17.08.2021 • AstronomieAstrophysik

Suche nach atomarem und molekularem Gas in der Milchstraße

Bisher beste Karten der Radiostrahlung in der nördlichen galaktischen Ebene erstellt.

Mit zwei leistungsfähigen Radio­teleskope hat ein Forscher­team im Rahmen des Projekts „Global View on Star Formation in the Milky Way“ GLOSTAR unter Leitung des MPI für Radio­astronomie die bisher besten Karten der Radio­strahlung in der nördlichen galak­tischen Ebene erstellt. Die Daten wurden mit dem VLA in New Mexico in zwei verschiedenen Konfigu­ra­tionen und dem 100-m-Teleskop Effelsberg aufgenommen. Damit werden erstmals Winkel­skalen bis hinunter zu 1,5 Bogen­sekunden abgedeckt. Im Gegensatz zu früheren Kartierungen beobachtet GLOSTAR nicht nur Radio­kontinuum und Polari­sation, sondern auch Spektral­linien, die atomares und moleku­lares Gas nach­zeichnen. Dieser neue Datensatz wird nun genutzt, um das inter­stellare Medium in der Milchstraße sowie masse­reiche Sterne am Anfang und am Ende ihrer Existenz zu untersuchen.

Abb.: Radio­konti­nu­ums­bild der GLOSTAR-Pilot­region im Bereich 28° < l
Abb.: Radio­konti­nu­ums­bild der GLOSTAR-Pilot­region im Bereich 28° < l <36° mit kom­bi­nier­ten Inter­fero­meter­mes­sungen von Effels­berg und VLA (oben). Radio­kon­ti­nu­ums­bild des gleichen Be­reichs nur mit VLA in D-Kon­fi­gu­ra­tion (unten; Bild: GLOSTAR-Team)

Während ein Interferometer wie das VLA sehr scharfe Bilder des Himmels erzeugen kann, geht die groß­räumige Emission oft verloren. Diese diffuse Komponente der Radio­strahlung kann jedoch durch Hinzufügen von Daten des 100-m-Effelsberg-Teleskops wieder­her­gestellt werden. Um die vollen 145 Quadratgrad der Durch­musterung zu kartieren, musste das Team kleinere Bilder von fast 50.000 verschiedenen Positionen kombinieren. „Wir benötigten etwa sieben­hundert Stunden Beobachtungs­zeit am VLA, wodurch fast vierzig Terabyte an Rohdaten erzeugt wurden“, erklärt Sergio Dzib, der die Daten­kali­brierung der VLA-Daten leitete. Während der Effels­berger Teil der Kartierung noch läuft, können die Daten bereits für neue und spannende Wissen­schaft genutzt werden.

Bisherige Durch­musterungen haben nur etwa dreißig Prozent der erwarteten Anzahl von Supernova-Überresten in der Milchstraße entdeckt. Dank der beispiel­losen Empfind­lich­keit der GLOSTAR-Durch­musterung war es möglich, allein in den VLA-Daten achtzig neue Kandidaten zu finden und damit die Anzahl im beobachteten Gebiet zu verdoppeln. Mit der Hinzunahme der Effelsberg-Daten wird diese Zahl voraus­sicht­lich nochmals steigen. „Das ist ein wichtiger Schritt, um das lange bestehende Rätsel der fehlenden Supernova-Überreste in der Milchstraße zu lösen“, erklärt Rohit Dokara.

Mit den Ergebnissen von Kartierungen im Submilli­meter- und im fernen Infrarot-Wellen­längen­bereich vom Boden und aus dem Weltraum konnten masse­reiche und kalte Staub­klumpen, aus denen sich die masse­reichen Stern­haufen bilden, galaxien­weit nach­ge­wiesen werden. Ergänzend zu diesen Ergebnissen liefert die GLOSTAR-Kartierung ein sehr leistungs­fähiges und umfassendes Bild sowohl der ionisierten als auch der molekularen Markierungen für Stern­ent­stehung in der galaktischen Ebene.

Die vorliegende Kartierung deckt auch den nahen Sternentstehungskomplex Cygnus X ab. Hier wurden neue Quellen mit Methanol-Maser-Emission entdeckt. „Die 6,7-GHz-Linie von Methanol findet man ausschließlich in Regionen, in denen sehr massereiche Sterne von mindestens acht Sonnenmassen entstehen“, sagt Karl Menten, der Initiator von GLOSTAR. Während alle Methanol-Maser im Cygnus X-Komplex mit Staubemission assoziiert sind, werden weniger als die Hälfte der Quellen auch im Radiokontinuum nachgewiesen.

„Diese Maser sind Wegweiser für Sterne in einem sehr frühen Entwicklungsstadium, noch bevor nachweisbare Radiostrahlung zu sehen ist“, erklärt Gisela Ortiz-León, die die Untersuchung der Region Cygnus X leitet. Echte massereiche Protosterne zu identifizieren, ist seit langem ein Ziel der Sternentstehungsforschung.

Während das optische Licht stark vom interstellaren Staub absorbiert wird, erlauben Radiowellen einen Blick in die zentralen Regionen der Milchstraße. Eine systematische Suche in der neuen Kontinuumskarte, die mit dem VLA in Richtung des galaktischen Zentrums beobachtet wurde, nach Radioemission, die mit potenziellen jungen stellaren Objekten aus einem kürzlich veröffentlichten Katalog assoziiert ist, ermöglicht ein besseres Verständnis ihres Entwicklungsstadiums. „Während wir für eine gute Anzahl von ihnen Radioemission finden, fehlt es vielen der Objekte an Radiogegenstücken und Staubemission, was darauf hindeutet, dass sie weiter entwickelt sind und ihre Geburtswolken bereits aufgelöst haben“, berichtet Hans Nguyen, der die Studie über diese jungen stellaren Objekte leitet. Die zugehörigen Radioquellen ermöglichen weitere Rückschlüsse auf die Sternentstehungsrate im galaktischen Zentrum.

Die große Anzahl von Quellen zu katalogisieren ist ebenfalls eine Herausforderung. Die erwartete Anzahl der Quellen in den vollständigen GLOSTAR-Datensätzen liegt bei einigen zehntausend Quellen unterschiedlicher Natur. „Es gibt fast hundert Quellen pro Quadratgrad und wir nutzen alle verfügbaren Informationen, um sie zu klassifizieren“, sagt Sac Medina, die die erste Quellenkatalogarbeit leitete und derzeit den Katalog der vollen GLOSTAR D-Konfigurationsbilder vorbereitet.

Die GLOSTAR-Durchmusterung ist die erste Durchmusterung im Bereich von 4 bis 8 GHz, die mit den IR-Durchmusterungen im Weltraum in Bezug auf räumliche Skalen und dynamische Bereiche konkurrieren kann und daher einen einzigartigen Datensatz in Hinblick auf eine globale Perspektive zur Untersuchung der Sternentstehung in unserer Galaxie liefern wird.

MPIfR / RK

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