Speichern in der Grenzfläche
Konzept für nichtflüchtigen Speicher nutzt Leitfähigkeit von ferroelektrischen Domänengrenzen.
Angetrieben durch das ständige Wachsen der Datenmengen läuft die Suche nach alternativen Speicherkonzepten auf Hochtouren. Dabei rücken vor allem ferromagnetische Materialien immer mehr in den Fokus. Das prominenteste Beispiel dafür ist wohl IBMs Racetrack-
Abb.: Schematischer Aufbau der experimentellen Anordnung (links): Piezokraftmikroskopie-
Wie eine ganze Reihen von experimentellen Studien in den letzten Jahren gezeigt hat, können Domänengrenzen in ansonsten isolierenden, ferroelektrischen Materialien eine hohe elektrische Leitfähigkeit aufweisen. Dieser Effekt, der theoretisch bereits in den 1970er Jahren vorhergesagt wurde, könnte nun zur Entwicklung neuartiger, nichtflüchtiger Speicherelemente dienen: Indem sie in einem dünnen, ferroelektrischen Film unterschiedlich polarisierte Bereiche erzeugten, gelang es Seidel und seinen Kollegen, den Widerstand zwischen zwei Kontaktelektroden zu verändern und so ein Informationsbit zu speichern. Das Messen des Widerstands erfolgt über dieselben Elektroden und entspricht dem Auslesen der Daten.
„Wir haben einen Weg gefunden, die Domänengrenzen auf der Nanoebene zu stabilisieren“, sagt Seidel. Entscheidend dafür war dem Forscher zufolge die richtige Geometrie der Elektroden in Abhängigkeit des verwendeten ferroelektrischen Materials – einem dünnen, per Laserablation erzeugten Film aus Bismutferrit. Dieser weist von sich aus eine nahezu homogene Polarisierung auf und eignet sich daher besonders für die lokale Erzeugung von gegensätzlich polarisierten Bereichen. Ein kurzes Anlegen einer Spannung von acht Volt zwischen den beiden, einigen Hundert Nanometer voneinander entfernten Metallelektroden reicht, um den dazwischenliegenden Bereich dauerhaft umzupolen.
Die leitfähigen Ränder des umgepolten Bereichs verbinden nun die beiden Elektroden, und der Status kann durch eine einfache Widerstandsmessung bestimmt werden. Da hierfür eine Spannung von drei Volt ausreicht, wird die neu geschaffene Domäne durch das Auslesen auch nicht zerstört. Erst ein erneutes Anlegen einer Spannung von acht Volt mit entgegengesetzter Polarisation dreht die Dipole des Films wieder in ihre ursprüngliche Richtung und unterbricht die Verbindung zwischen den Elektroden. Während die größere der beiden Elektroden geerdet ist, wird die Spannung an die kleinere, etwa 400 Nanometer durchmessende Elektrode über die leitfähige Spitze eines Atomkraftmikroskops (AFM) angelegt.
Das Off-On Verhältnis, also das Verhältnis der elektrischen Widerstände ohne und mit Domänengrenzen, ist dabei größer als 1000 und auch die Speicherdauer von fast drei Stunden wirkt vielversprechend für zukünftige Anwendungen. Darüber hinaus konnten die Forscher ihr Speicherelement etwa tausendmal umschreiben, bevor es unbrauchbar wurde – und weisen darauf hin, dass womöglich nur die Abnutzung der AFM-Spitze für diesen Wert verantwortlich ist und er in Wahrheit womöglich deutlich höher liegt.
Als besonderen Vorteil ferroelektrischer Materialien sieht Seidel die Ausmaße ihrer Domänengrenzen. „Mit Dicken von etwa einem Nanometer sind sie zehn- bis hundertmal dünner als konventionelle, magnetische Domänengrenzen“, so der Forscher. „Das macht sie zu vielversprechenden, kontrollierbaren Nanostrukturen in Festkörpern.“ Die Domänen selbst wären in dieser Größenordnung dagegen üblicherweise instabil.
Da der Widerstand der Domänengrenzen nahezu exponentiell von ihrer Länge abhängt, ist es auch möglich, mehr als nur binäre Informationen zu speichern. Bereits Längenänderungen im Nanometerbereich führen zu großen, leicht messbaren Veränderungen des elektrischen Widerstands. Den Forschern zufolge ist es möglich, die Form des umgepolten Bereichs zwischen den Elektroden und damit die Länge der Grenzen über Stärke und Dauer des erzeugenden Spannungspulses zu beeinflussen. In ihrer aktuellen Studie beschränken sie sich jedoch darauf, Elektrodenpaare in verschiedenen Abständen auf unterschiedlichen Proben zu realisieren und die Widerstände zu messen. So zeigen sie, dass Domänengrenzen mit Längen von etwa 400, 200 und 100 Nanometern zu klar unterscheidbaren Widerständen führen. Wäre es tatsächlich möglich, diesen Effekt gezielt durch die angelegten Spannungspulse hervorzurufen, könnte das die Speicherdichte gegenüber binären Systemen deutlich erhöhen.
Problematisch sind dagegen die niedrige Schreibgeschwindigkeit und die hohe Spannung, die für die Umpolung nötig ist. Hier könnten Seidel und seinen Kollegen zufolge gezielt in den Film eingebaute Defekte, sogenannte „Hotspots“, für Abhilfe sorgen, indem sie lokal das elektrische Feld zwischen den Elektroden verstärken. Darüber hinaus schlagen die Forscher vor, in Zukunft die Anwendbarkeit einfach herzustellender Filme aus organischen Ferroelektrika auszuloten. Neben niedrigeren Kosten könnte das etwa auch die Herstellung flexibler Bauteile ermöglichen.
Thomas Brandstetter
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