29.05.2017

Spins mit hoher Lebenserwartung

Exziton-Spins in Perowskit weisen vielversprechende Eigenschaften für zukünftige Spintronikanwendungen auf.

Spintronik soll die nächste Revolution in der Daten­verarbeitung bringen. Während die Weiterentwicklung herkömmlicher Elektronik, die auf dem Transport elektrischer Ladungen basiert, schon bald an fundamentale Grenzen stoßen wird, birgt der Spin von Elektronen oder Quasiteilchen – zumindest theoretisch – enormes Potenzial. Nicht nur bietet sich seine Orientierung zur Speicherung binärer Information an, er lässt sich auch schnell und mit geringem Energie­aufwand umschalten. Auf der Suche nach geeigneten Materialien für die neue Technologie halten Wissenschaftler Ausschau nach zwei wichtigen Eigenschaften: Die Spins sollen sich leicht manipulieren lassen und gleichzeitig eine lange Lebens­dauer aufweisen. Eine Forschergruppe der Universität von Utah hat nun Exzitonen in einem Perowskit mit Hilfe von Laserpulsen ausgerichtet und festgestellt, dass die erzeugte Polarisation der Spins überraschend stabil ist.

Abb.: Ein zirkular polarisierter Laserpuls richtet die Spins aus, ein zweiter, zeitlich verzögerter Puls detektiert die Präzession der Spins in einem externen Magnetfeld (Mitte). Die Perowskitstruktur (links oben). Messung der Schwebung der Spins von Elektronen und Löchern (rechts unten). (Bild: P. Odenthal)

Im Allgemeinen besteht ein Spintronikelement aus Elektroden mit optimierten Grenz­flächen für Injektion bzw. Nachweis der Spins und einem Medium, in dem die Spins transportiert und manipuliert werden können. Während in den letzten beiden Jahrzehnten signifikante Fortschritte in der Entwicklung der einzelnen Komponenten zu verzeichnen waren, stellt die Realisierung eines praktikablen Transistors noch eine Heraus­forderung dar. Dabei kommt vor allem der Suche nach Materialien mit geeigneter Spin-Bahn-Kopplung große Bedeutung zu: Ein geringer Wert steht für lange Spinlebens­dauer und tritt etwa in Materialien wie Graphen, Silizium oder Diamant auf. Ein hoher Wert dagegen verheißt in der Regel die Möglichkeit, Spins leicht erzeugen und manipulieren zu können und lässt sich etwa in Materialien wie Gallium­arsenid oder Platin realisieren.

Trotz ihrer beeindruckenden Erfolgsgeschichte in den letzten Jahren als Grundmaterial für Solarzellen und Leuchtmittel steht die Erforschung von Perowskiten für mögliche Spintronik­anwendungen noch am Anfang. Erst kürzlich haben Forscher entdeckt, dass ein spezieller Vertreter dieser Material­klasse die Möglichkeit aufweist, seine magnetischen Spins mithilfe elektrischer Felder zu manipulieren – eine wichtige Eigenschaft für die Entwicklung von Spintronik­bauteilen. Darüber hinaus lassen sich sowohl Bandlücke als auch Spin-Bahn-Kopplung von Perowskiten durch die chemische Substitution ihrer Elemente einstellen. Diese Flexibilität, zusammen mit der Möglichkeit, die Spins optisch auszurichten und zu detektieren, machen das Material zu einem vielversprechenden Kandidaten für Spintronik.

Wie die amerikanischen Forscher um Yan S. Li nun in ihrer aktuellen Studie demonstrieren, weist Perowskit auf Basis von Blei und Jod bei einer Temperatur von vier Kelvin Spins mit einer unerwartet langen Lebens­dauer von über einer Nano­sekunde auf. Eigentlich haben beide Elemente aufgrund ihrer Masse eine starke Spin-Bahn-Kopplung, was üblicherweise zu einer schnellen Relaxation der Spins führt. „Die meisten Leute, die in diesem Forschungsfeld arbeiten, würden nicht erwarten, dass das Material so lange Spinlebens­zeiten aufweist. Auch uns hat das überrascht“, sagt Li. „Die genaue Ursache dafür kennen wir noch nicht, aber wahrscheinlich handelt es sich um eine intrinsische Eigenschaft des Materials selbst.“

Für ihre Untersuchungen erzeugten Li und ihre Kollegen auf einem Glassubstrat mittels Rotations­beschichtung einen dünnen, poly­kristallinen Film des Materials mit einer durchschnittlichen Korngröße von etwa 200 Nanometern. Zur Förderung der Kristall­bildung fügten sie während der Herstellung noch Chlor bei, das sich aber im Laufe der Verarbeitung wieder verflüchtigte. Die Ausrichtung der Spins erfolgte durch Bestrahlung mit einem 150 Femto­sekunden langen, zirkular polarisierten Laserpuls, der genau auf die Energie der Exzitonen bei 1,64 Elektronen­volt eingestellt war und eine Bandbreite von 8,5 Milli­elektronen­volt aufwies. Für die Messung des zeitlichen Verlaufs der Spins dienten Pulse aus linear polarisiertem Licht. Die Verzögerung zwischen Anregung und Messung wurde über eine Verzögerungs­strecke im optischen Weg des Messpulses eingestellt.

Neben der Bestimmung der Lebensdauer konnten die Forscher auch Schwebungen in den Präzessions­bewegungen der Elektronen und Löcher nachweisen, die gemeinsam die Exzitonen bilden. Dazu führten sie Experimente in externen Magnet­feldern durch und es gelang ihnen, aus den gemessenen Frequenzen über ein komplexes Effektive-Masse-Modell g-Faktoren für die Elektronen (g=2,63) und die Löcher (g=-0,33) zu ermitteln. Wie Li und ihre Kollegen betonen, ist Spin­polarisation für gewöhnlich sehr empfindlich gegenüber Verunreinigungen und Fehlstellen im Material, weshalb langlebige Spins üblicherweise in hochreinen Halbleitern beobachtet werden. Ihr Auftreten in einem poly­kristallinen Film lege also die Vermutung nahe, dass in einem Einkristall des gleichen Materials noch bessere Ergebnisse zu erwarten sind.

Thomas Brandstetter

DE

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