Semimetall mit großem anomalem Nernst-Effekt
Weyl-Semimetall mit topologischem Verhalten könnte als Thermoelektrikum dienen.
Topologische Materialien versprechen eine ganze Reihe interessanter Eigenschaften. Nach theoretischen Berechnungen sollte es eine Vielzahl solcher Stoffe geben, dabei ist erst ein Bruchteil von ihnen bekannt. Einen Kandidaten mit vielseitigen Eigenschaften hat nun ein internationales Forscherteam um Satoru Nakatsuji von der Universität Tokyo untersucht. Wie sich herausstellte, zeigte die Heusler-Legierung Co2MnGa nicht nur einen erstaunlich großen Nernst-Effekt. Seine elektronische Struktur entspricht auch der eines magnetischen Weyl-Semimetalls. Bei diesen kristallinen Materialien treten in der elektronischen Struktur eines Festkörpers Weyl-Quasiteilchen auf, die nach Lösungen der Diracgleichung benannt sind, die Hermann Weyl gefunden hatte.
Abb.: Ferromagnetische Semimetalle zeigen überraschende Eigenschaften, etwa einen riesigen anomalen Nernst-Effekt. (Bild: S. Nakatsujii, U. Tokyo)
Die Heusler-Legierung Co2MnGa zeigt Ferromagnetismus, obwohl ihre Legierungselemente diese Eigenschaft nicht selbst aufweisen. Co2MnGa besitzt vier kubisch-flächenzentrierte Kristallgitter, die sich gegenseitig durchdringen. Dabei zeigt dieses Semimetall neben seinem Ferromagnetismus auch eine hohe Curie-Temperatur von 694 Kelvin. Von besonderem Interesse für die Forscher war die Bestimmung des anomalen Nernst-Effekts. Da der Nernst-Effekt Temperaturgradienten, Stromfluss und Magnetfelder miteinander verbindet, könnte man mit solchen Materialien thermoelektrische Komponenten realisieren. Bislang war der Effekt zu klein, um für Anwendungen von Bedeutung zu sein. Weyl-Semimetalle wie Co2MnGa könnten sich aber als wichtiger Schritt hin zu Anwendungen erweisen. Die Forscher bestimmten das Nernst-Signal zu 6 μVK−1 bei Raumtemperatur und nochmals höher zu 8 μVK−1 bei einer Temperatur von 400 Kelvin.
„Einen so großen Nernst-Effekt wie bei Co2MnGa hat man seit der Entdeckung des Effekts Anfang des 20. Jahrhunderts noch niemals nachgewiesen“, sagt Satoru Nakatsuj von der Universität Tokyo. Diese Messung liegt rund eine Größenordnung über den bisher bekannten Werten. Für zukünftige Anwendungen ist es natürlich wichtig, dass derartige Effekte bei Raumtemperatur und darüber auftreten, und nicht nur etwa bei besonders tiefen oder hohen Temperaturen.
Ein solch starker Nernst-Effekt verdankt sich der ungewöhlichen elektronischen Struktur im Material, bei der sich der Übergang zwischen einem Weyl-Semimetall vom Typ 1 und Typ 2 sowie topologische Eigenschaften bemerkbar machen, die von der Krümmung der Berry-Phase abhängen. Bei anderen Materialien hat sich etwa eine solche Berry-Krümmung in einem großen anomalen Hall-Effekt niedergeschlagen, nicht jedoch in einem starken anomalen Nernst-Effekt. Auch der Hall-Widerstand von Co2MnGa erwies sich aber dementsprechend als hoch und erreichte 15 μ Ω cm bei Raumtemperatur. Ebenso war die Hall-Leitfähigkeit sehr gut.
Den Kristall stellten die Forscher mit Hilfe von Lichtbogenschmelzen her. Co2MnGa ist sehr beständig gegenüber Oxidation und erwies sich an Luft als stabil. Der Nernst-Effekt führte zu einem transversalen elektrischen Feld, das durch einen senkrechten Temperaturgradienten und ein Magnetfeld hervorgerufen wird. Damit ist das Material nicht nur für die Grundlagenforschung zu Topologie und Spintronik interessant, sondern öffnet auch die Tür für die Energiegewinnung über thermoelektrische Komponenten.
Um für konkrete Anwendungen wirklich bedeutsam zu werden, müsste der beobachtete Nernst-Effekt aber nochmals deutlich gesteigert werden. Die Wissenschaftler rechnen damit, dass sich ungefähr bei einer Zunahme um eine weitere Größenordnung Anwendungen rechnen sollten. Um das zu erreichen, wird noch einiges an Feintuning an den gewünschten Materialeigenschaften notwendig sein. Wenn das aber erreicht ist, sollten sich die positiven Eigenschaften von Weyl-Magneten bemerkbar machen: Solche Metalle lassen sich in Form dünner Filme auftragen, die man auf Wärmequellen aufbringt. Auf diese Weise könnte man eine Reihe unterschiedlicher Module entwerfen, die thermoelektrisch Strom erzeugen.
Auf dem Weg hin zu den gewünschten Materialien ist aber nicht nur Experimentierkunst, sondern auch die Theorie gefragt. Die Eigenschaften von Weyl-Magneten lassen sich mittlerweile immer besser über „first principle“-Berechnungen bestimmen. Ob sich mit diesen Materialien dann eher Anwendungen auf kleiner Ebene – etwa „on-a-chip“ – oder auch größerskalige thermoelektrische Anwendungen in industriellem Umfeld realisieren lassen, ist derzeit nicht vorherzusehen und wird von weiteren Materialeigenschaften, wie etwa Preis, Schmelzpunkt, Betriebsfestigkeit und anderen, abhängen. Da die grundlegenden Ursachen für den großen anomalen Nernst-Effekt bei Co2MnGa aber bekannt sind, wollen die Forscher nun gezielt weitere Materialien dieses Typs suchen. Dazu könnte ein breites Spektrum von Stoffen zählen: Die Forscher gehen davon aus, dass sowohl intermetallische Verbindungen als auch magnetische Materialien aus Oxiden die gewünschten Eigenschaften zeigen sollten.
Dirk Eidemüller
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