Studieren ohne Grenzen
Bis zum Jahr 2010 soll ein Studium ohne Grenzen für mehr als 15 Mio. Studenten in Europa Wirklichkeit werden.
Studieren ohne Grenzen
Bergen (dpa) - Die Vision ist bestechend: Ein Studium ohne Grenzen für mehr als 15 Millionen Studenten an über 5000 Hochschulen Europas und der angrenzender Staaten - mit freiem Hochschulzugang, ohne Visa- Probleme und ohne lästigem Anerkennungsstreit um unterschiedliche Schulzeugnisse. Bis 2010 soll dieser Traum Wirklichkeit werden. Doch die Bildungsminister von 45 beteiligten Staaten, die am Donnerstag im norwegischen Bergen über ihr Zukunftsprojekt Halbzeitbilanz zogen, wissen, dass der berühmte Teufel vielfach im Detail steckt.
Ursprünglich hatten 29 Staaten auf einer ersten Konferenz in Bologna 1999 die Absichtserklärung für ein grenzüberschreitendes Studium unterschrieben. Weitere Länder schlossen sich diesem «Bologna-Prozess» an, wie das kühne Projekt seitdem genannt wird. Auf einer Folgekonferenz in Berlin traten 2003 auch Russland und die Balkan-Staaten bei. Seit Bergen gehören auch Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien und die Ukraine dazu.
Als Schlüssel für die Durchlässigkeit zwischen den Studienangeboten der 45 Staaten gilt die Schaffung einer einheitlichen Studienstruktur mit den aufeinander aufbauenden Bachelor- und Masterabschlüssen. Zugleich soll ein «Europäisches Credit-Point-System» entstehen, mit dem auch erfolgreich absolvierte Studienabschnitte oder Module international anerkannt werden.
In Ländern wie Großbritannien, die traditionell über eine zweistufige Bachelor- und Master-Studienstruktur verfügen, stößt das auf weniger Widerstände als etwa in Deutschland, wo die Universitäten von dem traditionellem deutschen Diplom- oder Magister-Titel Abschied nehmen sollen. Dies fällt besonders den traditionsreichen Technischen Universitäten beim deutschen «Dipl.-Ing.» schwer.
Als Vorreiter bei der Studien-Umstellung gilt Norwegen. Die Niederländer sind ebenso gut dabei. Auch Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) konnte erfolgreich Zwischenbilanz ziehen: 2900 der 11 000 deutschen Studiengänge führen inzwischen zu einem Bachelor- oder Masterabschluss, auch wenn es sich zunächst primär um die kleineren Fächer handelt. 16 Prozent der Studienanfänger haben sich im vergangenem Jahr für einen dieser neuen Studiengänge eingeschrieben. Vor drei Jahren waren es erst sechs Prozent.
Und bei der sozialen Förderung des Auslandsstudiums zählt Deutschland im Kreis der 45 sogar zu den Musterknaben, weil Bafög- Empfänger nach einem ersten Studienjahr im Heimatland seit der Reform 2001 ihre Förderung bis zum Abschluss mit ins Ausland nehmen können.
Doch wo Licht ist, da ist auch Schatten. Mit dem Zuwachs der Teilnehmerstaaten am «Bologna-Prozess» und der Einbeziehung ärmerer Länder sind auch die Probleme gewachsen. Bulmahn machte sich wie andere Minister für strenge einheitliche Qualitätsstandards stark, um die Hochschulausbildungen vergleichbarer zu machen. Dabei scheint vielen der Weg zu einem geeinten «Hochulraum Europa mit zwei Geschwindigkeiten» immer realistischer.
Bulmahn will den deutschen Hochschulen bei der Umstellung weiter helfen. Mit 4,4 Millionen Euro unterstützt sie ein entsprechendes Büro der Hochschulrektorenkonferenz (HRK). Überschattet wird dies jetzt vom deutschen Bund-Länder-Föderalismusstreit. Dass Hessens Regierungschef Roland Koch (CDU) zusammen mit Bayern gegen diese Hilfe vor dem Bundesverfassungsgericht klagt - dafür hatten in Bergen nicht nur Rektoren-Präsident Peter Gaehtgens, sondern auch Bulmahns europäische Amtskollegen nur Kopfschütteln übrig.
Karl-Heinz Reith, dpa