26.08.2016

Stürmischer Blick in die Erde

Schwache seismische Wellen nach starken Stürmen liefern immer bessere Daten über Strukturen oberer Erdschichten.

Erdbeben, Sprengungen und Explo­sionen von Atom­bomben: Über die massiven Erschüt­terungen nach diesen Ereignissen konnten Geo­physiker in den vergangenen Jahr­zehnten ein relativ genaues Modell vom Aufbau der Erde entwickeln. Zu dieser klassischen Seismik gesellt sich nun die Mikroseismik, die genaueren Aufschluss über Erdkruste und den oberen Bereich des Erdmantels geben könnte. Einen wichtigen Schritt für die wissen­schaftliche Nutzung der Mikro­seismik gelang nun einem japa­nischen Forscher­duo. Erstmals konnten Kiwamu Nishida und Ryota Takagi von der University of Tokyo mehrere ver­schiedene Varianten schwacher seismischer Wellen nach einem starken Sturm im Nordatlantik sogar noch im fernen Japan nachweisen.

Abb.: Brummen der Erde: Bei Sturm entstehen tieffrequente, mikroseismische Schwingungen im Erdkörper. (Bild: S. Lamarche, Ifremer)

Die beiden Forscher vom Earth­quake Research Institute nutzten für ihre Messungen ein Areal mit insgesamt 202 Geophonen, die in bis zu 100 Meter tiefen Bohr­löchern im Süden Japans verteilt waren. Dank der hohen Empfind­lichkeit der Schwingungs­detekoren konnten sie erstmals nicht nur die stärkeren, schnelleren und longi­tudinalen P-Wellen, sondern auch schwächere, langsamere und trans­versale S-Wellen nachweisen. Die mikro­seismischen Wellen breiteten sich nach einem starken Sturm zwischen Island und Grönland im Dezember 2014 im festen Erdkörper aus. Zusätzlich erkannten die Forscher, dass die S-Wellen sowohl vertikal als auch eine hori­zontal pola­risiert waren.

Die genaue Auswertung dieser ver­schiedenen Wellen­typen bildeten für Nishida und Takagi die Grundlage, um den Weg des Winter­sturms mit hoher Genauig­keit nachzeichnen zu können. Wichtig dazu waren die unter­schiedlichen Laufzeiten der S- und P-Wellen. Die Mess­daten lieferten zusätzlich Hinweise auf die mächtigen Sediment­schichten am Grunde des Atlantiks. Da die gemessenen S-Wellen auf dem Weg vom Atlantik­boden durch Erdkruste und Erdmantel bis nach Japan vielfach reflektiert wurden, könnte eine genauere Analyse sogar noch detail­liertere Informationen über die oberen Erd­schichten liefern. Weitere Studien mit diesen mikro­seismischen, von Stürmen erzeugten Wellen wären dazu nötig.

Abb.: Mikroseismik mit Stürmen: Prinzip der neuen, geophysikalischen Messmethode aus Japan. (Bild: K. Nishida & R. Takagi)

Nicht nur Stürme können einen verstärkten Wellen­gang erzeugen, der am Meeres­boden die Einkopplung schwacher seismischer Wellen in die Erdkruste verursacht. Rund um den Globus schlagen Meeres­wellen auch permanent an die Küsten. Dadurch wird die Erde in kleine Schwingungen versetzt. Danach breiten sich über einen weiten Frequenz­bereich ebenfalls mikro­seismische, tief­frequente Wellen durch den Erdkörper aus. „Dieses Brummen gehört zu den am wenigsten ver­standenen Schwingungen der Erde“, sagt Fabrice Ardhuin vom fran­zösischen Institut für Meeres­forschung Ifremer in Brest.

Bereits vor einem Jahr analysierte Ardhuin mit seinen Kollegen diese mikro­seismischen Schwingungen, die mit besonders langen Perioden zwischen 13 und 300 Sekunden und somit tiefen Frequenzen die Erde vibrieren lassen. Die notwendigen Daten lieferten hoch­empfindliche Sensoren an mehreren Küsten­abschnitten wie beispiels­weise an der franz­ösischen Atlantik­küste. Mit komplexen numerischen Modellen gelang es den Forschern, die extrem schwachen Schwingungen im Computer zu reproduzieren. Das Ergebnis dieser Analyse war eindeutig: Wenn Meeres­wellen sich über den relativ steil anstei­genden Meeres­boden in Küsten­nähe ausbreiten, übertragen sie etwas Energie auf den Erdkörper und die besonders tief­frequenten Schwingungen mit Amplituden von höchstens einigen Mikro­metern entstehen.

Über die Analyse dieser schwachen Schwin­gungen schlossen Geophysiker früher bereits auf den Schalen­aufbau der Erde mit Kern, Mantel und Kruste zurück. Detail­liertere Unter­suchungen rücken nun immer näher. „Wir wussten, dass diese natürliche seis­mische Energie verfügbar war, hatten aber keine Idee, wozu wir sie nutzen könnten“, sagt Sjoerd de Ridder vom Depart­ment of Geo­physics an der Stanford Uni­versity. Aber auch de Ridder entwickelte über mehrere Jahre mit seinen Kollegen und dem Unternehmen Schlum­berger eine Analysetechnik, um selbst mit sehr schwachen seis­mischen Wellen den Meeres­boden durch­leuchten zu können.

Für ihre Praxis­versuche nutzten sie ein eng­maschiges Sensor­netzwerk am Meeres­boden rund um das Ekofisk-Ölfeld in der Nordsee. Kern ihrer Methode war ein ausge­klügelter Al­gorithmus, der in den detek­tierten seis­mischen Wellen störendes Rauschen von Infor­mation tragenden Signalen trennte. Das Ergebnis zeigte signifikante Unterschiede in der Laufzeit der seis­mischen Wellen, über die auf die Struktur des Meeres­bodens und den Zustand einer Lager­stätte bis in 300 Meter Tiefe zurück­geschlossen werden konnte. Auch de Ridder wird von den neuen Ergeb­nissen aus Japan profitieren, um seine Methoden weiter opti­mieren zu können.

Jan Oliver Löfken

JOL

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Virtuelle Jobbörse

Virtuelle Jobbörse
Eine Kooperation von Wiley-VCH und der DPG

Virtuelle Jobbörse

Innovative Unternehmen präsentieren hier Karriere- und Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren Berufsfeldern.

Die Teilnahme ist kostenfrei – erforderlich ist lediglich eine kurze Vorab-Registrierung.

Meist gelesen

Themen