17.04.2020

Stern auf krummen Touren

Schwarzes Loch im Zentrum der Milchstraße sorgt für messbare Schwarzschild-Präzession eines nahen Sterns.

Beobachtungen unter Leitung des Max-Planck-Instituts für extra­terrestrische Physik haben zum ersten Mal gezeigt, dass ein Stern, der um das super­masse­reiche schwarze Loch im Zentrum unserer Milchstraße kreist, sich so bewegt, wie von Einsteins Allgemeiner Relativitäts­theorie vorhergesagt. Die Bahn folgt einer Rosette und nicht einer Ellipse, wie Newtons Schwer­kraft­theorie vorhersagen würde. Dieses lange gesuchte Ergebnis wurde möglich durch immer präzisere Messungen mit ESO-Teleskopen über fast dreißig Jahre hinweg, mit denen die Wissenschaftler die Geheimnisse des Schwer­kraft­monsters, das im Herzen unserer Galaxie lauert, entschlüsseln konnten.
 

Abb.: Künstlerische Darstellung der Schwarzschild-Präzession eines Sterns um...
Abb.: Künstlerische Darstellung der Schwarzschild-Präzession eines Sterns um das zentrale schwarze Loch unserer Milchstraße – der relativistische Effekt ist übertrieben dargestellt. (Bild: ESO / L. Calçada)

„Die Allgemeine Relativitätstheorie von Einstein sagt voraus, dass die gebundenen Bahnen eines Objekts, das um ein anderes kreist, nicht geschlossen sind, wie von Newton vorhergesagt, sondern sich in der Bewegungs­ebene vorwärts bewegen. Dieser berühmte Effekt wurde erstmals bei der Umlaufbahn des Planeten Merkur um die Sonne beobachtet und war der erste Beweis für die Allgemeine Relativitäts­theorie. Hundert Jahre später haben wir nun den gleichen Effekt in der Bewegung eines Sterns entdeckt, der die kompakte Radioquelle Sgr A* im Zentrum der Milchstraße umkreist. Dies ist ein Durchbruch bei den Beobachtungen des galaktischen Zentrums und stärkt unsere Überzeugung, dass sich dort ein super­massereiches schwarzes Loch mit vier Millionen mal der Masse der Sonne befindet“, führt Reinhard Genzel aus, Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) und Architekt des dreißigjährigen Beobachtungs­programms, das zu diesem Ergebnis führte.

26.000 Lichtjahre von der Sonne entfernt, bieten Sgr A* und der dichte Sternhaufen um es herum ein einzigartiges Labor, um die physikalischen Gesetze in dem ansonsten unerforschten Bereich extremer Gravitations­felder zu untersuchen. Einer dieser Sterne, S2, kommt dem super­massereichen schwarzen Loch sehr nahe, bis zu einer Entfernung von weniger als 20 Milliarden Kilometern (das 120-fache der Entfernung zwischen Sonne und Erde). Dies macht ihn zu einem der nächstgelegenen Sterne, die je auf einer Umlaufbahn um den massereichen Riesen gefunden wurden. S2 rast nahe des schwarzen Lochs mit fast drei Prozent der Licht­geschwindigkeit durch den Raum und vollendet alle 16 Jahre eine Umlaufbahn. „Nachdem wir den Stern über zweieinhalb Jahrzehnte in seiner Umlaufbahn verfolgt haben, können wir mit unseren exquisiten Messungen nun die Schwarz­schild-Präzession von S2 auf seinem Weg um Sgr A* robust nachweisen“, sagt Stefan Gillessen vom MPE.

