27.07.2021

Seltsames Metall als Supraleiter

Neuer Ansatz zur Erklärung von Hochtemperatur-Supraleitern.

Die Supraleitung ist zwar schon seit 1911 bekannt, doch bis heute ist es nicht vollständig verstanden. An der TU Wien gelang nun eine wichtige Entdeckung: Festkörper­physiker um Silke Bühler-Paschen untersuchten ein unge­wöhnliches Material – ein „Strange Metal“ aus Ytterbium, Rhodium und Silizium. Strange Metals zeigen einen ungewöhnlichen Zusammenhang zwischen elektrischem Widerstand und Temperatur. Bei diesem Material ist dieser Zusammenhang in einem besonders großen Temperatur­bereich zu sehen, und der zugrunde­liegende Mechanismus ist bekannt. Entgegen bisheriger Annahmen stellte sich nun heraus, dass dieses Material außerdem ein Supraleiter ist und die Supraleitung eng mit dem Strange-Metal-Verhalten in Verbindung steht. Das könnte der Schlüssel zum Verständnis von Hoch­temperatur-Supra­leitung auch in anderen Materialklassen sein.

Abb.: Kristallstruktur des Strange Metal-Supra­leiters und Teilansicht des...
Abb.: Kristallstruktur des "Strange Metal"-Supra­leiters und Teilansicht des Kernent­magnetisierungs-Kryostats, in dem die Messungen durchgeführt wurden. (Bild: TU Wien)

Bei gewöhnlichen Metallen steigt der elektrische Widerstand bei tiefen Temperaturen mit dem Quadrat der Temperatur. Bei manchen Hoch­temperatur-Supraleitern ist die Situation aber völlig anders: Bei tiefen Temperaturen unterhalb der Sprung­temperatur zeigen sie überhaupt keinen elektrischen Widerstand, und oberhalb dieser Temperatur steigt der Widerstand linear statt quadratisch mit der Temperatur. Man spricht in diesem Fall von „Strange Metals“ – von „seltsamen Metallen“. „Man hat daher in den letzten Jahren bereits vermutet, dass dieser lineare Zusammenhang zwischen Widerstand und Temperatur eine ganz wichtige Bedeutung für die Supra­leitung hat“, sagt Silke Bühler-Paschen, die am Institut für Festkörperphysik der TU Wien den Forschungs­bereich „Quantum Materials“ leitet. „Doch leider kannte man bisher kein geeignetes Material, um das wirklich gut untersuchen zu können.“

Bei Hoch­temperatur-Supra­leitern ist der lineare Zusammenhang zwischen Temperatur und Widerstand meist nur in einem relativ kleinen Temperatur­bereich nachweisbar und außerdem können verschiedene komplizierte Effekte, die bei höheren Temperaturen unwei­gerlich auftreten, diesen Zusammenhang auf komplizierte Weise beeinflussen. Viele Experimente wurden mit einem exotischen Material (YbRh2Si2) durchgeführt, in dem das Strange-Metal-Verhalten in einem extrem weiten Temperatur­bereich sichtbar ist – doch erstaunlicher­weise schien gerade aus diesem extremen „Strange Metal“-Zustand heraus keine Supraleitung zu entstehen. „Es gab bereits theoretische Überlegungen, um zu begründen, warum Supraleitung hier einfach nicht möglich ist“, sagt Silke Bühler-Paschen. „Wir beschlossen trotzdem, uns dieses Material noch einmal näher anzusehen.“

Dazu steht an der TU Wien ein besonders leistungs­fähiges Tieftemperatur­labor zur Verfügung. „Dort können wir Materialien bei extremeren Bedingungen unter­suchen als das anderen Forschungsgruppen bisher möglich war“, erklärt Bühler-Paschen. So konnte man zunächst zeigen, dass in YbRh2Si2 der lineare Zusammenhang zwischen Widerstand und Temperatur sogar in einem noch größeren Temperatur­bereich gegeben ist als bisher gedacht. Dann gelang die entscheidende Entdeckung: Bei extrem tiefen Temperaturen von nur einem Millikelvin wird aus dem Strange Metal ein Supra­leiter. „Damit ist unser Material optimal geeignet, um herauszufinden, auf welche Weise das Strange-Metal-Verhalten zur Supraleitung führt“, sagt Silke Bühler-Paschen. 

Paradoxer­weise sorgt gerade die Tatsache, dass das Material erst bei sehr tiefen Temperaturen supraleitend wird, dafür, dass sich damit Hoch­temperatur-Supra­leitung besonders gut erforschen lässt: „Die Mechanismen, die zu Supraleitung führen, sind bei diesen extrem niedrigen Temperaturen besonders gut sichtbar, weil sie dort nicht von anderen Effekten überlagert werden. In unserem Material ist dies die Loka­lisierung eines Teils der Leitungs­elektronen an einem quanten­kritischen Punkt. Es erscheint wahr­scheinlich, dass derselbe Mechanismus auch für das Verhalten von Hoch­temperatur-Supra­leitern wie den berühmten Cupraten verant­wortlich ist“, sagt Bühler-Paschen.

TU Wien / JOL

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