22.11.2021 • Energie

Seilbahn für Energiepakete

Neue Polymere für organische Leuchtdioden oder Solarzellen.

Entlang einer molekularen Leiter aus Hunderten von Benzolringen bewegen Forschende der Universitäten Bonn und Regensburg Energie­pakete hinauf und hinunter. Solche Polymere lassen sich potenziell für die Herstellung neuer Displays auf der Grundlage organischer Leucht­dioden oder für Solarzellen verwenden. 

Abb.: Ein Energiepaket wird auf einer molekularen Leiter durch die Absorption...
Abb.: Ein Energiepaket wird auf einer molekularen Leiter durch die Absorption von Licht erzeugt. (Bild: J. Bahr & T. Keller)

Im 19. Jahrhundert fragte sich die Wissenschaft, wie die Atome im rätsel­haften Benzol angeordnet sind. Dieses aromatische Molekül erwies sich bald als erstaunlich einfach aufgebaut: Es bestand aus sechs Kohlenstoff- und sechs Wasserstoffatomen. Aber wie konnten sich diese zwölf Atome im Raum anordnen, um ein chemisch stabiles Objekt zu bilden? Der Chemiker Friedrich August Kekulé brachte Licht ins Dunkel. Der Legende nach saß er im Winter 1861 dösend am Kaminfeuer. Kekulé hatte plötzlich die Vision einer Schlange, die ihren eigenen Schwanz verschlingt. Ihm wurde klar, dass die Kohlenstoff­atome des Benzols kreisförmig angeordnet sein müssen, ähnlich wie ein kleines Wagenrad. „Dieser Traum legte schließlich den Grundstein für die massive Expansion der chemischen Industrie gegen Ende des 19. Jahrhunderts“, sagt Sigurd Höger vom Kekulé-Institut für Organische Chemie und Biochemie an der Universität Bonn, der Mitglied im Trans­disziplinären Forschungs­bereich „Bausteine der Materie und funda­mentale Wechsel­wirkungen“ an der Universität Bonn ist. Benzol ist ein wichtiger Baustein etwa für Farben, Arzneimittel und Kunststoffe.

Kekulés Nachfolger an der Universität Bonn träumten nun von Molekülen in Form einer Leiter, bestehend aus Hunderten von Benzolringen. Die Forschenden vom Kekulé-Institut und vom Mulliken Center für Theoretische Chemie der Universität Bonn konstruierten mit einem Team um John Lupton vom Institut für Experi­mentelle und Ange­wandte Physik der Universität Regensburg eine solche molekulare Leiter. Es handelt sich dabei um ein Molekül mit zwei Schienen aus konjugierten Polymeren, bei denen sich Doppel- und Einfach­bindungen zwischen den Kohlenstoff­atomen abwechseln. Sie bilden die Holme, an denen man sich bei gewöhnlichen Leitern beim Empor­steigen festhält.

Dazu wurde zunächst eine Vorläufer­verbindung hergestellt, die nur eine einzige Polymer­schiene und anhängende polymerisier­bare Gruppen enthielt. Bei einem Teil des Materials wurde dann der zweite Holm der Leiter in einem nachfolgenden Schritt durch eine Reiß­verschluss-Reaktion gebildet, ähnlich wie beim Schließen eines Anoraks. Auf diese Weise erhielt das Team neben dem Polymer mit einer einzigen konju­gierten Schiene ein Polymer mit zwei konjugierten Schienen. Beide Polymere waren gleich lang und konnten nun miteinander verglichen werden. Die Forschenden untersuchten die Struktur mit dem Rastertunnel­mikroskop. Die winzige molekulare Leiter ist ein Nanometer hoch, zwei Nanometer breit und hundert Nanometer lang. Die Form und die außer­gewöhnliche Steife der Leitern bestätigten die Chemiker durch umfangreiche Computer­simulationen mit einer neuartigen Theorie, die die indi­viduellen Bewegungen aller Atome innerhalb des Moleküls vorhersagt.

„Die Leiter­struktur bleibt nicht nur erhalten, wenn die Moleküle auf einer Oberfläche platziert werden, sondern auch, wenn sie in einer Flüssigkeit aufgelöst werden“, sagt Lupton. Dank dieser Eigenschaft könne Energie über das Molekül hinweg im Raum bewegt werden, was einen potenziellen Baustein für optische Netzwerke, Schalt­kreise und Sensoren darstellt. Solche Polymere leiten prinzipiell elektrische Ströme und können für die Herstellung neuer Displays auf der Grundlage orga­nischer Leucht­dioden oder für die Umwandlung von Licht in Strom in einer Solarzelle verwendet werden. Wenn Licht auf ein solches Molekül fällt, wird es absorbiert und erzeugt ein kleines Energiepaket. Die Forschenden konnten beobachten, wie sich diese Pakete praktisch unge­hindert, wie auf einer Seilbahn, die Leiter entlang­bewegen. Die offenen schlangen­artigen Polymere hingegen zeigen diesen Effekt nicht. Ihre Eigenschaften ähneln denen herkömm­licher Polymer­moleküle: Die Pakete rutschen auf den Schlangen entlang und verlieren dabei Energie.

U. Bonn / JOL

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