16.05.2023

Simulierte Bilder aus dem Kohlenstoffkern

Nukleonen ballen sich zu Gruppen aus je zwei Neutronen und zwei Protonen zusammen.

Wie sieht es im Innern eines Kohlenstoff-Atomkerns aus? Eine neue Studie des Forschungs­zentrums Jülich, der Michigan State University und der Universität Bonn gibt darauf erstmals eine umfassende Antwort. Die Forschenden haben darin sämtliche bekannten Energie­zustände des Kerns simuliert. Darunter ist auch der rätsel­hafte Hoyle-Zustand. Gäbe es ihn nicht, würden Kohlenstoff und Sauerstoff im Weltall nur in winzigen Spuren vorkommen. Letztlich verdanken wir ihm damit auch unsere eigene Existenz. 

Abb.: Die Neutronen und Protonen liegen im Kohlenstoffkern als drei...
Abb.: Die Neutronen und Protonen liegen im Kohlenstoffkern als drei Vierercluster vor. Diese können je nach Energiezustand des Kerns zu einem gleichseitigen Dreieck oder wie ein leicht gebeugter Arm angeordnet sein. (Bild: S. Elhatisari, U. Bonn)

Der Kern eines Kohlenstoff­atoms besteht normalerweise aus sechs Protonen und sechs Neutronen. Doch wie sind diese genau angeordnet? Und wie ändert sich ihre Konfiguration, wenn man den Kern mit energie­reicher Strahlung beschießt? Seit Jahrzehnten sucht die Wissenschaft nach Antworten auf diese Fragen. Denn sie könnten nicht zuletzt den Schlüssel zu einem Rätsel liefern: Warum findet sich im All überhaupt eine nennenswerte Menge Kohlenstoff ? Kurz nach dem Urknall gab es nämlich nur Wasserstoff und Helium. Alle schwereren Elemente wurden erst viele Milliarden Jahre später von alternden Sternen erbrütet. Bei immensem Druck und extrem hohen Temperaturen verschmolzen in ihnen Helium- zu Kohlenstoff­kernen. Dazu müssen drei Helium-Kerne miteinander fusionieren. „Doch dass das passiert, ist eigentlich sehr unwahr­scheinlich“, erklärt Ulf Meißner vom Helmholtz-Institut für Strahlen- und Kernphysik der Universität Bonn und vom Institute for Advanced Simulation des Forschungs­zentrums Jülich. Grund: Die Helium-Kerne haben zusammen­genommen eine viel höhere Energie als ein Kohlenstoff­kern. Das sorgt aber nicht dafür, dass sie besonders bereitwillig fusionieren – im Gegenteil: Es ist, als wollten drei Personen auf ein Karussell aufspringen. Da sie aber viel schneller laufen, als sich das Karussell dreht, gelingt ihnen das nicht.

Schon in den 1950er Jahren postulierte der britische Astronom Fred Hoyle daher, dass sich die drei Helium­kerne zunächst zu einer Art Übergangs­zustand zusammenfinden. Dieser Hoyle-Zustand hat eine ganz ähnliche Energie wie die Helium­kerne. Um im Bild zu bleiben: Es ist eine schneller drehende Variante des Karussells, auf die die drei Passagiere daher problemlos aufspringen können. Wenn das geschehen ist, bremst das Karussell auf seine normale Geschwindigkeit ab. „Nur auf dem Umweg über den Hoyle-Zustand können Sterne überhaupt in nennenswerter Menge Kohlenstoff erbrüten“, sagt Meißner.

Vor gut zehn Jahren ist es ihm zusammen mit Kolleginnen und Kollegen aus den USA, vom Forschungszentrum Jülich und von der Ruhr-Universität Bochum zum ersten Mal gelungen, diesen Hoyle-Zustand zu simulieren. „Wir hatten damals bereits eine Vorstellung davon, wie die Protonen und Neutronen des Kohlen­stoff-Kerns in diesem Zustand angeordnet sind“, erklärt er. „Wir konnten aber nicht sicher nachweisen, dass diese Vorstellung auch zutrifft.“ Mit Hilfe einer weiterentwickelten Methode ist das den Forschenden nun gelungen. Diese basiert im Grunde auf einer Freiheits­beraubung: In der Realität können sich die Protonen und Neutronen nämlich an beliebigen Stellen im Raum aufhalten. Für ihre Berechnungen schränkte das Team diese Freiheit jedoch ein: „Wir ordneten unsere Kernteilchen auf den Knotenpunkten eines drei­dimensionalen Gitters an“, erläutert Meißner. „Wir erlaubten ihnen also nur bestimmte, streng definierte Positionen.“

Dank dieser Einschränkung war es möglich, die Bewegung der Nukleonen zu berechnen. Da die Kernteilchen sich je nach Abstand zueinander gegenseitig unterschiedlich stark beein­flussen, ist diese Aufgabe sehr komplex. Die Forschenden ließen ihre Simulation zudem mehrere Millionen Mal mit leicht veränderten Start­bedingungen laufen. Sie konnten so sehen, wo sich die Protonen und Neutronen mit der größten Wahrschein­lichkeit aufhielten. „Diese Kalkulationen haben wir für sämtliche bekannten Energiezustände des Kohlenstoff-Kerns durchgeführt“, sagt Meißner. Die Berechnungen erfolgten am Supercomputer Jewels des Forschungs­zentrums Jülich. Insgesamt erforderten sie rund fünf Millionen Prozessor-Stunden, wobei viele Tausend Prozessoren gleichzeitig arbeiteten.

Die Ergebnisse liefern gewissermaßen Bilder aus dem Kohlenstoff­kern. Sie belegen unter anderem, dass die Kernteilchen nicht unabhängig voneinander vorliegen. „Stattdessen sind sie zu Gruppen aus je zwei Neutronen und zwei Protonen geclustert“, erklärt der Physiker. Im Grunde sind die drei Helium-Kerne also noch nach ihrer Verschmelzung zum Kohlenstoff­kern nachweisbar. Je nach Energiezustand liegen sie in unter­schiedlichen räumlichen Formationen vor – entweder angeordnet zu einem gleichschenkligen Dreieck oder wie ein leicht gebeugter Arm, bei dem Schulter, Ellbogen­gelenk und Handgelenk jeweils von einem Cluster besetzt sind. Die Studie erlaubt es Forschenden nicht nur, die Physik des Kohlenstoff­kerns besser zu verstehen. Meißner: „Die von uns entwickelten Methoden lassen sich auch problemlos zur Simulation anderer Kerne nutzen und werden sicher zu ganz neuen Einblicken führen.“

U. Bonn / JOL

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