Spins bei Zimmertemperatur verschränkt
Meilenstein auf dem Weg zum Festkörper-Quantencomputer.
Zukünftige Quantencomputer, die einige Tausend quantenmechanisch verschränkte Qubits verarbeiten, wären herkömmlichen Elektronenrechnern haushoch überlegen. Einen wichtigen Schritt zu diesem Ziel hin haben Forscher in Chicago gemacht: Sie haben Spin-Qubits in Fehlstellen eines Siliziumkarbidkristalls bei Zimmertemperatur gespeichert und paarweise miteinander verschränkt.
Abb.: Eine Fehlstelle im Siliziumkarbidkristall (PL6-Farbzentrum) besitzt einen Spin S=1, der mit einem Kernspin I = ½ eines benachbarten Silizium-29-Kerns gekoppelt ist. Diese beiden Spins wurden jetzt quantenmechanisch verschränkt. (Bild: P. V. Klimov et al., AAAS)
Auf dem Weg zum Quantencomputer verfolgt man gegenwärtig zwei konkurrierende Ansätze zur Speicherung der Qubits. Entweder verwendet man dazu einzelne Atome, die isoliert in Fallen festgehalten werden, oder bestimmte Fehler in Kristallen, die Elektronen- oder Kernspins tragen. Bei diesem zweiten Ansatz will man die weitentwickelten Möglichkeiten der Halbleitertechnologie nutzen.
Große Fortschritte hat man mit Diamanten gemacht, die Stickstofffehlstellen enthalten. Bei solch einem Fehler im Diamantgitter tritt ein Stickstoffatom an die Stelle zweier benachbarter Kohlenstoffatome. Die Fehlstelle trägt einen von Elektronen herrührenden Spin S = 1, mit dem man ein Qubit selbst bei Zimmertemperatur über eine Zeitspanne speichern kann, in der sich viele Qubit-Operationen durchführen ließen.
Auf eine Fehlstelle in einem anderen Kristall setzen David Awschalom und seine Kollegen von der University of Chicago ihre Hoffnung. Sie verwenden den Halbleiter Siliziumkarbid (SiC), der eine Bandlücke von 3 eV hat und in der Leistungselektronik zum Einsatz kommt. Bei einer Doppelleerstelle fehlen auf benachbarten Gitterplätzen je ein Kohlenstoff- und ein Siliziumatom. Auch dieser Fehler trägt einen Spin S = 1, der ein Qubit speichern kann.
Wie die Forscher vor vier Jahren gezeigt hatten, weisen die Fehlstellen im Siliziumkarbid auch bei Raumtemperatur eine große Kohärenzzeit auf, sodass sie Qubits mit ihnen ähnlich lange speichern konnten wie mit Stickstofffehlstellen im Diamanten. Infrarotlicht brachte die einem Magnetfeld ausgesetzten Fehlstellen in den Anfangszustand, dann wurde auf sie mit abgestimmten Mikrowellen ein Qubit geschrieben. Dabei wurden die Spinzustände |-1 und |0 der Fehlstellen benutzt, die im Magnetfeld unterschiedliche Energien hatten.
Siliziumkarbid enthält neben den gängigen Isotopen Kohlenstoff-12 und Silizium-28 auch in geringer Menge Kohlenstoff-13 (zu 1,1 %) und Silizium-29 (zu 4,7 %), deren Atomkerne einen Kernspin I = ½ tragen (Zustände: |↓ und |↑). Befindet sich der Kernspin in der Nähe einer Fehlstelle, so wird er durch die Hyperfeinwechselwirkung mit dem Fehlstellenspin gekoppelt. Auf Grund des Magnetfeld haben die vier Zustände |0,↓, |0,↑, |-1,↓ und |-1,↑ unterschiedliche Energien, sodass man sie mit Mikro- und Radiowellen einzeln anregen kann.
Awschalom und seine Mitarbeiter haben einen SiC-Chip bei Zimmertemperatur in ein Magnetfeld von bis zu 33 mT gebracht und Mikro- und Radiowellenpulsen ausgesetzt, die die Elektronen- bzw. Kernspinübergänge antrieben. Dabei wurden immer gleichzeitig etwa tausend Paare von gekoppelten Elektronen- und Kernspins in gleicher Weise beeinflusst und in den gewünschten Zustand gebracht. So erhielten die Forscher „hybride Quantenregister“ mit zwei Qubits.
Abb.: Die vier realisierten Bell-Zustände haben eine Lebensdauer von bis zu 0,3 µs, wie man aus dem Abklingen des Verschränkungsgrades ablesen kann. R1 und R2 bezeichnen unterschiedliche Spinensembles, bei denen die Kernspins relativ zu den Fehlstellen auf unterschiedlichen Gitterplätzen sitzen. (Bild: P. V. Klimov et al., AAAS)
Mit den Quantenregistern realisierten sie der Reihe nach jeden der vier maximal verschränkten Bell-Zustände (z. B. |-1,↓ + |0,↑ oder |-1,↑ – |0,↓). Dazu führten sie an den Qubits „bedingte“ Rotationen durch, bei denen der Elektronenspin um einen bestimmten Winkel und mit einer bestimmten Phase gedreht wurde, die vom Kernspinzustand abhing. Ob tatsächlich der gewünschte Zustand vorlag, prüften die Forscher durch optische Lumineszenz.
Dazu bestrahlten sie den SiC-Chip gleichzeitig mit Infrarotlicht und mit resonanter Mikrowellen- oder Radiostrahlung. Dabei beobachteten sie, wie sich die Intensität der Lumineszenz änderte, woraus sie den Zustand des Elektronenspins bzw. des Kernspins ermitteln konnten. Bei diesen Verfahren spricht man von optisch detektierter magnetischer Resonanz bzw. kernmagnetischer Resonanz.
Die Messungen zeigten, dass die Elektronenspins zu 93 % und die Kernspins zu 99 % polarisiert werden konnten. Damit ließ sich der Ausgangszustand |0,↑ mit einer Fidelity von 0,95 realisieren. Bei der Verwirklichung der Bell-Zustände wurde eine Fidelity von 0,88 erreicht. Der anfängliche Grad der Verschränkung zwischen Elektronen- und Kernspins betrug nach dem „Peres-Horodecki-Test“ -0,4, wobei -0,5 der Idealwert ist. Die Lebensdauer der Bell-Zustände lag bei etwa 0,3 μs – bei Zimmertemperatur! Durch „dynamische Kopplung“, die bestimmte Dekohärenzprozesse ausschaltet, sollte sich die Lebensdauer noch vergrößern lassen.
Rainer Scharf
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