Science-Fiction-Autoren lassen gerne Laserschwerter aufeinander krachen. Doch diese Vorstellung wird wohl für immer ein Traum bleiben. Gemäß den Gesetzen der Physik können Photonen nur mit Objekten wechselwirken, die eine elektrische Ladung tragen. Da sie selbst elektrisch neutral sind, bewegen sie sich einfach durcheinander hindurch. Lichtstrahlen kann man kreuzen, aber man kann mit ihnen keine Schläge setzen.
Abb.: So sieht das seltene Ereignis im Detektor aus. (Bild: ATLAS / CERN)
Im Gegensatz zur elektromagnetischen Wechselwirkung streuen bei der nuklearen schwachen Wechselwirkung deren Botenteilchen aneinander, da diese selbst schwache Ladung besitzen. Dresdner Forschern ist es nun innerhalb der ATLAS-Kollaboration am CERN gelungen, diese Streuung der W- und Z-Bosonen in gleich zwei verschiedenen Prozessen zweifelsfrei nachzuweisen. Dies gehört zu den herausragenden Ergebnissen, die auf der International Conference on High Energy Physics ICHEP2018 in Seoul am 5. Juli vorgestellt wurden. Dazu haben Forschungsgruppen aus China, USA, Kanada, Südafrika, UK, Griechenland und Frankreich mit den deutschen Forschern aus Dresden, Freiburg und dem DESY in Hamburg intensiv zusammengearbeitet.
Für die Analyse wurden Daten des ATLAS-Experiments aus den Jahre 2015 und 2016 ausgewertet. Der ATLAS-Detektor zeichnet auf, was bei den Kollisionen zwischen den Protonen passiert, die im Teilchenbeschleuniger LHC mit annähernd Lichtgeschwindigkeit kreisen und schließlich zusammenstoßen. W- und Z-Teilchen entstehen, wenn ein Quark zufällig ein solches Botenteilchen aussendet. Wegen ihrer kurzen Lebensdauer können diese von den Quarks abgestrahlten Quanten des „schwachen Lichts“ allerdings nur eine Strecke von 0,1 Femtometer zurücklegen, also rund ein Zehntel eines Protonradius, dann wandeln sie sich in andere Teilchen um. Damit sie überhaupt miteinander wechselwirken können, müssen sich diese ultrakurzen „Lichtschwerter“ zusätzlich auch noch näher kommen als 0,002 Femtometer. Die nun beobachteten Streuprozesse gehören zu den seltensten Ereignissen, die man bisher am LHC beobachten konnte: Man benötigt ungefähr zwanzig Billionen Proton-Kollisionen, bis solch eine Konstellation zufällig eintritt.
Zwei Doktorandinnen des Dresdner Instituts für Kern- und Teilchenphysik konnten das gesuchte Signal aus dem „Rauschen“ des Untergrunds extrahieren und fanden sechzig Kandidaten für Streuereignisse WW → WW gleich geladener W-Teilchen. Das ist mehr als das Dreifache dessen, was in Daten aus dem Jahr 2012 zu sehen war und bereits auf diesen Prozess hinwies. Stefanie Todt hat sich in ihrer Doktorarbeit mit der WW-Streuung beschäftigt: „Gemeinsam mit Franziska Iltzsche haben wir jeden Stein umgedreht, bis wir sicher waren, dass wir wirklich das entdeckt hatten, was wir suchten.“
Tim Herrmann, einer der beiden Doktoranden auf der Suche nach der WZ → WZ-Streuung, dankte seinem seit zwölf Wochen in Elternzeit pausierenden Mit-Doktoranden: „Als Analyse-Koordinator hat Carsten Bittrich diese Entdeckung bis zur ersten Fassung der Veröffentlichung entscheidend vorbereitet, die nun gestern von der gesamten ATLAS-Kollaboration freigegeben wurde.“ Mit der Beobachtung von 44 WZ → WZ-Streu-Ereignissen konnte dieser Prozess weltweit das erste Mal nachgewiesen werden, was insbesondere der Anwendung einer besonderen Methode des maschinellen Lernens zu verdanken war.
Die genaue Untersuchung der Streuung mit noch mehr Daten könnte Hinweise auf neue Teilchen oder Unterstrukturen bekannter Teilchen liefern. Weiterhin erhofft man sich neue Erkenntnisse über das Brout-Englert-Higgs-Feld: „Genau sechs Jahre nach der Entdeckung des Higgs-Teilchens haben wir nun zwei Prozesse an der Hand, mit deren Hilfe wir die Eigenschaften der neuen Spezies von Higgs-Teilchen genauer untersuchen können,“ erklärt Michael Kobel, der Leiter der Dresdner Arbeitsgruppe. „Das Brout-Englert-Higgs-Feld lässt die Streuung des ‚schwachen Lichts‘ nur bei winzigen Abständen der W- und Z-Teilchen zu. Es wirkt also als eine Art Stoßdämpfer. Eine noch genauere Messung soll prüfen, ob es mehrere dämpfende Higgs-Teilchen gibt, oder ob diese eine Unterstruktur besitzen und selbst in Anregung versetzt werden können.“
TU Dresden / DE