Skyrmionen sichtbar gemacht
Die Magnetisierung von schraubenförmig magnetisierten Materialien kann man verknoten, wie elektronenmikroskopische Aufnahmen zeigen.
Die Magnetisierung von schraubenförmig magnetisierten Materialien kann man verknoten, wie elektronenmikroskopische Aufnahmen zeigen.
Anscheinend findet jede gute Idee aus der mathematischen Physik früher oder später eine Entsprechung in der Realität. Ein Beispiel sind die 1962 vom britischen Physiker Tony Skyrme berechneten topologischen Solitonen, mit denen er Mesonen und Baryonen als in sich verknotete Wirbel in einem Quantenfeld erklärte. Diese Skyrmionen wurden von Quarks und Gluonen aus der Teilchenphysik verdrängt, doch in der Festkörperphysik ist Skyrmes Entdeckung auf fruchtbaren Boden gefallen. In bestimmten magnetischen Materialien hat die Magnetisierung die Struktur eines Gitters aus Skyrmionen, wie Sebastian Mühlbauer und Christian Pfleiderer 2009 zeigen konnten. Jetzt haben japanische Forscher dieses Gitter und sogar einzelne Skyrmionen direkt sichtbar gemacht.
Abb.: Vom Streifenmuster zum Skyrmionengitter: An dünnen Schichten des chiralen Magneten Fe0,5Co0,5Si konnten jetzt erstmals Skyrmionen direkt sichtbar gemacht werden. (Bild: X. Z. Yu et al., Nature)
Yoshinori Tokura von der University of Tokyo und seine Kollegen haben die Magnetisierung dünner Schichten des chiralen Magneten Fe0,5Co0,5Si bei Temperaturen unter 40 K untersucht. Der lokale Magnetisierungsvektor dieser Substanz, die keine Inversionssymmetrie besitzt, dreht sich entgegen dem Uhrzeigersinn, wenn man sich längs einer Kristallachse bewegt. Die Spitze des Vektors beschreibt dabei eine Schraubenlinie mit einer Ganghöhe von 90 nm. Da die untersuchten Schichten dünner als die Ganghöhe waren, konnten sich solche Magnetisierungsschrauben nur parallel zur Schicht ausbilden, nicht aber senkrecht zu ihr.
Die Forscher machten die räumliche Struktur der Magnetisierung mit Lorentz-Transmissionselektronenmikroskopie sichtbar. Dabei wurden die TEM-Elektronen durch die Lorentz-Kraft abgelenkt, die sie aufgrund der lokalen Magnetisierung der Schicht erfahren. Aus der Modulation der Elektronenintensität ließ sich die Magnetisierung parallel zu Schicht rekonstruieren.
Die schraubenförmige Magnetisierung in der Schicht erschien auf den Lorentz-TEM-Bildern als Streifenmuster, wobei die Magnetisierungsrichtungen benachbarter Streifen entgegengesetzt waren und jeweils entlang der Streifen zeigten. Die Periode des Streifenmusters betrug 90 nm. Mit einem 80 mT starken Magnetfeld senkrecht zur Schicht konnte man das Streifenmuster zerstören und einen ferromagnetischen Zustand erzwingen, in dem die Magnetisierung der Schicht in Feldrichtung zeigte.
Interessant wurde es für Magnetfeldstärken zwischen 20 und 70 mT. Hier musste die Magnetisierung einen Kompromiss zwischen dem ferromagnetischen und dem schraubenförmigen Zustand eingehen. Dabei entstanden Magnetisierungsstrukturen, die sich als Skyrmionen erwiesen. Bei 20 mT wurden die Magnetisierungsstreifen unterbrochen und es tauchten einzelne, kreisförmige Magnetisierungsbereiche mit einem Durchmesser von knapp 90 nm auf. Mit zunehmender Feldstärke entstanden immer mehr von diesen kreisförmigen Strukturen, die bei 50 mT ein hexagonales Gitter bildeten. Bei etwa 70 mT verschwanden diese Strukturen und die Schicht wurde ferromagnetisch.
Dass es sich bei den kreisförmigen Strukturen tatsächlich um Skyrmionen handelte, zeigte ein Vergleich von numerischen Simulationen und detaillierten Lorentz-TEM-Aufnahmen. Demnach war im Zentrum einer solchen Struktur die Magnetisierung senkrecht zur Schicht gerichtet, und zwar gegen die Magnetfeldrichtung. Mit zunehmender Entfernung vom Zentrum richtete sich die lokale Magnetisierung parallel zur Schichtebene aus, wobei sie gegen den Uhrzeigersinn orientiert war. Bei noch größerem Abstand vom Zentrum richtete sich die Magnetisierung schließlich in Feldrichtung aus. Auf diese Weise wurde ein Kompromiss zwischen Schraubenstruktur und ferromagnetischer Ausrichtung gefunden, sodass die Magnetisierungsenergie so klein wie möglich war. Dem trug auch die Anordnung der Skyrmionen in einem hexagonalen Gitter Rechnung.
Tokura und seine Mitarbeiter haben für die Magnetisierung der Schicht ein Phasendiagramm aufgestellt, indem sie systematisch die Feldstärke und die Temperatur änderten und die jeweils beobachteten Strukturen eintrugen. Dieses experimentell gewonnene Diagramm stimmte mit dem durch Monte-Carlo-Simulation erzeugten Diagramm gut überein. Demnach gibt es Magnetisierungszustände, bei denen einzelne Skyrmionen oder Teile eines Skyrmionengitters mit schraubenförmigen oder ferromagnetischen Zuständen koexistieren. Das Skyrmionengitter kann auch einzelne Versetzungen aufweisen, die die hexagonale Struktur stören.
Das hexagonale Skyrmionengitter ist ein neuartiger Magnetisierungszustand mit noch weitgehend unbekannten Eigenschaften und Möglichkeiten. So könnten z. B. magnetische Anregungen durch Fehlstellen im Skyrmionengitter transportiert werden. Die einzelnen Skyrmionen wiederum eröffnen neuartige Möglichkeiten, elektrische Ladungen mit magnetischen Anregungen wechselwirken zu lassen. Eine abstrakte Idee könnte auf diese Weise konkrete Anwendungen finden.
RAINER SCHARF
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