Sehzelle als Photonendetektor
Die Stäbchen der Netzhaut können zwischen Laserlicht und thermischem Licht unterscheiden.
Wenn es um den Nachweis von sehr schwachem Licht geht, steht unser Auge den empfindlichsten Photodetektoren kaum nach. Jede der etwa 100 Millionen Stäbchenzellen reagiert auf die Absorption schon eines einzelnen Photons, wobei das ausgelöste Signal deutlich über dem Rauschen liegt. Jetzt haben Forscher in Singapur gezeigt, dass einzelne Stäbchen aus einem Froschauge sogar für die Photonenstatistik des einfallenden Lichts empfindlich sind.
Abb.: Das Glasfaserende (l.) bestrahlt die in der Pipette (r.) steckende Sehzelle mit Licht. (Bild: N. Sim et al., PRL)
Die für das Sehen in der Dämmerung oder in der Nacht zuständigen Stäbchenzellen bestehen aus einem unteren Segment, das in der Netzhaut sitzt und für den Stoffwechsel sorgt, und einem lichtempfindlichen oberen Segment, das im Augeninnern dem Licht zugewandt ist. Das obere Segment enthält Moleküle des roten Farbstoffs Rhodopsin.
Bei Dunkelheit bildet sich in der Stäbchenzelle ein elektrochemischer Gradient, der einen stetigen Ionentransport durch Kanäle in der Zellwand bewirkt. Trifft ein Photon auf das äußere Segment des Stäbchens, setzt dies eine Kaskade von intrazellulären Reaktionen in Gang, die was einen Teil der Ionenkanäle schließt. Daraufhin lädt sich die Zelle elektrisch auf. Dieses Signal wird durch andere Zellen dem Sehnerv übermittelt. Nach einiger Zeit öffnen sich die Kanäle wieder, und das Stäbchen ist wieder empfangsbereit.
Forscher um Leonid Krivitsky von der Agency for Science Technology and Research in Singapur haben die elektrischen Pulse gemessen, die eine einzelne Stäbchenzelle abgab, wenn sie mit 30 ms langen Lichtpulsen bestrahlt wurde. Die Zelle hatten sie aus der Netzhaut des Krallenfrosches Xenopus laevis isoliert und in die Spitze einer Pipette hineingesogen. Das obere, lichtempfindliche Segment des 50 µm langen Stäbchens ragte teilweise aus der Pipette heraus, während das untere Segment von einer Nährlösung umgeben war. Mit einer Glasfaserspitze leiteten die Forscher die Lichtpulse auf das lichtempfindliche Segment. Die daraufhin von der Zelle abgegebenen elektrischen Pulse verstärkten und registrierten sie.
Die Wissenschaftler bestrahlten die Zelle entweder direkt mit Laserlicht oder aber mit thermischem Licht, indem sie den Laserstrahl durch eine Glasscheibe laufen ließen und von dem dabei entstehenden Speckle-Muster einen Lichtfleck auf die Zelle leiteten. Die beiden Lichtarten unterschieden sich in ihrer Photonenstatistik. Während die Laserphotonen poissonverteilt und somit unabhängig voneinander bei der Zelle ankamen, folgten die thermischen Photonen einer Binomialverteilung, sodass sie in „Klumpen“ eintrafen.
Bevor das Licht zur Sehzelle gelangte, musste es einen nichtpolarisierenden Strahlteiler passieren. 50 % des Lichtes wurden von ihm durchgelassen und stimulierten die Zelle, 50 % wurden reflektiert und zu einer herkömmlichen Lawinenphotodiode geleitet, die die Photonen in den Lichtpulsen zählte. Mit dieser Hanbury-Brown-Twiss-Anordnung ließ sich zudem die Korrelationen der von der Sehzelle und von der Photodiode gelieferten Signale messen.
Abb.: Die Reaktion der Sehzelle auf Licht von zunehmender Intensität. Vom Laserlicht (rote Quadrate) wird die Zelle früher in die Sättigung getrieben als vom thermischen Licht (schwarze Kreise; Bild: N. Sim et al., PRL)
Doch zunächst bestimmten die Forscher, wie sich die Signalamplitude einer Sehzelle mit zunehmender Intensität der Lichtpulse änderte. Die Lichtintensität entsprach der von der Photodiode ermittelten Photonenzahl. Bei einer hinreichend großen Lichtintensität trat Sättigung ein, und die Zelle lieferte eine gleichbleibende Signalstärke. Die Forscher wiederholten die Messungen für sechs verschiedene Zellen mit Laserlicht und mit thermischem Licht. Damit sich die Messreihen vergleichen ließen, wurden die gemessenen Signalstärken durch die Stärke des Sättigungssignals geteilt und die Photonenzahlen durch die mittlere Photonenzahl normiert, bei der jeweils die halbe Sättigung eintrat. Dazu waren zwischen 550 bis 2500 Photonen pro Puls nötig.
Die Messwerte fielen auf zwei verschiedene Kurven, je nachdem ob Laserlicht oder thermisches Licht zur Anregung der Zellen benutzt worden war. Dabei trat mit Laserlicht die Sättigung der Zellen viel früher ein als mit thermischem Licht. Da beim Laserlicht die Photonenzahl wesentlich weniger stark um den Mittelwert schwankte als bei thermischem Licht, kam es bei einer bestimmten Intensität des Laserlicht abrupt zur Sättigung der Zellen. Beim thermischen Licht gab es selbst für große Intensitäten zwischen den „Photonenklumpen“ immer wieder Intervalle, in denen die Sehzelle nur von wenigen Photonen erreicht wurde und deshalb nicht gesättigt war. Der Übergang in die Sättigung erfolgte deshalb sanfter.
Schließlich konnten die Forscher mit der Hanbury-Brown-Twiss-Anordnung die zeitgleichen Signale der Sehzelle und der Photodiode miteinander vergleichen. In diesem Fall wurde die Sehzelle als Photonendetektor betrieben, der eine Gesamteffizienz zwischen 0,7 und 1 Prozent hatte. Aus den Signalen m(t) und n(t) dieser beiden Detektoren berechneten die Forscher durch statistische Mittelung die Intensitätskorrelation g(2) = <mn> / <m><n>. Für das kohärente Laserlicht ergab sich erwartungsgemäß der konstante Wert g(2)=1, während für das thermische Licht bei kleinen Photonenzahlen g(2)=2 war, was sich in diesem Falle durch das „Zusammenklumpen“ der Photonen erklären lässt.
Mit ihrem Experiment eröffnen Krivitsky und seine Kollegen neue Möglichkeiten für die Biophotonik. So könnte man die Reaktion von Sehzellen auf die Bestrahlung mit ungewöhnlichem Licht untersuchen. Das könnte z. B. nichtklassisches Licht sein, in dem die Photonen „anti-klumpen“, also einander meiden, oder Licht aus paarweise verschränkten Photonen. Man darf gespannt sein, welche Überraschungen die Sehzellen noch bereit halten.
Rainer Scharf
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