Suche nach atomarem und molekularem Gas in der Milchstraße
Bisher beste Karten der Radiostrahlung in der nördlichen galaktischen Ebene erstellt.
Mit zwei leistungsfähigen Radioteleskope hat ein Forscherteam im Rahmen des Projekts „Global View on Star Formation in the Milky Way“ GLOSTAR unter Leitung des MPI für Radioastronomie die bisher besten Karten der Radiostrahlung in der nördlichen galaktischen Ebene erstellt. Die Daten wurden mit dem VLA in New Mexico in zwei verschiedenen Konfigurationen und dem 100-m-Teleskop Effelsberg aufgenommen. Damit werden erstmals Winkelskalen bis hinunter zu 1,5 Bogensekunden abgedeckt. Im Gegensatz zu früheren Kartierungen beobachtet GLOSTAR nicht nur Radiokontinuum und Polarisation, sondern auch Spektrallinien, die atomares und molekulares Gas nachzeichnen. Dieser neue Datensatz wird nun genutzt, um das interstellare Medium in der Milchstraße sowie massereiche Sterne am Anfang und am Ende ihrer Existenz zu untersuchen.
Während ein Interferometer wie das VLA sehr scharfe Bilder des Himmels erzeugen kann, geht die großräumige Emission oft verloren. Diese diffuse Komponente der Radiostrahlung kann jedoch durch Hinzufügen von Daten des 100-m-Effelsberg-Teleskops wiederhergestellt werden. Um die vollen 145 Quadratgrad der Durchmusterung zu kartieren, musste das Team kleinere Bilder von fast 50.000 verschiedenen Positionen kombinieren. „Wir benötigten etwa siebenhundert Stunden Beobachtungszeit am VLA, wodurch fast vierzig Terabyte an Rohdaten erzeugt wurden“, erklärt Sergio Dzib, der die Datenkalibrierung der VLA-Daten leitete. Während der Effelsberger Teil der Kartierung noch läuft, können die Daten bereits für neue und spannende Wissenschaft genutzt werden.
Bisherige Durchmusterungen haben nur etwa dreißig Prozent der erwarteten Anzahl von Supernova-Überresten in der Milchstraße entdeckt. Dank der beispiellosen Empfindlichkeit der GLOSTAR-Durchmusterung war es möglich, allein in den VLA-Daten achtzig neue Kandidaten zu finden und damit die Anzahl im beobachteten Gebiet zu verdoppeln. Mit der Hinzunahme der Effelsberg-Daten wird diese Zahl voraussichtlich nochmals steigen. „Das ist ein wichtiger Schritt, um das lange bestehende Rätsel der fehlenden Supernova-Überreste in der Milchstraße zu lösen“, erklärt Rohit Dokara.
Mit den Ergebnissen von Kartierungen im Submillimeter- und im fernen Infrarot-Wellenlängenbereich vom Boden und aus dem Weltraum konnten massereiche und kalte Staubklumpen, aus denen sich die massereichen Sternhaufen bilden, galaxienweit nachgewiesen werden. Ergänzend zu diesen Ergebnissen liefert die GLOSTAR-Kartierung ein sehr leistungsfähiges und umfassendes Bild sowohl der ionisierten als auch der molekularen Markierungen für Sternentstehung in der galaktischen Ebene.
Die vorliegende Kartierung deckt auch den nahen Sternentstehungskomplex Cygnus X ab. Hier wurden neue Quellen mit Methanol-Maser-Emission entdeckt. „Die 6,7-GHz-Linie von Methanol findet man ausschließlich in Regionen, in denen sehr massereiche Sterne von mindestens acht Sonnenmassen entstehen“, sagt Karl Menten, der Initiator von GLOSTAR. Während alle Methanol-Maser im Cygnus X-Komplex mit Staubemission assoziiert sind, werden weniger als die Hälfte der Quellen auch im Radiokontinuum nachgewiesen.
„Diese Maser sind Wegweiser für Sterne in einem sehr frühen Entwicklungsstadium, noch bevor nachweisbare Radiostrahlung zu sehen ist“, erklärt Gisela Ortiz-León, die die Untersuchung der Region Cygnus X leitet. Echte massereiche Protosterne zu identifizieren, ist seit langem ein Ziel der Sternentstehungsforschung.
Während das optische Licht stark vom interstellaren Staub absorbiert wird, erlauben Radiowellen einen Blick in die zentralen Regionen der Milchstraße. Eine systematische Suche in der neuen Kontinuumskarte, die mit dem VLA in Richtung des galaktischen Zentrums beobachtet wurde, nach Radioemission, die mit potenziellen jungen stellaren Objekten aus einem kürzlich veröffentlichten Katalog assoziiert ist, ermöglicht ein besseres Verständnis ihres Entwicklungsstadiums. „Während wir für eine gute Anzahl von ihnen Radioemission finden, fehlt es vielen der Objekte an Radiogegenstücken und Staubemission, was darauf hindeutet, dass sie weiter entwickelt sind und ihre Geburtswolken bereits aufgelöst haben“, berichtet Hans Nguyen, der die Studie über diese jungen stellaren Objekte leitet. Die zugehörigen Radioquellen ermöglichen weitere Rückschlüsse auf die Sternentstehungsrate im galaktischen Zentrum.
Die große Anzahl von Quellen zu katalogisieren ist ebenfalls eine Herausforderung. Die erwartete Anzahl der Quellen in den vollständigen GLOSTAR-Datensätzen liegt bei einigen zehntausend Quellen unterschiedlicher Natur. „Es gibt fast hundert Quellen pro Quadratgrad und wir nutzen alle verfügbaren Informationen, um sie zu klassifizieren“, sagt Sac Medina, die die erste Quellenkatalogarbeit leitete und derzeit den Katalog der vollen GLOSTAR D-Konfigurationsbilder vorbereitet.
Die GLOSTAR-Durchmusterung ist die erste Durchmusterung im Bereich von 4 bis 8 GHz, die mit den IR-Durchmusterungen im Weltraum in Bezug auf räumliche Skalen und dynamische Bereiche konkurrieren kann und daher einen einzigartigen Datensatz in Hinblick auf eine globale Perspektive zur Untersuchung der Sternentstehung in unserer Galaxie liefern wird.
MPIfR / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichungen
A. Brunthaler et al.: A Global View on Star Formation: The GLOSTAR Galactic Plane Survey. I. Overview and first results for the Galactic longitude range 28°< l < 36°, Astron. Astroph. 651, A85 (2021); DOI: 10.1051/0004-6361/202039856
R. Dokara et al.: A Global View on Star Formation: The GLOSTAR Galactic Plane Survey. II. Supernova remnants in the first quadrant of the Milky Way?, Astron. Astroph. 651, A86 (2021); DOI: 10.1051/0004-6361/202039873
G. N. Ortiz-León et al.: A Global View on Star Formation: The GLOSTAR Galactic Plane Survey. III. 6.7 GHz Methanol maser survey in Cygnus X, Astron. Astroph. 651, A87 (2021); DOI: 10.1051/0004-6361/202140817
H. Nguyen et al.: A Global View on Star Formation: The GLOSTAR Galactic Plane Survey. IV. Radio continuum detections of young stellar objects in the Galactic Centre Region, Astron. Astroph. 651, A88 (2021); DOI: 10.1051/0004-6361/202140802 - GLOSTAR – Global View on Star Formation in the Milky Way, Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn