27.06.2017

Speichern in der Grenzfläche

Konzept für nichtflüchtigen Speicher nutzt Leitfähigkeit von ferroelektrischen Domänengrenzen.

Angetrieben durch das ständige Wachsen der Datenmengen läuft die Suche nach alternativen Speicher­konzepten auf Hochtouren. Dabei rücken vor allem ferro­magnetische Materialien immer mehr in den Fokus. Das prominenteste Beispiel dafür ist wohl IBMs Racetrack-Speicher, der Bits in den unterschiedlich polarisierten Domänen entlang eines feinen Drahtes speichert. In den letzten Jahren erhalten aber auch ferro­elektrische Materialien immer mehr Aufmerksamkeit. Anstatt die Information in den Domänen selbst zu speichern, hat sich eine internationale Forscher­gruppe um den Australier Jan Seidel nun auf die Domänen­grenzen konzentriert.

Abb.: Schematischer Aufbau der experimentellen Anordnung (links): Piezokraf­tmikroskopie-Aufnahme des mit der gestrichelten Linie markierten Bereichs mit der kleinen Elektrode in der Mitte, dem nach links polarisieren Film (dunkel) und dem nach rechts umgepolten Bereich (hell) (rechts; Bild: P. Sharma et al.)

Wie eine ganze Reihen von experimentellen Studien in den letzten Jahren gezeigt hat, können Domänen­grenzen in ansonsten isolierenden, ferro­elektrischen Materialien eine hohe elektrische Leit­fähigkeit aufweisen. Dieser Effekt, der theoretisch bereits in den 1970er Jahren vorhergesagt wurde, könnte nun zur Entwicklung neuartiger, nicht­flüchtiger Speicher­elemente dienen: Indem sie in einem dünnen, ferro­elektrischen Film unterschiedlich polarisierte Bereiche erzeugten, gelang es Seidel und seinen Kollegen, den Widerstand zwischen zwei Kontakt­elektroden zu verändern und so ein Informationsbit zu speichern. Das Messen des Widerstands erfolgt über dieselben Elektroden und entspricht dem Auslesen der Daten.

„Wir haben einen Weg gefunden, die Domänengrenzen auf der Nanoebene zu stabilisieren“, sagt Seidel. Entscheidend dafür war dem Forscher zufolge die richtige Geometrie der Elektroden in Abhängigkeit des verwendeten ferro­elektrischen Materials – einem dünnen, per Laser­ablation erzeugten Film aus Bismut­ferrit. Dieser weist von sich aus eine nahezu homogene Polarisierung auf und eignet sich daher besonders für die lokale Erzeugung von gegensätzlich polarisierten Bereichen. Ein kurzes Anlegen einer Spannung von acht Volt zwischen den beiden, einigen Hundert Nanometer voneinander entfernten Metall­elektroden reicht, um den dazwischen­liegenden Bereich dauerhaft umzupolen.

Die leitfähigen Ränder des umgepolten Bereichs verbinden nun die beiden Elektroden, und der Status kann durch eine einfache Widerstands­messung bestimmt werden. Da hierfür eine Spannung von drei Volt ausreicht, wird die neu geschaffene Domäne durch das Auslesen auch nicht zerstört. Erst ein erneutes Anlegen einer Spannung von acht Volt mit entgegen­gesetzter Polarisation dreht die Dipole des Films wieder in ihre ursprüngliche Richtung und unterbricht die Verbindung zwischen den Elektroden. Während die größere der beiden Elektroden geerdet ist, wird die Spannung an die kleinere, etwa 400 Nanometer durchmessende Elektrode über die leitfähige Spitze eines Atomkraft­mikroskops (AFM) angelegt.

Das Off-On Verhältnis, also das Verhältnis der elektrischen Widerstände ohne und mit Domänen­grenzen, ist dabei größer als 1000 und auch die Speicherdauer von fast drei Stunden wirkt vielversprechend für zukünftige Anwendungen. Darüber hinaus konnten die Forscher ihr Speicherelement etwa tausendmal umschreiben, bevor es unbrauchbar wurde – und weisen darauf hin, dass womöglich nur die Abnutzung der AFM-Spitze für diesen Wert verantwortlich ist und er in Wahrheit womöglich deutlich höher liegt.

Als besonderen Vorteil ferroelektrischer Materialien sieht Seidel die Ausmaße ihrer Domänen­grenzen. „Mit Dicken von etwa einem Nanometer sind sie zehn- bis hundertmal dünner als konventionelle, magnetische Domänen­grenzen“, so der Forscher. „Das macht sie zu vielversprechenden, kontrollierbaren Nano­strukturen in Festkörpern.“ Die Domänen selbst wären in dieser Größen­ordnung dagegen üblicherweise instabil.

Da der Widerstand der Domänengrenzen nahezu exponentiell von ihrer Länge abhängt, ist es auch möglich, mehr als nur binäre Informationen zu speichern. Bereits Längen­änderungen im Nanometer­bereich führen zu großen, leicht messbaren Veränderungen des elektrischen Widerstands. Den Forschern zufolge ist es möglich, die Form des umgepolten Bereichs zwischen den Elektroden und damit die Länge der Grenzen über Stärke und Dauer des erzeugenden Spannungs­pulses zu beeinflussen. In ihrer aktuellen Studie beschränken sie sich jedoch darauf, Elektroden­paare in verschiedenen Abständen auf unterschiedlichen Proben zu realisieren und die Widerstände zu messen. So zeigen sie, dass Domänen­grenzen mit Längen von etwa 400, 200 und 100 Nanometern zu klar unterscheidbaren Widerständen führen. Wäre es tatsächlich möglich, diesen Effekt gezielt durch die angelegten Spannungs­pulse hervorzurufen, könnte das die Speicher­dichte gegenüber binären Systemen deutlich erhöhen.

Problematisch sind dagegen die niedrige Schreib­geschwindigkeit und die hohe Spannung, die für die Umpolung nötig ist. Hier könnten Seidel und seinen Kollegen zufolge gezielt in den Film eingebaute Defekte, sogenannte „Hotspots“, für Abhilfe sorgen, indem sie lokal das elektrische Feld zwischen den Elektroden verstärken. Darüber hinaus schlagen die Forscher vor, in Zukunft die Anwendbarkeit einfach herzustellender Filme aus organischen Ferro­elektrika auszuloten. Neben niedrigeren Kosten könnte das etwa auch die Herstellung flexibler Bauteile ermöglichen.

Thomas Brandstetter

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