Die meisten Sterne und Planeten haben keine perfekt kreisförmige Umlaufbahn und sind deshalb mal näher, mal weiter entfernt von dem Objekt, um das sie sich drehen. Die Umlaufbahn von S2 verläuft so, dass sich die Lage des nächst­gelegenen Punktes des super­massereichen Schwarzen Lochs mit jeder Umdrehung ändert – dieser Punkt selbst bewegt sich auf einer Kreisbahn, was dazu führt, dass die Umlaufbahn die Form einer Rosette erhält. Die Allgemeine Relativitätstheorie liefert eine präzise Vorhersage, wie stark sich die Umlaufbahn ändert, und die neuesten Messungen stimmen genau mit der Theorie überein. Dieser Effekt, der als Schwarzschild-Präzession bekannt ist, wurde noch nie zuvor für einen Stern um ein supermassereiches schwarzes Loch gemessen.

Die Studie mit dem VLT der ESO hilft den Wissenschaftlern auch, mehr über die Umgebung des super­massereichen schwarzen Lochs im Zentrum unserer Galaxie zu erfahren. „Da die S2-Messungen der Allgemeinen Relativitätstheorie so gut folgen, können wir strenge Grenzen setzen, wie viel unsichtbares Material, wie etwa verteilte dunkle Materie oder weitere kleinere Schwarze Löcher, um Sgr A* herum vorhanden ist. Dies ist von großem Interesse für das Verständnis der Entstehung und Entwicklung supermassereicher Schwarzer Löcher“, sagen Guy Perrin und Karine Perraut, die leitenden Wissenschaftler des Projekts in Frankreich.

Dieses Ergebnis ist der Höhepunkt von 27 Jahren Beobachtungen des S2-Sterns mit diversen Instrumenten vor allem am VLT der ESO, das sich in der Atacama-Wüste in Chile befindet. Die Anzahl der Datenpunkte über die Position und Geschwindigkeit des Sterns zeugt von der Gründlichkeit und Genauigkeit der neuen Forschung: Das Team führte insgesamt über 330 Messungen mit den Instrumenten GRAVITY, SINFONI und NACO durch. Da S2 viele Jahre braucht, um das super­massereiche schwarze Loch zu umkreisen, war es entscheidend, dem Stern fast drei Jahrzehnte lang zu folgen, um die Feinheiten seiner Bahnbewegung zu entschlüsseln.

Die entscheidenden Messungen wurden von einem internationalen Team unter der Leitung von Frank Eisenhauer vom MPE mit Mitarbeitern aus Frankreich, Portugal, Deutschland und der ESO durchgeführt. Das Team bildet die GRAVITY-Kollaboration, benannt nach dem von ihnen entwickelten Instrument für das VLT-Interferometer, das das Licht aller vier Acht-Meter-VLT-Teleskope zu einem Super-Teleskop mit einem Durchmesser von 130 Metern kombiniert. Dasselbe Team berichtete 2018 von einem weiteren Effekt, der von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt wurde: Sie sahen, wie das Licht von S2 zu größeren Wellenlängen gedehnt wurde, als der Stern nahe an Sagittarius A* vorbeizog. „Unser vorheriges Ergebnis hat gezeigt, dass das vom Stern ausgestrahlte Licht die Allgemeine Relativitätstheorie wahrnimmt. Jetzt haben wir gezeigt, dass der Stern selbst die Auswirkungen der Allgemeinen Relativitäts­theorie spürt“, sagt Paulo Garcia, Wissenschaftler an Portugals Zentrum für Astrophysik und Gravitation und ein dortiger leitender Wissenschaftler des GRAVITY-Projekts.

Das Team hofft in Zukunft, mit dem Extremely Large Telescope der ESO noch viel schwächere Sterne sehen zu können, die näher am supermassereichen Schwarzen Loch kreisen. „Wenn wir Glück haben, könnten wir Sterne einfangen, die so nah sind, dass sie die Rotation, den Spin des Schwarzen Lochs, tatsächlich spüren“, sagt Andreas Eckart von der Universität Köln, ein weiterer leitender Wissenschaftler des Projekts. Damit wären die Astronomen in der Lage, die beiden Größen zu messen, die Sgr A* charakterisieren – Spin und Masse – und Raum und Zeit um ihn herum definieren. „Das wäre eine noch höhere Messlatte, an der wir die Relativitäts­theorie überprüfen möchten“, sagt Eckart.

MPE / DE
 

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