Stürmischer Blick in die Erde
Schwache seismische Wellen nach starken Stürmen liefern immer bessere Daten über Strukturen oberer Erdschichten.
Erdbeben, Sprengungen und Explosionen von Atombomben: Über die massiven Erschütterungen nach diesen Ereignissen konnten Geophysiker in den vergangenen Jahrzehnten ein relativ genaues Modell vom Aufbau der Erde entwickeln. Zu dieser klassischen Seismik gesellt sich nun die Mikroseismik, die genaueren Aufschluss über Erdkruste und den oberen Bereich des Erdmantels geben könnte. Einen wichtigen Schritt für die wissenschaftliche Nutzung der Mikroseismik gelang nun einem japanischen Forscherduo. Erstmals konnten Kiwamu Nishida und Ryota Takagi von der University of Tokyo mehrere verschiedene Varianten schwacher seismischer Wellen nach einem starken Sturm im Nordatlantik sogar noch im fernen Japan nachweisen.
Abb.: Brummen der Erde: Bei Sturm entstehen tieffrequente, mikroseismische Schwingungen im Erdkörper. (Bild: S. Lamarche, Ifremer)
Die beiden Forscher vom Earthquake Research Institute nutzten für ihre Messungen ein Areal mit insgesamt 202 Geophonen, die in bis zu 100 Meter tiefen Bohrlöchern im Süden Japans verteilt waren. Dank der hohen Empfindlichkeit der Schwingungsdetekoren konnten sie erstmals nicht nur die stärkeren, schnelleren und longitudinalen P-Wellen, sondern auch schwächere, langsamere und transversale S-Wellen nachweisen. Die mikroseismischen Wellen breiteten sich nach einem starken Sturm zwischen Island und Grönland im Dezember 2014 im festen Erdkörper aus. Zusätzlich erkannten die Forscher, dass die S-Wellen sowohl vertikal als auch eine horizontal polarisiert waren.
Die genaue Auswertung dieser verschiedenen Wellentypen bildeten für Nishida und Takagi die Grundlage, um den Weg des Wintersturms mit hoher Genauigkeit nachzeichnen zu können. Wichtig dazu waren die unterschiedlichen Laufzeiten der S- und P-Wellen. Die Messdaten lieferten zusätzlich Hinweise auf die mächtigen Sedimentschichten am Grunde des Atlantiks. Da die gemessenen S-Wellen auf dem Weg vom Atlantikboden durch Erdkruste und Erdmantel bis nach Japan vielfach reflektiert wurden, könnte eine genauere Analyse sogar noch detailliertere Informationen über die oberen Erdschichten liefern. Weitere Studien mit diesen mikroseismischen, von Stürmen erzeugten Wellen wären dazu nötig.
Abb.: Mikroseismik mit Stürmen: Prinzip der neuen, geophysikalischen Messmethode aus Japan. (Bild: K. Nishida & R. Takagi)
Nicht nur Stürme können einen verstärkten Wellengang erzeugen, der am Meeresboden die Einkopplung schwacher seismischer Wellen in die Erdkruste verursacht. Rund um den Globus schlagen Meereswellen auch permanent an die Küsten. Dadurch wird die Erde in kleine Schwingungen versetzt. Danach breiten sich über einen weiten Frequenzbereich ebenfalls mikroseismische, tieffrequente Wellen durch den Erdkörper aus. „Dieses Brummen gehört zu den am wenigsten verstandenen Schwingungen der Erde“, sagt Fabrice Ardhuin vom französischen Institut für Meeresforschung Ifremer in Brest.
Bereits vor einem Jahr analysierte Ardhuin mit seinen Kollegen diese mikroseismischen Schwingungen, die mit besonders langen Perioden zwischen 13 und 300 Sekunden und somit tiefen Frequenzen die Erde vibrieren lassen. Die notwendigen Daten lieferten hochempfindliche Sensoren an mehreren Küstenabschnitten wie beispielsweise an der französischen Atlantikküste. Mit komplexen numerischen Modellen gelang es den Forschern, die extrem schwachen Schwingungen im Computer zu reproduzieren. Das Ergebnis dieser Analyse war eindeutig: Wenn Meereswellen sich über den relativ steil ansteigenden Meeresboden in Küstennähe ausbreiten, übertragen sie etwas Energie auf den Erdkörper und die besonders tieffrequenten Schwingungen mit Amplituden von höchstens einigen Mikrometern entstehen.
Über die Analyse dieser schwachen Schwingungen schlossen Geophysiker früher bereits auf den Schalenaufbau der Erde mit Kern, Mantel und Kruste zurück. Detailliertere Untersuchungen rücken nun immer näher. „Wir wussten, dass diese natürliche seismische Energie verfügbar war, hatten aber keine Idee, wozu wir sie nutzen könnten“, sagt Sjoerd de Ridder vom Department of Geophysics an der Stanford University. Aber auch de Ridder entwickelte über mehrere Jahre mit seinen Kollegen und dem Unternehmen Schlumberger eine Analysetechnik, um selbst mit sehr schwachen seismischen Wellen den Meeresboden durchleuchten zu können.
Für ihre Praxisversuche nutzten sie ein engmaschiges Sensornetzwerk am Meeresboden rund um das Ekofisk-Ölfeld in der Nordsee. Kern ihrer Methode war ein ausgeklügelter Algorithmus, der in den detektierten seismischen Wellen störendes Rauschen von Information tragenden Signalen trennte. Das Ergebnis zeigte signifikante Unterschiede in der Laufzeit der seismischen Wellen, über die auf die Struktur des Meeresbodens und den Zustand einer Lagerstätte bis in 300 Meter Tiefe zurückgeschlossen werden konnte. Auch de Ridder wird von den neuen Ergebnissen aus Japan profitieren, um seine Methoden weiter optimieren zu können.
Jan Oliver Löfken
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