18.08.2016

Silizium auf der Streckbank

Hochelastische Nanodrähte ließen sich um bis zu 16 Prozent dehnen – Anwendung für flexible Elektronik und schnellere Schaltkreise.

So unerlässlich der Halbleiter Silizium für Computerchips ist, so starr und bruchempfindlich ist seine kristalline Struktur. Doch bei extrem dünnen Nanodrähten ändert sich die Elastizität deutlich. Nach ersten Dehnungs­experimenten an Silizium-Nanodrähten mit Durch­messern unter 20 Nanometern gelang nun die Dehnung von fast fünfmal so dicken, mono­kristallinen Drähten. Dieser Erfolg einer chinesisch-amerkanischen Forscher­gruppe ebnet den Weg, um Silizium verstärkte auch in flexiblen elektronischen Bauteilen nutzen zu können.

Abb.: Nanodrähte aus Silizium auf der Streckbank: Hohe Elastizität erlaubt Dehnungen um bis zu 16 Prozent. (Bild: H. Zhang et al.)

„Wenn Silizium größere elastische Verformungen aushalten kann, könnte es viele mecha­tronische Anwendungen in der Opto­elektronik, für flexible Elektronik­module und für nano­strukturierte Schnittstellen zwischen Elektronik und biologischem Gewebe finden“, sagt Yang Lu von der City University in Hong Kong. Zusammen mit Kollegen vom IBM-Watson Research Center in Yorktown Heights und der chinesischen Xiamen University züchtete Lu mono­kristalline Nano­drähte aus Silizium mit einem ausgeklügelten Dampf­phasen-Verfahren. Danach analysierten sie die elastischen Eigenschaften der Nanodrähte.

Für die erprobte „Vapor-Liquid-Solid-Methode (VLS)“ beschichten die Forscher zuerst eine Unterlage aus Edelstahl mit einer zehn Nanometer dünnen Gold­schicht. Auf dieser setzten sich bei etwa 540 Grad Celsius aus einer Silan-Wasserstoff-Atmosphäre dünne kristalline Silizium-Nanodrähte ab. Nach einem Ätzprozess ließen sich einzelne Nano­drähte mit Durchmessern zwischen von 80 und 120 Nanometern von der Unterlage abkratzen. Eingespannt in einer für Nano­strukturen optimierten Streck­vorrichtung ließen sich die Nanodrähte bis an die Grenze der Elastizität strecken. Parallel beobachteten die Forscher die Veränderungen im Halbleiter­material mit einem Elektronen­mikroskop.

Bei Raumtemperatur ließen sich nahezu alle Nanodrähte um mehr als zehn Prozent dehnen. Dabei wirkte ein Dehnungs­stress von bis zu 20 Gigapascal auf die Silizium­strukturen. Einzelne Nanodrähte ließen sich sogar um bis zu 16 Prozent strecken. Proben mit 86 Nanometer Durchmesser erreichten immerhin noch Werte von etwa 13 Prozent. Doch hielten sie auch drei nacheinander ausgeübten Dehnungen stand. Ohne Zuglast nahmen die Nanodrähte ohne Hysterese-Effekt wieder die ursprünglichen Dimensionen an und zeigten keine dauerhafte plastische Verformung.

Abb.: Versuchsaufbau zum Dehnen von Nanodrähten: Über den Druck einer Spitze (unten) werden eingespannte Nanodrähte (oben) auseinandergezogen. (Bild: H. Zhang et al.)

Verantwortlich für diese hohe Elastizität machten die Forscher den weitest­gehend defekt­freien Aufbau der mono­kristallinen Nanodrähte mit einer extrem glatten Oberfläche. Bei den Dehnungen nahm die Energie­dichte innerhalb der Nano­strukturen enorm zu und erreichten werden von bis zu einem Gigajoule pro Kubikmeter. Diese volumetrische Energie­dichte lag bei etwa einem Siebtel des Sprengstoffes TNT. Brachen die Nanodrähte bei einer zu großen Zuglast, wurde diese Energie in Bewegungs­energie umgesetzt, so dass die Bruchstücke sehr schnell mit geschätzten Geschwindigkeiten von etwa tausend Metern pro Sekunde aus der Halterung geschleudert wurden.

Diese Versuche belegen, dass sich Silizium-Nanodrähte selbst mit größeren Durchmessern von etwa 100 Nanometern verblüffend stark dehnen lassen. Dank dieser Elastizität könnte man sie nun für flexible Elektronik­module oder medizinische Sensor­systeme, die derzeit in Entwicklung stehen, anwenden. Doch Yang Lu sieht noch einen weiteren Vorteil für die hochelastischen Nanodrähte.

„Bei Gitterdehnungen von mehr als zehn Prozent könnte sich die Bandstruktur von gestrecktem Silizium disruptiv ändern“, sagt Lu. Denn nur um zwei Prozent gedehntes Silizium, das bereits seit Jahren in leistungs­fähigen Prozessoren genutzt wird, zeigt schon eine signifikant erhöhte Elektronen­beweglichkeit. Von noch stärkeren Dehnungen werden daher noch deutlichere Veränderungen der elektronischen Eigenschaften erwartet. Lu ist davon überzeugt, dass seine Experimente hin zu einer gezielten Optimierung des Halbleiter­materials über elastischen Dehnungen führen könnte. Weitere Messungen könnten in Zukunft das Potenzial dieses „Elastic-Strain-Engineering“ offenbaren.

Jan Oliver Löfken

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