Straßenlaternen großteils unschuldig
Urbane Lichtemission besteht zu überraschend niedrigem Anteil aus Straßenbeleuchtung.
Satellitenbilder von nächtlich erleuchteten Orten und Straßen zeigen das Ausmaß der Lichtverschmutzung auf der Welt. Nur: Wie viel des Lichts, das die Satelliten auffangen, stammt wirklich von Straßenlaternen und nicht aus anderen Quellen? Ein Team von Forschern aus Deutschland, den USA und Irland hat diese Frage am Beispiel der US-amerikanischen Stadt Tucson zum ersten Mal beantwortet – dank der „Smart City“-Beleuchtungstechnologie, die es Städten ermöglicht, ihre Beleuchtung zu dimmen. Das Ergebnis: Nur etwa zwanzig Prozent des Lichts in den Satellitenbildern von Tucson stammt aus Straßenlaternen.
Das Team führte ein Experiment durch, in dem es die Helligkeit von Straßenlaternen in der Stadt Tucson, Arizona, USA, verändern ließ und beobachtete, wie dies die Wahrnehmung der Helligkeit der Stadt aus dem Weltraum beeinflusste. Christopher Kyba vom Deutschen Geoforschungszentrum GFZ leitete das Team. Er sagt, die Studie sei wichtig, denn sie zeige, dass Smart City Technologien für Experimente im Stadtmaßstab eingesetzt werden können: „Wenn Sensoren und Steuerungssysteme in einer ganzen Stadt installiert werden, ist es möglich, Prozesse der Stadt zu verändern und die Auswirkungen auf die Umwelt zu messen, sogar vom Weltraum aus.“
An zehn Tagen im März und April 2019 änderten Stadtbedienstete in Tucson die Helligkeitseinstellungen für etwa 14.000 der 19.500 Straßenlaternen der Stadt. Normalerweise werden die meisten Straßenlaternen in Tucson am Abend mit neunzig Prozent ihrer maximal möglichen Beleuchtungsstärke eingeschaltet und um Mitternacht auf sechzig Prozent gedimmt. Während des Experiments dämpfte die Stadt die Beleuchtung stattdessen in einigen Nächten bis auf dreißig Prozent, in anderen regelte sie das Licht auf hundert Prozent hoch. Die Lichter der Stadt wurden von dem Satelliten Suomi National Polar-orbiting Partnership (NPP) beobachtet, der von den USA betrieben wird und für seine globalen Karten des nächtlichen Lichts berühmt ist. Der Satellit nahm wolkenfreie Bilder von Tucson auf: in vier Nächten während des Tests und in zwei weiteren Nächten danach, mit regulärem Beleuchtungsschema. Durch den Vergleich der Stadthelligkeit in den sechs verschiedenen Nächten fanden die Forscher heraus, dass in einer normalen Nacht nur etwa zwanzig Prozent des Lichts in den Satellitenbildern von Tucson aus Straßenlaternen stammt.
Die Ergebnisse haben wichtige Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit, so der Mitverfasser der Studie, John Barentine von der International Dark-Sky Association. In einem zweiten Experiment, das zur gleichen Zeit durchgeführt wurde, haben Barentine, Kyba und ihre Koautoren die Helligkeit des Himmels über Tucson von der Stadt aus vermessen. Dabei haben sie ebenfalls untersucht, welchen Einfluss die Variation der Beleuchtungsstärke von Straßenlaternen hat. So konnten sie zeigen, dass auch der Großteil der Helligkeit des Himmels über Tucson aus anderen Quellen stammen muss.
„Zusammengenommen zeigen diese Studien, dass in einer Stadt mit gut konzipierter Straßenbeleuchtung der größte Teil der Lichtverschmutzung andere Ursachen hat, beispielsweise helle Fenster, beleuchtete Schilder und Fassaden oder Sportplätze“, erklärt Barentine. Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass lokale und nationale Regierungen deshalb über mehr als nur die Straßenbeleuchtung nachdenken müssen, wenn sie versuchen, die Lichtverschmutzung zu reduzieren.
Dem Team zufolge sind die Veränderungen in der Helligkeit der Straßenbeleuchtung für Passanten kaum wahrnehmbar, da sich die Augen der Menschen schnell an das Lichtniveau anpassen. Die Forscher berichten, dass die Stadt während des Tests keine Kommentare oder Beschwerden über die veränderte Beleuchtung erhielt. Es gibt auch keine Hinweise oder Andeutungen, dass die Reduzierung des Beleuchtungsniveaus als Teil des Versuchs negative Auswirkungen auf die öffentliche Sicherheit hatte.
Kyba ist daher von der Idee begeistert, solche Experimente regelmäßiger und in anderen Kommunen durchzuführen. „Anstatt die Beleuchtung jeweils spät nachts auf immer das gleiche Niveau zu dimmen, könnte eine Stadt stattdessen an geraden Tagen auf 45 Prozent und an ungeraden Tagen auf 55 Prozent dimmen“, schlägt Kyba vor. „Die Stadtbevölkerung würde keinen Unterschied feststellen, aber auf diese Weise könnten wir messen, wie sich der Beitrag der verschiedenen Lichtarten im Laufe der Zeit verändert.“
GFZ / DE
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
C. C. M. Kyba et al.: Direct measurement of the contribution of street lighting to satellite observations of nighttime light emissions from urban areas, Light. Res. Technol., online 28. Oktober 2020; DOI: 10.1177/1477153520958463 - Fernerkundung und Geoinformatik (D. Dransch), Deutsches Geoforschungszentrum, Potsdam