Streit um das Unsichtbare
Mehrere Forschergruppen behaupten, Teilchen der Dunklen Materie nachgewiesen zu haben.
In München trafen sich letzte Woche auf der Internationalen Konferenz „Topics on Astroparticle and Underground Physics“ 350 Physiker und diskutierten unter anderem über ihre Fortschritte bei der Suche nach Dunkler Materie. Ein heißer Disput entlud sich zu den Ergebnissen von drei Gruppen, die behaupten, die Teilchen bereits gefunden zu haben.
Abb.: Das Experiment CRESST-II fasst bis zu 33 Detektormodule, die jeweils einen hoch reinen CaWO4-Kristall enthalten. (Bild: K. Schäffner, MPP)
Astrophysiker haben mittlerweile eine Vielzahl von Hinweisen auf Dunkle Materie gefunden. Sie äußert sich ausschließlich über ihre Schwerkraftwirkung. Spiralgalaxien wie unsere Milchstraße beispielsweise würden von der Fliehkraft zerrissen, wenn Dunkle Materie sie nicht zusammenhalten würde. Nach der heutigen Vorstellung besteht sie aus nicht-baryonischen Elementarteilchen und macht rund 23 % aller im Universum vorhandenen Materie aus. Den Löwenanteil stellt die Dunkle Energie (72 %), während die uns bekannte, baryonische Materie nur knapp 4,6 % ausmacht.
Carlos Muñoz von der Universität in Madrid rechnete in München vor, dass bei einer angenommenen Ruhemasse der Dunkle-Materie-Teilchen von 100 GeV in jeder Sekunde rund 60.000 dieser Partikel eine Fläche von einem Quadratzentimeter durchqueren. Sie sind elektrisch neutral und gehen keine elektromagnetische Wechselwirkung ein, was ihren direkten Nachweis bislang verhindert hat. Physiker sprechen von Weakly Interacting Particles (WIMPs).
Mit großer Spannung erwarteten die Physiker einen Vortrag von Federica Petricca vom Max-Planck-Institut für Physik in München über Ergebnisse des internationalen Experiments CRESST-II (Cryogenic Rare Event Search with Superconducting Thermometers). Es besteht aus mehreren 300 g schweren Kristallen aus Kalziumwolframat (CaWO4). Trifft ein WIMP darin auf einen Atomkern, so entstehen eine Gitterschwingung (Phonon) und Szintillationslicht (Photon). Außerdem werden Elektronen frei (Ionisation), was sich als winziger Stromfluss äußert. Ein an der Oberfläche der Kristalle angebrachter Wolframfilm ist so stark gekühlt, dass er sich im Übergangsbereich zwischen supra- und normalleitendem Zustand befindet. Löst ein WIMP eine Gitterschwingung aus, so erhöht sich die Temperatur dieses Films lediglich um einige Millionstel Grad, was aber zu einer messbaren Widerstandsänderung führt.
Abb.: In dem Wirkungsquerschnitt-Masse-Diagramm liegen die von CRESST-II ermittelten Bereiche für mögliche WIMPS bei 12 oder 25 GeV. Auch die veröffentlichten Bereiche von DAMA und Cogent sind eingetragen. Die von anderen Experimenten ausgeschlossenen Bereiche liegen oberhalb der Kurven. (Bild: G. Angloher et al.)
CRESST-II arbeitet im Gran-Sasso-Untergrundlabor, wo es weitgehend vor kosmischer Strahlung geschützt ist. Außerdem muss der gesamte Detektor extrem rein sein, weil jeder natürlich radioaktive Zerfall ein ähnliches Signal erzeugt wie ein WIMP. Innerhalb von zwei Jahren hat CRESST-II 67 Ereignisse gemessen, von denen rein statistisch gesehen lediglich etwa die Hälfte auf Hintergrundereignisse zurückgeführt werden kann. Sollte CRESST-II wirklich die lange gesuchten WIMPs nachgewiesen haben, so besitzen sie eine Masse von 12 oder 25 GeV und einen Wirkungsquerschnitt von 5 10-45 beziehungsweise 10-46 m2.
Juan Collar von der Universität Chicago bekräftigte das Ergebnis. Er glaubt, mit dem Experiment Cogent ebenfalls WIMPs mit vergleichbarer Masse nachgewiesen zu haben. Dritte im Bunde ist Antonella Incicchitti von der Universität Rom. Sie behauptet schon seit mehreren Jahren, mit ihrem Experiment DAMA/LIBRA Dunkle-Materie-Teilchen Dutzendweise nachzuweisen, deren Häufigkeit zudem mit den Jahreszeiten schwankt. Kollegen der anderen Experimente bemängeln jedoch eine mangelnde Transparenz bei der Ermittlung des Störhintergrunds.
Zweifel an der mutmaßlichen Entdeckung von WIMPs kam von dem derzeit genauesten Experiment Xenon-100, das ebenfalls im Gran-Sasso-Labor arbeitet. Hier besteht der Detektor aus 162 kg flüssigem Xenon, in dem die Szintillation und Ionisation eines WIMP-Ereignisses gemessen wird. Rafael Lang von der Purdue Universität, West Lafayette (USA) demonstrierte in München, dass Xenon-100 nach hundert Tagen Messzeit die von CRESST-II, Cogent und DAMA/LIBRA angegebenen Bereiche für die WIMPs ausschließt. „Wenn die anderen Gruppen wirklich Dunkle-Materie-Teilchen nachgewiesen hätten, hätten auch wir mehrere Dutzend davon messen müssen“, sagte Lang.
Damit ist die Frage nach der Existenz von Dunkle-Materie-Teilchen weiter offen. Alle Experimente messen weiter, und speziell von Xenon100 erwarten sich die Forscher schon bald neue aufschlussreiche Werte, weil die Hintergrundrate noch einmal um einen Faktor zehn gesenkt werden konnte.
Thomas Bührke