12.07.2018

Seltener Prozess gesichtet

Wechselseitige Streuung von W- und Z-Bosonen am CERN nachgewiesen.

Science-Fiction-Autoren lassen gerne Laserschwerter aufeinander krachen. Doch diese Vorstellung wird wohl für immer ein Traum bleiben. Gemäß den Gesetzen der Physik können Photonen nur mit Objekten wechsel­wirken, die eine elektrische Ladung tragen. Da sie selbst elektrisch neutral sind, bewegen sie sich einfach durch­einander hindurch. Licht­strahlen kann man kreuzen, aber man kann mit ihnen keine Schläge setzen.

Abb.: So sieht das seltene Ereignis im Detektor aus. (Bild: ATLAS / CERN)

Im Gegensatz zur elektro­magnetischen Wechselwirkung streuen bei der nuklearen schwachen Wechselwirkung deren Boten­teilchen aneinander, da diese selbst schwache Ladung besitzen. Dresdner Forschern ist es nun inner­halb der ATLAS-Kollaboration am CERN gelungen, diese Streuung der W- und Z-Bosonen in gleich zwei verschiedenen Prozessen zweifels­frei nach­zuweisen. Dies gehört zu den heraus­ragenden Ergebnissen, die auf der Inter­national Conference on High Energy Physics ICHEP2018 in Seoul am 5. Juli vorgestellt wurden. Dazu haben Forschungs­gruppen aus China, USA, Kanada, Süd­afrika, UK, Griechen­land und Frank­reich mit den deutschen Forschern aus Dresden, Freiburg und dem DESY in Hamburg intensiv zusammen­gearbeitet.

Für die Analyse wurden Daten des ATLAS-Experiments aus den Jahre 2015 und 2016 ausgewertet. Der ATLAS-Detektor zeichnet auf, was bei den Kollisionen zwischen den Protonen passiert, die im Teilchen­beschleuniger LHC mit annähernd Licht­geschwindigkeit kreisen und schließlich zusammen­stoßen. W- und Z-Teilchen entstehen, wenn ein Quark zufällig ein solches Boten­teilchen aussendet. Wegen ihrer kurzen Lebens­dauer können diese von den Quarks ab­gestrahlten Quanten des „schwachen Lichts“ allerdings nur eine Strecke von 0,1 Femto­meter zurücklegen, also rund ein Zehntel eines Proton­radius, dann wandeln sie sich in andere Teilchen um. Damit sie überhaupt miteinander wechsel­wirken können, müssen sich diese ultra­kurzen „Licht­schwerter“ zusätzlich auch noch näher kommen als 0,002 Femto­meter. Die nun beobachteten Streu­prozesse gehören zu den seltensten Ereignissen, die man bisher am LHC beobachten konnte: Man benötigt ungefähr zwanzig Billionen Proton-Kollisionen, bis solch eine Konstellation zufällig eintritt.
Zwei Doktorandinnen des Dresdner Instituts für Kern- und Teilchen­physik konnten das gesuchte Signal aus dem „Rauschen“ des Unter­grunds extrahieren und fanden sechzig Kandidaten für Streu­ereignisse WW → WW gleich geladener W-Teilchen. Das ist mehr als das Drei­fache dessen, was in Daten aus dem Jahr 2012 zu sehen war und bereits auf diesen Prozess hinwies. Stefanie Todt hat sich in ihrer Doktor­arbeit mit der WW-Streuung beschäftigt: „Gemeinsam mit Franziska Iltzsche haben wir jeden Stein umgedreht, bis wir sicher waren, dass wir wirklich das entdeckt hatten, was wir suchten.“

Tim Herrmann, einer der beiden Doktoranden auf der Suche nach der WZ → WZ-Streuung, dankte seinem seit zwölf Wochen in Eltern­zeit pausierenden Mit-Doktoranden: „Als Analyse-Koordinator hat Carsten Bittrich diese Entdeckung bis zur ersten Fassung der Veröffentlichung entscheidend vorbereitet, die nun gestern von der gesamten ATLAS-Kollaboration freigegeben wurde.“ Mit der Beobachtung von 44 WZ → WZ-Streu-Ereignissen konnte dieser Prozess welt­weit das erste Mal nachgewiesen werden, was insbesondere der Anwendung einer besonderen Methode des maschinellen Lernens zu verdanken war.

Die genaue Untersuchung der Streuung mit noch mehr Daten könnte Hinweise auf neue Teilchen oder Unter­strukturen bekannter Teilchen liefern. Weiterhin erhofft man sich neue Erkenntnisse über das Brout-Englert-Higgs-Feld: „Genau sechs Jahre nach der Entdeckung des Higgs-Teilchens haben wir nun zwei Prozesse an der Hand, mit deren Hilfe wir die Eigenschaften der neuen Spezies von Higgs-Teilchen genauer untersuchen können,“ erklärt Michael Kobel, der Leiter der Dresdner Arbeits­gruppe. „Das Brout-Englert-Higgs-Feld lässt die Streuung des ‚schwachen Lichts‘ nur bei winzigen Abständen der W- und Z-Teilchen zu. Es wirkt also als eine Art Stoß­dämpfer. Eine noch genauere Messung soll prüfen, ob es mehrere dämpfende Higgs-Teilchen gibt, oder ob diese eine Unter­struktur besitzen und selbst in Anregung versetzt werden können.“

TU Dresden / DE

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