22.08.2017

Spürnase für topologische Quantenzustände

Gezieltes Aufheizen von Quantenmaterie macht exotische Materiezustände sichtbar.

In der Physik existieren gewisse Größen nur als ganzzahlige Vielfache elementarer und unteilbarer Bestandteile. Nun sagt ein internationales Team um Nathan Goldman von der Universität Brüssel und Peter Zoller vom Institut für Theoretische Physik der Universität Innsbruck und dem Institut für Quanten­optik und Quanten­information der Österreichischen Akademie der Wissenschaften eine neue Art von Quantisierungs­gesetz voraus. Dieses bezieht sich auf eine bestimmte physikalische Größe: die Aufheizrate von Quanten­materie, wenn sie geschüttelt wird. Dies lässt sich durch folgendes Beispiel verständlich machen: Heizt man einen Eiswürfel in einen Mikrowellenofen auf, werden die Wasser­moleküle angeregt und das Eis schmilzt immer rascher. Während des Aufheizens nimmt die Anzahl der Eismoleküle ab; ein Prozess, der mit einer Aufheiz­rate beziffert werden kann.

Abb.: In einem ultrakalten Gas sollte sich der Effekt besonders gut nachweisen lassen. (Bild: IQOQI Innsbruck / H. Ritsch)

Im nun erschienenen Artikel zeigen die Wissenschaftler um Goldman und Zoller, wie diese Aufheizrate unter bestimmten Umständen einem exakten Quantisierungs­satz folgt. „Dieses Phänomen tritt besonders dann auf, wenn das physikalische System, das ursprünglich einen exotischen Materie­zustand, nämlich eine topologische Phase, bildet, in kontrollierter Weise erhitzt wird“, erklärt Peter Zoller. „Durch das Aufheizen werden Teilchen aus der topologischen Phase ausgestoßen — in direkter Analogie zum Schmelzen des Eises. Die entsprechende Aufheizrate folgt dem erwähnten Quantisierungs­gesetz.“

Entscheidend dabei: Die Quantisierung der Aufheizrate ist abhängig von der topologischen Natur der ursprünglichen Phase, analog zur quantisierten Leit­fähigkeit in Festkörpern. Auch die Leitfähigkeit, die Effizienz, mit der in einem Material elektrischer Strom erzeugt werden kann, kann unter bestimmten Umständen quantisiert sein. Die Festkörper­physik spricht hier von der Leitwert­quantisierung. Die Entdeckung dieses Phänomens — des Quanten-Hall-Effekts — wurde 1985 und 1998 mit zwei Nobelpreisen ausgezeichnet. Erstaunlicher­weise zeigte sich, dass die Leitwert­quantisierung mit einem grundlegenden mathematischen Konzept, jenem der Topologie, eng verknüpft ist.

Diese überraschende Beziehung zwischen der physikalischen Quantisierung von Leit­fähigkeit und dem abstrakten Konzept der Topologie eröffnete völlig neue Möglichkeiten zur Untersuchung einer großen Zahl von exotischen Materie­zuständen, den topologischen Phasen, deren Entdeckung im Vorjahr mit dem Physik­nobelpreis gewürdigt wurde. Insofern eröffnet die aktuelle Arbeit neue Einblicke in die verblüffenden Verbindungen zwischen den Quantisierungs­gesetzen der Physik und der Topologie.

Neben diesen faszinierenden Einsichten in die Physik hat die Entdeckung eine entscheidende Konsequenz: Mit dem Aufheizen von Quanten­systemen steht nun ein universell einsetzbares Werkzeug zur Verfügung, mit dem sich exotische Materie­zustände im Labor aufspüren lassen. Die Wissenschaftler schlagen in der Arbeit eine Plattform vor, auf der der Effekt besonders gut nach­gewiesen werden könnte: Ultrakalte Gase aus in einem Gitter aus Laser­strahlen gefangenen Atomen. Diese gelten als ideale Systeme, um topologische Quanten­zustände zu erzeugen, aber auch um neue Arten von Mess­methoden einzuführen. Das Experiment würde in der Praxis darin bestehen, eine topologische Phase zu erzeugen, indem ein ultra­kaltes Gas in ein optisches Gitter geladen wird. Anschließend müsste das Gitter in kreisförmigen Bewegungen gerüttelt werden. Die resultierende Aufheiz­rate kann dann anhand der nach einer bestimmten Zeit in der topologischen Phase verbliebenen Atome bestimmt werden.

U. Innsbruck / DE

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