Spinaron: Neuer Quanteneffekt erstmals nachgewiesen
Spin eines Kobalt-Atoms auf einer Kupfer-Fläche schaltet permanent hin und her – und regt so Kupfer-Elektronen an.
Forscher des Würzburg-Dresdner Exzellenzclusters ct.qmat haben erstmals den neuen Spinaron-Quanteneffekt nachgewiesen. Unter extremen Laborbedingungen und mit einer ausgefeilten Instrumenten-Kombination konnten sie den ungewöhnlichen Zustand, den ein Kobalt-Atom auf einer Kupfer-Fläche einnehmen kann, tatsächlich belegen. Damit steht der Kondo-Effekt auf dem Prüfstand – ein theoretisches Konzept, das in den 1960er-Jahren entwickelt wurde und seit den 1980er-Jahren als Standardmodell für die Wechselwirkung magnetischer Materialien mit Metallen gilt.
Im Labor der Experimentalphysiker Matthias Bode und Artem Odobesko herrschen extreme Bedingungen. Diese helfen den Forschern vom Exzellenzcluster ct.qmat, neue Quanteneffekte zu erforschen – wie den Spinaron-Effekt. Hierfür haben die Physiker einzelne Kobalt-Atome auf einer Kupfer-Fläche platziert, auf 1,4 Kelvin abgekühlt und anschließend einem sehr starken äußeren Magnetfeld ausgesetzt. „Der Magnet, mit dem wir dieses starke Feld erzeugen können, kostet eine halbe Million Euro. Den gibt es nicht überall“, erklärt Bode. Die Wissenschaftler haben dann untersucht, was in dem Material passiert – und Überraschendes entdeckt.
„Die einzelnen Kobalt-Atome können wir durch ein Rastertunnelmikroskop sehen. Jedes Atom trägt einen Spin, den man sich als magnetischen Nord- oder Südpol vorstellen kann. Seine Messung war entscheidend für unsere überraschenden Entdeckungen“, beschreibt Bode. „Wir haben ein magnetisches Kobalt-Atom auf eine nichtmagnetische Kupfer-Schicht aufgedampft, dann reagiert es mit deren Elektronen.“ Die Erforschung solcher Korrelationseffekte in Quantenmaterialien ist eines der zentralen Wissenschaftsfelder des Exzellenzclusters ct.qmat und könnte in Zukunft eine Grundlage für revolutionäre technische Anwendungen sein.
Seit den 1960er-Jahren geht die Festkörperphysik davon aus, dass die Effekte der Kobalt-Kupfer-Materialkombination mit dem Kondo-Effekt erklärt werden können. Dabei heben sich die unterschiedlichen magnetischen Ausrichtungen von Kobalt-Atom und Kupfer-Elektronen gegenseitig auf. In der Folge entsteht ein Zustand, in dem sich die Kupfer-Elektronen um das Kobalt-Atom sammeln und es abschirmen – als „Kondo-Wolke“ bezeichnet. Bode und sein Team haben in ihrem Labor nun erstmals genauer hingeschaut und einen alternativen Erklärungsansatz bewiesen, den der theoretische Physiker Samir Lounis vom Forschungszentrum Jülich 2020 aufgestellt hat.
Durch das starke externe Magnetfeld und die Verwendung einer Eisenspitze im Rastertunnelmikroskop konnten die Wissenschaftler die magnetische Ausrichtung des Kobalt-Spins bestimmen. Dieser Spin ist nicht starr, sondern schaltet permanent hin und her, also von „Spin-up“ zu „Spin-down“ und umgekehrt. Durch dieses Schalten werden die Kupfer-Elektronen angeregt. Es kommt zum Spinaron-Effekt.
„Durch den ständigen Wechsel der Spin-Ausrichtung kann man den Zustand des Kobalt-Atoms mit einem Rugby-Ball vergleichen. Wenn sich ein Rugby – in unserem Fall das Kobalt-Atom – in einem Bällebad anhaltend dreht, werden die runden Bälle drumherum wellenartig verdrängt. Genau das passiert mit den Kupfer-Elektronen, die in Schwingung verfallen und an das Kobalt-Atom gebunden werden. Dieses Gemisch aus sich ändernder Magnetisierung des Kobalt-Atoms und den daran gebundenen Elektronen des Kupfers ist das von unserem Jülicher Kollegen vorhergesagte Spinaron“, so Bode.
Der erste experimentelle Nachweis des Spinaron-Effekts durch das Team stellt den Kondo-Effekt jetzt auf den Prüfstand. Bisher galt er als universelles Erklärungsmodell für die Wechselwirkung von magnetischen Atomen mit Elektronen in Quantenmaterialien wie der Kobalt-Kupfer-Kombination. „In den Lehrbüchern für das Physik-Studium muss mindestens eine große Fußnote ergänzt werden“, so Bode.
Beim Spinaron-Effekt bewegt sich das Kobalt-Atom also immer und bleibt trotz der Wechselwirkung mit den Elektronen magnetisch. Beim Kondo-Effekt wird das magnetische Moment durch die Wechselwirkung mit den Elektronen hingegen aufgehoben. „Unser Ergebnis ist wichtig, um die Physik von magnetischen Momenten auf Metalloberflächen zu verstehen“, meint Bode. In Zukunft könnten solche Effekte vielleicht genutzt werden, um Informationen magnetisch zu kodieren und in neuartigen elektronischen Bauteilen zu transportieren. Unter der Bezeichnung „Spintronik“ könnte dies dazu führen, dass die Informationstechnologie nachhaltiger und energiesparender wird.
Ob das allerdings genau mit dieser Kobalt-Kupfer-Materialkombination realisiert werde, sei fraglich, wie Bode sagt: „Schlussendlich haben wir bei ultratiefen Temperaturen auf einer ultrareinen Oberfläche im Hochvakuum einzelne Atome manipuliert – das wird in einem Handy so nie passieren. Der Korrelationseffekt ist zwar ein fundamental bedeutender Meilenstein der Grundlagenforschung, um Verhalten von Materie zu verstehen, aber daraus kann ich keinen tatsächlichen Schalter bauen.“
Derzeit konzentriert sich Odobesko in Zusammenarbeit mit dem Theoretiker Lounis vom Forschungszentrum Jülich erst einmal darauf, die zahlreichen Publikationen, die den Kondo-Effekt seit den 1960er-Jahren in verschiedenen Materialkombinationen beschreiben, großformatig zu überprüfen. „Wir vermuten, dass ein Großteil davon eigentlich der Spinaron-Effekt sein wird. Dann schreiben wir die Geschichte der theoretischen Quantenphysik um“, ist Odobesko überzeugt.
Ct.qmat / RK