18.05.2017

Simulator für komplexe Quantensysteme

Experiment zeigt Quantenkorrelationen bis zur zehnten Ordnung.

In Quanten­simulatoren kann man bislang unbe­antwortbaren Fragen nachgehen. Was geschah am Beginn des Uni­versums? Wie kann man die Struktur von Quanten­materialien verstehen? Wie funk­tioniert der Higgs-Mecha­nismus? Eine Grundlage für diese funda­mentalen Fragen bieten Quanten­feldtheorien. Sie betrachten Teilchen nicht getrennt von­einander, sondern als ein großes Feld, das unser ganzes Uni­versum erfüllt. Manchmal sind solche Theorien aber nur sehr schwer experi­mentell zu überprüfen. Am Vienna Center for Quantum Science and Tech­nology VCQ an der Tech­nischen Uni­versität Wien konnte nun gezeigt werden, wie man Quante­nfeldtheorien in Expe­rimenten gezielt testen kann. Dazu stellten die Forscher ein Quanten­system aus tausenden ultra­kalten Atomen her, die fest­gehalten in einer magne­tischen Falle auf einem Atom-Chip, zu einem Quanten­simulator werden. Dieser kann Auskunft über ganz andere physi­kalische Systeme liefern und so dabei helfen, grund­legende Fragen der Physik zu beant­worten.

Abb.: Ein Atom-Chip in dieser Vakuumkammer bildet den Kern des Quantensimulators. (Bild: TU Wien)

„Ultra­kalte Atome bieten nun einen natür­lichen Zugang, grund­legende physika­lische Quanten­prozesse im Labor nach­zubauen und zu unter­suchen“, erklärt Jörg Schmied­mayer vom Atom­institut der TU Wien. Charak­teristisch für ein solches System aus mehreren tausend Bestand­teilen ist, dass man seine Einzel­teile nicht getrennt von­einander unter­suchen kann. Bei klas­sischen Systemen, wie wir sie aus unserem Alltag kennen, ist das ganz anders: Die Bahnen der Kugeln auf einem Billard­tisch kann man getrennt von­einander ana­lysieren – nur wenn die Kugeln aneinander­stoßen, wirken sie auf­einander ein.

„In einem hoch­korrelierten Quanten­system aus mehreren tausenden Teilchen wie dem unseren ist die Kom­plexität so hoch, dass es mathe­matisch nicht möglich ist, die Bestand­teile getrennt von­einander sinnvoll zu beschreiben“, erklärt Thomas Schweigler. „Statt­dessen beschreibt man das System mithilfe kollek­tiver Prozesse an denen eine Vielzahl von Teilchen beteiligt ist, ähnlich wie Wellen in Flüssig­keiten, die ja auch aus unzäh­ligen Molekülen bestehen.“ Diese kollek­tiven Prozesse wurden nun mithilfe neuer Methoden aufs Genaueste unter­sucht.

Wenn man mit hoher Präzi­sion misst, an welchen Posi­tionen sich die einzelnen Atome befinden, stellt man fest: Nicht an jedem Punkt ist die Wahrschein­lichkeit, ein Atom zu finden, gleich groß. Und diese Wahrschein­lichkeiten an unter­schiedlichen Orten stehen mit­einander in Verbindung. „Wenn ich in einem gewöhn­lichen Gas an zwei bestimmten Punkten jeweils ein Teilchen messe, ändert das nichts an der Wahrschein­lichkeit dafür, an einem anderen Punkt ein drittes Teilchen zu messen“, sagt Jörg Schmiedmayer. „Doch in der Quanten­physik hängen Messungen an unter­schiedlichen Orten auf ganz subtile Weise zusammen. Damit geben sie Auskunft über die grund­legenden Natur­gesetze, die das Verhalten der atomaren Wolke auf dem Level der Quanten bestimmen“

Abb.: Am Interferenz-Muster der Atom-Wolken erkennt man subtile Quanten-Korrelationen. (Bild: TU Wien)

„Die Korrelations­funktionen, mit denen man diese Zusammen­hänge mathe­matisch beschreibt, gelten in der theore­tischen Physik als äußerst wichtiges Instrument zur Charak­terisierung von Quanten­systemen“, betont Jürgen Berges vom Institut für Theo­retische Physik der Uni­versität Heidelberg. Doch während sie in der theo­retischen Forschung schon bisher stets eine ent­scheidende Rolle spielten, waren sie im Experiment bisher kaum zugäng­lich. Mit Hilfe der an der TU Wien entwickelten Methoden ändert sich das nun. „Wir können uns Korre­lationen unter­schiedlicher Ordnung ansehen – bis hin zur zehnten Ordnung. Dabei werden die Zusammen­hänge zwischen den Ergebnissen von gleich­zeitigen Messungen an zehn ver­schiedenen Punkten im Raum bestimmt“, erklärt Schmied­mayer. „Für die Beschreibung des Quanten­systems ist es ganz wichtig, ob die höheren Korre­lationen durch die Korre­lationen niedriger Ordnung dargestellt werden können. Dann kann man sie irgendwann vernach­lässigen. Oder ob sie neue Information enthalten, und man das System vielleicht mit klas­sischen Computern niemals voll­ständig beschreiben kann.“

Anhand solcher hoch­korrelierter Systeme wie der Atomwolke in der magne­tischen Falle kann man nun verschiedene Theorien testen und die Natur der Quanten­korrelationen besser verstehen. Diese Quanten­korrelationen spielen für scheinbar ganz unter­schiedliche physi­kalische Fragen eine ent­scheidende Rolle – etwa für die Eigen­schaften des jungen Uni­versums direkt nach dem Urknall, aber auch für spezielle neue Materialien wie etwa die topo­logischen Iso­latoren.

TU Wien / JOL

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