Selbständig durchs All
Star-Tracker-Sensoren liefern Navigationsdaten für Minisatelliten.
Das Prinzip ist alt: Schon die Wikinger haben sich bei ihren Fahrten über das Meer an Sternbildern orientiert und so den Kurs bestimmt. An Sternbildern orientiert sich auch ein Sensor, der heute Satelliten Informationen über ihre Lage im Weltraum liefert. „Star-Tracker“ heißen diese Geräte im Fachjargon. „Ein Star-Tracker ist im Prinzip eine Kamera, kombiniert mit einem Computer und einem Speicher“, erklärt Hakan Kayal, Professor für Raumfahrttechnik an der Universität Würzburg. Mit der Kamera nimmt der Sensor ein Foto vom Sternenhimmel auf; dieses Bild vergleicht er mit einem Katalog der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Dort sind insgesamt 6.800 Sterne gespeichert und nach ihren Helligkeitswerten klassifiziert. Anhand dieser Daten und der eigenen Aufnahme ist der Sensorrechner in der Lage, die Ausrichtung des Satelliten auf seiner Bahn um die Erde exakt zu bestimmten.
Abb.: Hakan Kayal (r.) und Oleksii Balagurin mit einem Modell ihres Star-Trackers STELLA, der Ende dieses Jahres in den Orbit reisen soll. (Bild: G. Bartsch)
In einem neuen Forschungsprojekt arbeiten Hakan Kayal und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter Oleksii Balagurin jetzt daran, neuartige Soft- und Hardware-Technologien für Miniatur-Sternsensoren zu entwickeln und zu testen. Zum Einsatz sollen diese Sternsensoren auf sogenannten Pico- und Nanosatelliten kommen – also auf Satelliten, die nur wenige Kilogramm schwer und dementsprechend klein sind. Das Vorhaben wird vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages mit rund 325.000 Euro finanziert.
„Wo ist das Problem?“, könnte sich der Laie bei diesem Vorhaben fragen. Kleine Kameras, große Speicher und schnelle Rechner tragen heutzutage viele Menschen in Form von Smartphones in ihren Hosentaschen. Was auf der Erde funktioniert, lässt sich allerdings nicht mal eben auf die Situation in einer Erdumlaufbahn übertragen. „Wir stehen vor einem Multiparameter-Problem“, erklärt Oleksii Balagurin. Soll heißen: Bei der Entwicklung ihres Sternsensoren müssen die Wissenschaftler zahlreiche Faktoren berücksichtigen, die sich wechselseitig beeinflussen.
Weit oben auf der Liste dieser Parameter stehen die Größe und das Gewicht des Star-Trackers. Wenn der Satellit selbst nur so groß wie ein Fußball ist, darf der Sensor nicht das Format einer Spiegelreflexkamera besitzen. Wichtig ist auch der Energieverbrauch. Schließlich hilft der beste Sensor nichts, wenn seine Batterie nach zwei Wochen leer ist, die Mission aber zwei bis drei Jahre dauern soll. Die Empfindlichkeit und Genauigkeit der Kamera, die Größe der Datenbank, die Datenrate und der Aufbau der Schnittstelle sind weitere Parameter, die beim Bau des Sensors bedacht werden müssen.
Was die Angelegenheit zusätzlich verkompliziert: Kein Satellit gleicht dem anderen. Dementsprechend ist es auch nicht möglich, einen Standardsensor zu entwickeln, der auf verschiedenen Modellen zum Einsatz kommen kann. Das führt bei der Entwicklung zu einem schrittweisen Annäherungsprozess an die optimale Kombination von Eigenschaften. „Wenn man beispielsweise mit der Optik anfängt, legt man damit die Grenzmagnitude fest – also die Helligkeit, die Sterne mindestens haben müssen, damit sie von der Kamera gesehen werden“, erklärt Balagurin.
Und so ziehe in der Regel eine Entscheidung Konsequenzen für eine Vielzahl weiterer Parameter nach sich, was die Suche nach dem Optimum deutlich verkompliziert. Diesen Suchprozess zu automatisieren, ist ebenfalls Teil des Forschungsprojekts. Kayal und Balagurin wollen einen Algorithmus entwickeln, der ihnen diesen „Annäherungsprozess“ abnimmt – oder diesen zumindest deutlich verbessert.
Mit ihrer Arbeit fangen die beiden Wissenschaftler nicht bei Null an: Einen Sternsensor haben sie bereits zwischen 2009 und 2012 entwickelt. Er soll, wenn alles klappt, Ende dieses Jahres mit einem rund 30 Kilogramm schweren Satelliten der Technischen Universität Berlin auf eine Umlaufbahn um die Erde geschickt werden. Dabei konnten sie auch reichlich Erfahrungen im Bereich der Materialwissenschaften sammeln – schließlich muss der Sensor für seine Reise durch den Erdorbit unter anderem strahlungs- und schockresistent sein, Temperaturwechsel von minus 40 bis plus 100 Grad Celsius verkraften und im Vakuum funktionieren.
Eine spätere wirtschaftliche Verwertung des Würzburger Star-Trackers ist nach Aussage von Kayal nicht ausgeschlossen. Die Möglichkeiten dafür würden derzeit überprüft. Ein Markt dafür sei jedenfalls vorhanden: „Nanosatelliten werden von Tag zu Tag besser; immer mehr von ihnen werden auf Raketen in den Orbit geschickt“, sagt Kayal. Und je besser die Satelliten werden, desto anspruchsvoller könnten ihre Missionen ausfallen. „Dann sind auch interplanetare Missionen beispielsweise zu Mond, Mars oder Jupiter denkbar“, so Kayal.
Bis es soweit ist, müssen die Satelliten allerdings über eine wichtige Funktion verfügen: Autonomie. Schließlich sollten sie in der Lage sein, auf plötzliche Ereignisse selbstständig zu reagieren, wenn sie mehrere Millionen Kilometer von der Erde entfernt sind und die Signale zur Bodenstation auf der Erde und wieder zurück einfach zu lange dauern würden. Auch daran arbeiten die Würzburger Raumfahrttechniker: Im Rahmen des Projekts ASAP (Autonomes Sensor- und Autonomes Planungssystem) entsteht zum Beispiel derzeit ein neues System, das unvorhersehbare, kurzzeitige Leuchtphänomene wie Meteoreintritte in die Erdatmosphäre eigenständig an Bord von Nanosatelliten detektieren und aufzeichnen kann. Und im Rahmen des Projektes ADIA (Autonomes Diagnosesystem für Satelliten) entwickeln sie ein System, das selbständig in der Lage ist, sich anbahnende oder bereits aufgetretene Fehler an Bord von Satelliten zu analysieren und Ursachen festzustellen. Damit könne wertvolle Zeit bei der Erkennung und Behebung von Problemen gewonnen werden, was zur Erhöhung der Betriebssicherheit von Satelliten beitragen kann, so Kayal.
U. Würzburg / DE