Sinn und Unsinn der strategischen Raketenabwehr
Die Bundeswehr bekommt ein neues Raketenabwehrsystem, die USA installieren in Osteuropa einen Raketenabwehrschirm. Physiker analysieren, ob diese Systeme mehr Sicherheit verschaffen.
Der 1968 geschlossene Anti Ballistic Missiles (ABM)-Vertrag limitierte zunächst den Aufbau eines „Raketenabwehrschildes“ zwischen den beiden Supermächten USA und Sowjetunion. Die Strategic Defense Initiative (SDI) von US-Präsident Ronald Reagan revitalisierte 1983 die technologische Entwicklung in den USA und führte unter den fünf folgenden US-Präsidenten zu verschiedenen neuen Konzepten von Ballistic Missile Defense (Raketenabwehr). Unkonventionelle Technologien wie Laserwaffen oder deren Stationierung im All wurden vorgeschlagen, doch letztlich wurden nur konventionelle Raketentechnologien permanent weiterentwickelt. Inzwischen haben nur Russland und die USA nationale Raketenabwehrsysteme in Betrieb. Sie entwickeln diverse regionale Systeme und zudem taktische Raketenabwehrsysteme gegen Kurzstreckenraketen. Länder wie Israel, China und Indien arbeiten ebenfalls an eigenen Raketenabwehrsystemen.
Eine Raketenabwehr benötigt drei wesentliche Komponenten: ein Sensornetzwerk zur Frühwarnung und Bahnverfolgung einer angreifenden Rakete, eine sehr schnell fliegende Abfangrakete (Interzeptor), die den angreifenden Gefechtskopf oder die Rakete zerstört und schließlich ein netzwerkbasiertes Battle-Management-System, das die Abfangvorgänge koordiniert und die Steuerung der Interzeptoren vornimmt. Die Raketenabwehr ist vor allem ein zeitkritischer Prozess (Abbildung). Sie kann nur erfolgreich sein, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind: 1) muss der Start der anfliegende Rakete detektiert und ihre weitere Bahntrajektorie nach Brennschluss rechtzeitig bestimmt werden, 2) muss eine Abfangrakete räumlich und zeitlich in der Lage sein, die anfliegende Rakete zu erreichen, und 3) muss der Gefechtskopf der anfliegenden Rakete von dem Kill-Vehicle durch eine direkte Kollision zerstört werden.
Exemplarischer Abfangprozess einer Mittelstreckenrakete durch ein schiffsgestütztes Abwehrsystem.
Christian Alwardt und Götz Neuneck vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg erläutern in der jüngsten Ausgabe von Physik in unserer Zeit die Physik hinter der Raketenabwehr und diskutieren deren Möglichkeiten und Grenzen. Dabei beziehen sie sich auf verfügbare Informationen beispielsweise bisheriger Raketentests sowie eigene Computersimulationen.
Ihr Fazit: Die bisherige Zuverlässigkeit von strategischen Raketenabwehrsystemen ist umstritten, da man nur auf einfache Tests und Simulationen zurückgreifen kann. Mathematische Modelle zeigen, dass die heute in Europa stationierten Abfangraketen russische Raketen in Richtung USA nicht erreichen, da sie zu langsam sind. Bei stetiger Modernisierung kann sich dies aber ändern und zu einem Wettrüsten führen. Einige Staaten sehen dies als eine Gefahr für die Strategische Stabilität und als ein wesentliches Hindernis für weitere nukleare Abrüstung an.
Den vollständigen Artikel finden Sie hier bis zum 31.7.2015 hier zum freien Download (danach nur noch mit Online-Abo).