Seilbahn für Energiepakete
Neue Polymere für organische Leuchtdioden oder Solarzellen.
Entlang einer molekularen Leiter aus Hunderten von Benzolringen bewegen Forschende der Universitäten Bonn und Regensburg Energiepakete hinauf und hinunter. Solche Polymere lassen sich potenziell für die Herstellung neuer Displays auf der Grundlage organischer Leuchtdioden oder für Solarzellen verwenden.
Im 19. Jahrhundert fragte sich die Wissenschaft, wie die Atome im rätselhaften Benzol angeordnet sind. Dieses aromatische Molekül erwies sich bald als erstaunlich einfach aufgebaut: Es bestand aus sechs Kohlenstoff- und sechs Wasserstoffatomen. Aber wie konnten sich diese zwölf Atome im Raum anordnen, um ein chemisch stabiles Objekt zu bilden? Der Chemiker Friedrich August Kekulé brachte Licht ins Dunkel. Der Legende nach saß er im Winter 1861 dösend am Kaminfeuer. Kekulé hatte plötzlich die Vision einer Schlange, die ihren eigenen Schwanz verschlingt. Ihm wurde klar, dass die Kohlenstoffatome des Benzols kreisförmig angeordnet sein müssen, ähnlich wie ein kleines Wagenrad. „Dieser Traum legte schließlich den Grundstein für die massive Expansion der chemischen Industrie gegen Ende des 19. Jahrhunderts“, sagt Sigurd Höger vom Kekulé-Institut für Organische Chemie und Biochemie an der Universität Bonn, der Mitglied im Transdisziplinären Forschungsbereich „Bausteine der Materie und fundamentale Wechselwirkungen“ an der Universität Bonn ist. Benzol ist ein wichtiger Baustein etwa für Farben, Arzneimittel und Kunststoffe.
Kekulés Nachfolger an der Universität Bonn träumten nun von Molekülen in Form einer Leiter, bestehend aus Hunderten von Benzolringen. Die Forschenden vom Kekulé-Institut und vom Mulliken Center für Theoretische Chemie der Universität Bonn konstruierten mit einem Team um John Lupton vom Institut für Experimentelle und Angewandte Physik der Universität Regensburg eine solche molekulare Leiter. Es handelt sich dabei um ein Molekül mit zwei Schienen aus konjugierten Polymeren, bei denen sich Doppel- und Einfachbindungen zwischen den Kohlenstoffatomen abwechseln. Sie bilden die Holme, an denen man sich bei gewöhnlichen Leitern beim Emporsteigen festhält.
Dazu wurde zunächst eine Vorläuferverbindung hergestellt, die nur eine einzige Polymerschiene und anhängende polymerisierbare Gruppen enthielt. Bei einem Teil des Materials wurde dann der zweite Holm der Leiter in einem nachfolgenden Schritt durch eine Reißverschluss-Reaktion gebildet, ähnlich wie beim Schließen eines Anoraks. Auf diese Weise erhielt das Team neben dem Polymer mit einer einzigen konjugierten Schiene ein Polymer mit zwei konjugierten Schienen. Beide Polymere waren gleich lang und konnten nun miteinander verglichen werden. Die Forschenden untersuchten die Struktur mit dem Rastertunnelmikroskop. Die winzige molekulare Leiter ist ein Nanometer hoch, zwei Nanometer breit und hundert Nanometer lang. Die Form und die außergewöhnliche Steife der Leitern bestätigten die Chemiker durch umfangreiche Computersimulationen mit einer neuartigen Theorie, die die individuellen Bewegungen aller Atome innerhalb des Moleküls vorhersagt.
„Die Leiterstruktur bleibt nicht nur erhalten, wenn die Moleküle auf einer Oberfläche platziert werden, sondern auch, wenn sie in einer Flüssigkeit aufgelöst werden“, sagt Lupton. Dank dieser Eigenschaft könne Energie über das Molekül hinweg im Raum bewegt werden, was einen potenziellen Baustein für optische Netzwerke, Schaltkreise und Sensoren darstellt. Solche Polymere leiten prinzipiell elektrische Ströme und können für die Herstellung neuer Displays auf der Grundlage organischer Leuchtdioden oder für die Umwandlung von Licht in Strom in einer Solarzelle verwendet werden. Wenn Licht auf ein solches Molekül fällt, wird es absorbiert und erzeugt ein kleines Energiepaket. Die Forschenden konnten beobachten, wie sich diese Pakete praktisch ungehindert, wie auf einer Seilbahn, die Leiter entlangbewegen. Die offenen schlangenartigen Polymere hingegen zeigen diesen Effekt nicht. Ihre Eigenschaften ähneln denen herkömmlicher Polymermoleküle: Die Pakete rutschen auf den Schlangen entlang und verlieren dabei Energie.
U. Bonn / JOL
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
S. A. Meißner et al.: Nanoscale π-conjugated ladders, Nat. Commun. 12, 6614 (2021); DOI: 10.1038/s41467-021-26688-9 - Kekulé-Institut für Organische Chemie und Biochemie, Universität Bonn
- Organische Halbleiter & Optische Nanostrukturen, Institut für Experimentelle und Angewandte Physik, Universität Regensburg