynamischer Model­lierungen schlagen Sobolev und Brown eine Erklärung vor, nach der die Entstehung und Fortentwicklung der Platten­tektonik auf der Erde durch den Anstieg der Kontinente über den Meeres­spiegel und die folgenden großen Erosions­ereignisse an der Oberfläche kontrolliert wurden. Bei Erosions­prozessen entstehen kontinentale Sedimente, die als Schmiermittel der Subduktion dienen – einem Schlüssel­prozess der Platten­tektonik. Wie Motoröl, das die Reibung zwischen den beweglichen Teilen eines Motors verringert, reduzieren konti­nentale Sedimente die Reibung zwischen der subduzierenden oder abtauchenden Platte und der überfahrenden Platte, so Sobolev und Brown.

Die Forscher testeten ihre Hypothese mithilfe bereits veröffent­lichter geologischer und geochemischer Daten. Diese Daten zeigen, dass die ersten eindeutigen Beweise für die Platten­tektonik von vor 2,5 bis drei Milliarden Jahren stammen. In jener Zeit stiegen auch die Kontinente der Erde über den Meeresspiegel und die ersten großen Verglet­scherungen fanden auf dem Planeten statt. Der erste Superkontinent in der Erdgeschichte namens Columbia fügte sich vor etwa 2,2 bis 1,8 Milliarden Jahren zusammen, nach der globalen Vergletscherung und einem großen Erosions­ereignis an der Oberfläche.

Später dann folgte das größte Oberflächen­erosionsereignis in der Erdgeschichte nach den globalen „Schneeball-Erde“ –Verglet­scherungen vor 700 bis 600 Millionen Jahren. Es erzeugte eine berühmte globale geologische Lücke namens „Great Unconformity“. Der Begriff bezeichnet in der Geologie das winkelige oder unregelmäßige Aufeinanderliegen von Gesteins­schichten, deren Alter stark auseinander­klafft. Die riesige Menge an konti­nentalen Sedimenten, die während dieses Erosions­ereignisses entstand, gelangte in die Ozeane, wobei subduzierende Platten geschmiert und die moderne aktive Phase der Platten­tektonik ausgelöst wurde, berichten Stephan V. Sobolev und Michael Brown.

Das Hauptmerkmal ihrer Studie ist ein multi­disziplinärer und skalen­übergreifender Ansatz. „Wir haben unsere Hypothese auf der Grundlage globaler geod­ynamischer Modelle der Platten­tektonik und regionaler Modelle der Subduktion in den süd­amerikanischen Anden vorgeschlagen", erklärt Sobolev. „Dann haben wir bereits publizierte geologische und geochemische Daten verwendet, um die Hypothese zu überprüfen. Erst die Kombination all dieser Ansätze hat unsere Studie möglich gemacht.“

Trotz der Unterstützung durch bestehende Daten seien weitere geochemische Daten erforderlich, um die Hypothese in schlüssigem Maß zu testen. „Sie muss vollständig quanti­fiziert werden, was wiederum eine gekoppelte Modellierung von tiefer Mantel­konvektion und Platten­tektonik, Oberflächen­prozessen und sogar dem Klima erfordert, das ein wichtiger Faktor zur Kontrolle der Oberflächen­erosion ist. Das ist eine spannende Herausforderung für die Community in der Erdsystem­modellierung“, sagt Sobolev. „Das wird die Entwicklung neuartiger Modelle erfordern, die Tiefe-Erde- und Oberflächen­prozesse eng miteinander verbinden.“

GFZ / JOL

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