10.11.2006

Sterne mit hohem Rubidium-Anteil

Ein europäisches Forscherteam hat Riesensterne entdeckt, die 10- bis 100-mal mehr Rubidium-87 enthalten als unsere Sonne - eine Herausforderung für Theoretiker.



Ein europäisches Forscherteam hat Riesensterne entdeckt, die 10- bis 100-mal mehr Rubidium-87 enthalten als unsere Sonne. Ein derartiger Überschuss des Isotops wurde bereits vor 40 Jahren für bestimmte Sterne theoretisch vorhergesagt, bislang aber niemals beobachtet. Der Nachweis des hohen Rubidium-Anteils stelle eine Herausforderung für die Theorie der Entwicklung von Sternen mittlerer Masse da, schreiben die Wissenschaftler in der Online-Ausgabe von „Science“. Zudem habe er Konsequenzen für die Altersbestimmung bei Meteoriten.

Wenn Sterne mittlerer Masse – zwischen dem vier- und dem achtfachen der Sonnenmasse – ihren Wasserstoffvorrat im Zentrum verbraucht haben, blähen sie sich zu einem roten Riesenstern auf. Die Astrophysiker sprechen vom „Asymptotischen Riesenast“ (asymtotic giant branch, kurz AGB) der Sternentwicklung. Ein AGB-Stern besteht aus einem Kohlenstoff-Sauerstoff-Kern, der von einer Helium-Zwischenschale umgeben ist, an die sich die Zone des Wasserstoff-Schalenbrennens anschließt, die ihrerseits von einer konvektiven Wasserstoffhülle umschlossen wird.

Abb.: Aufbau eines AGB-Sterns mit der vier- bis achtfachen Sonnenmasse. (Quelle: NOAO)

Die Energieerzeugung eines AGB-Sterns findet zwar hauptsächlich in der Wasserstoff-Schale statt, aber periodisch kommt es in der Helium-Schale zu „thermischen Pulsen“, sich kurzzeitig aufschaukelnden thermonuklearen Prozessen, in deren Folge es zu Durchmischungen zwischen den verschiedenen Zonen des Sterns kommen kann. Diese Durchmischungen können in der Helium-Schale Reaktionsketten in Gang setzen, die zur Produktion neutronenreicher Isotope führen. Für Sterne im Bereich von vier bis acht Sonnenmassen sagt die Theorie vor allem die Produktion von Rubidium-87 voraus.

Anibal Garcia Hernandez vom ISO Data Center der ESA, derzeit an der University of Texas tätig, und seine Kollegen aus Spanien, Frankreich und Italien haben auf der Suche nach dem Rubidium 102 AGB-Sterne in unserer Milchstraße mit dem 4,2 Meter großen William Herschel Telescope auf La Palma untersucht. Die Steren zeigen allesamt starke Sternwinde mit Massenverlustraten von mehreren Hundertausendstel Sonnenmassen pro Jahr. Deshalb sind sie von dichten Gashüllen umgeben, die die Beobachtung erheblich erschweren. Lediglich für 60 Sterne gelang es den Astronomen, hochauflösende Spektren zu erhalten, in denen sie Rubidium nachweisen konnten. Eine genaue Bestimmung der Rubidium-Häufigkeit gelang bei 22 Sternen. Auch die restlichen 38 Sterne zeigten zwar einen hohen Rubidium-Anteil, eine exakte Quantifizierung war Garcia Hernandez und seinen Kollegen jedoch nicht möglich.

Der Anteil des Isotops Rubidium-87 übertrifft mit dem 10- bis 100-fachen des solaren Wertes in den 22 Sternen deutlich die theoretischen Vorhersagen. Garcia Hernandez und seine Kollegen empfehlen daher, die Abhängigkeit der Rubidium-Produktion von unterschiedlichen Faktoren – wie der Massenverlustrate und der Häufigkeit schwerer Elemente – bei künftigen Arbeiten über die AGB-Entwicklung von Sternen mittlerer Masse genauer zu untersuchen.

Rückwirkungen sehen die Forscher auch auf die Untersuchung und Datierung von Meteoriten. Denn bislang war man davon ausgegangen, dass Rubidium-87 ein gutes radioaktives Chronometer zur Altersbestimmung von Meteoriten ist. Es ist jedoch anzunehmen, dass es während der Entstehungsphase des Sonnensystems AGB-Sterne in der Umgebung gab, die dem jungen Sonnensystem Rubidium zugeführt haben. Es ist daher nach Ansicht von Garcia Hernandez und Kollegen unwahrscheinlich, dass der Anteil von Rubidium-87 in der protoplanetarischen Scheibe des Sonnensystems zeitlich und räumlich konstant war. Damit aber wäre Rubidium-87 für genaue Altersbestimmungen an Meteoriten ungeeignet.

Rainer Kayser

Weitere Infos:

Weitere Literatur:

  • M. Schwarzschild und R. Härm, Hydrogen Mixing by Helium-Shell Flashes, Astrophysical Journal 150, 961 (1967).
  • R. H. Sanders, S-Process Nucleosynthesis in Thermal Relaxation Cycles´, Astrophysical Journal 150, 971 (1967).
  • Iben jr. und A. Renzini, Asymptotic giant branch evolution and beyond, Annual Review of Astronomy & Astrophysics 21, 271 (1983).
  • G. Wallerstein und G. R. Knapp, Carbon Stars, Annual Review of Astronomy & Astrophysics 36, 369 (1998).

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