31.10.2008

Seltsames Treiben im chaotischen Fluss

In Flüssigkeiten schwimmende Kügelchen folgen oftmals nicht der Strömung.



In Flüssigkeiten schwimmende Kügelchen folgen oftmals nicht der Strömung.

Wie sich Partikel in strömenden Flüssigkeiten oder Gasen bewegen, ist ein Problem von großer praktischer Bedeutung. Die Ausbreitung von Krankheitserregern in der Luft oder von Schadstoffteilchen im Wasser fällt ebenso darunter wie die Bewegung von Regentropfen in Luftströmungen oder von Kraftstofftröpfchen bei der Einspritzung im Verbrennungsmotor. Mit Hilfe von kleinen Partikeln lassen sich Strömungen sichtbar machen, vorausgesetzt dass die Teilchen der Strömung möglichst genau folgen. Wie groß die dabei auftretenden Abweichungen sein können und wovon sie abhängen, haben Forscher der University of Pennsylvania untersucht.

Jerry Gollub und seine Kollegen haben tausende von kleinen Polystyrolkügelchen in ein Gefäß mit einer wässrigen Salzlösung gebracht, die eine 3,5 mm dicke Flüssigkeitsschicht bildete. Die Kügelchen und die Lösung hatten dieselbe Dichte. Um in der Flüssigkeit eine Strömung in Gang zu setzen, ließen die Forscher einen elektrischen Strom durch die Lösung fließen und positionierten sie über schachbrettartig angeordneten Permanentmagneten. Die auf den Strom wirkende Lorentz-Kraft rief eine quasi-zweidimensionale chaotische (aber nicht turbulente) Strömung hervor. Durch Erhöhung der Stromstärke konnte die Flüssigkeit stärker angetrieben und ihre Reynolds-Zahl Re erhöht werden: Re=UL/ν, wobei U die mittlere Strömungsgeschwindigkeit, L der Abstand der Magnete und ν die kinematische Viskosität der Flüssigkeit ist. Im Experiment lag Re zwischen 72 und 220.

Die in der Salzlösung schwimmenden Kügelchen hatten unterschiedliche Größe: ihr Durchmesser betrug 80 µm, knapp 1 mm oder 2 mm. Die kleinsten Kügelchen, von denen etwa 15000 vorhanden waren, wurden als Tracer eingesetzt, da sie der Flüssigkeitsströmung sehr eng folgten. Mit einer Kamera wurde die Bewegung der großen Kügelchen und der Tracer-Teilchen aufgezeichnet und anschließend von einem Computer ausgewertet. Aus den Bewegungen der Tracer-Kügelchen ließ sich die Strömung rekonstruieren. Die größeren Kugeln wichen in ihren Bewegungen mehr oder weniger stark von der Strömung ab. Sie zeigten eine gewisse Trägheit und konnten schnellen Änderungen der lokalen Strömungsgeschwindigkeit nicht folgen, da sich der Einfluss der Strömung über die Kugeloberfläche mittelte.

Eine genauere Auswertung der Kugelbahnen brachte interessante Details zutage. In einer Strömung mit gegebener Reynolds-Zahl Re ergaben sich für Kugeln einer bestimmten Größe breite Verteilungen für die Geschwindigkeit v und die Beschleunigung a. Wurden v und a jedoch durch ihre jeweiligen Varianzen normiert, so hatten die µm- und die mm-großen Kugeln, unabhängig vom Re-Wert der Strömung, dieselben Geschwindigkeits- bzw. Beschleunigungsverteilungen.

Verglichen mit der Strömung konnten sich die großen Kugeln sowohl schneller als auch langsamer bewegen. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung für die Geschwindigkeitsdifferenz erwies sich als asymmetrisch: die großen Kugeln bewegten sich also im Mittel schneller als die Strömung und die Tracer-Kügelchen. Doch auch in diesem Fall stimmten die Verteilungen für die beiden großen Kugelsorten überein. Die Kugelgröße hatte jedoch einen Einfluss darauf, wie stark die Bewegungsrichtung einer Kugel von der Strömungsrichtung abwich. Demnach wurden die 2 mm großen Kugeln schneller aus der Bahn geworfen als die 1 mm großen.

Kamen zwei Tracer-Kügelchen einmal einander sehr nahe, so wuchs ihr Abstand anschließend exponentiell mit der Zeit an, wie man das für eine chaotische Strömung erwartet. Bei den größeren Kugeln nahm der Abstand hingegen nur wie eine Potenz mit der Zeit zu. Diese Kugeln bewegten sich somit nicht chaotisch. Ihre Bahnen folgten der chaotischen Strömung und den Bewegungen der Tracer-Kügelchen nicht in allen Details. In der Nähe von hyperbolischen Fixpunkten der Strömung, wo sich das chaotische Verhalten der Flüssigkeit besonders bemerkbar machte, wichen die Bahnen der großen Kugeln völlig von den Bahnen der Tracer-Kügelchen ab.

Die Forscher weisen darauf hin, dass die in der Strömung treibenden Kugeln kein universelles Verhalten zeigen, das man völlig durch dimensionslose Größen wie die Reynolds- und die Stokes-Zahl St charakterisieren könnte (St = Re (2ρK/9ρF)(a/L)2 hängt hier von der Dichte der Kugeln und der Flüssigkeit, sowie vom Kugelradius a und dem Magnetabstand L ab und charakterisiert den Reibungswiderstand der Kugel in der Flüssigkeit). Demnach bestimmen die experimentellen Details, wie sich die Kugeln in der Strömung verhalten. Die Forscher haben damit begonnen, das noch merkwürdigere Treiben von nicht-kugelförmigen Partikeln wie Stäbchen in einer chaotischen Strömung zu untersuchen. Auf weitere überraschende Ergebnisse darf man gespannt sein.

RAINER SCHARF


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