04.11.2022

Supraleiter-Bauteil aus Graphen

Neuartiges SQUID-Modul reagiert empfindlich gegenüber Magnetfeldern.

Es ist weniger als zwanzig Jahre her, seit es Konstantin Novoselov und Andre Geim erstmals gelang, zwei­dimensionale flächige Kristalle herzustellen, die nur aus einer Schicht Kohlenstoffatome bestehen. Seither hat Graphen eine bemerkens­werte Karriere gemacht. Es wird aufgrund seiner außer­gewöhnlichen Festigkeit heute nicht nur verwendet, um Produkte wie Tennisschläger, Autopneus oder Flugzeugflügel zu verstärken. Graphen ist auch für die Grundlagen­forschung ein anregendes Studien­objekt, entdecken doch Physikerinnen und Physiker immer wieder erstaunliche neue Phänomene, die sich so bei anderen Materialien nicht zeigen. Besonders interessant sind zweischichtige Graphen­kristalle, bei denen die beiden Atomschichten leicht gegeneinander verdreht sind. So konnten Forscher aus der Gruppe von Klaus Ensslin und Thomas Ihn am Laboratorium für Festkörperphysik an der ETH Zürich vor rund einem Jahr zeigen, dass man mit verdrehtem Graphen Josephson-Kontakte bauen kann – die Grund­bausteine von supra­leitenden Bauelementen.

Abb.: Moiré-​Effekt mit zwei übereinander­gelegten Gittern: Eine leichte...
Abb.: Moiré-​Effekt mit zwei übereinander­gelegten Gittern: Eine leichte Verdrehung von Graphen­schichten führt zu einem supra­leitenden Material. (Visualisierung: Y. Shimazaki, ETHZ)

Basierend auf dieser Arbeit gelang es den Forschenden nun, aus verdrehtem Graphen das erste supra­leitendes SQUID (engl. super­conducting quantum interference device) herzustellen, mit dem die Interferenz supra­leitender Quasi-Teilchen demonstriert wird. Herkömmliche SQUIDs werden in der Praxis bereits in verschiedenen Bereichen eingesetzt, beispielsweise in der Medizin, in der Geologie oder Archäologie. Die empfindlichen Sensoren sind in der Lage, kleinste Änderungen in Magnet­feldern zu messen. Allerdings funktionieren SQUIDs nur mit supra­leitenden Materialien, weshalb sie im Betrieb mit flüssigem Helium oder Stickstoff gekühlt werden müssen. In der Quanten­technologie kommen SQUIDs als Qubits zum Einsatz. „SQUIDs sind für die Supraleitung das, was Transistoren für die Halbleiter­technik sind: das grundlegende Bauelement, aus dem sich dann komplexere Schaltkreise bauen lassen“, sagt Ensslin.

Die vom Doktoranden Elías Portolés hergestellten SQUIDs aus Graphen sind nicht sensitiver als herkömmliche SQUIDs aus Aluminium und müssen auch auf tiefe Tempera­turen von weniger als zwei Grad über dem absoluten Nullpunkt abgekühlt werden. „In diesem Sinn ist das ist kein Durchbruch für die SQUID-Technologie an sich“, hält Ensslin unmiss­verständlich fest. Das Einsatz­spektrum von Graphen wird jedoch merklich erweitert. „Wir konnten bereits vor fünf Jahren zeigen, dass man mit Graphen Einzel-Elektronen-Transistoren bauen kann. Nun kommt noch die Supraleitung hinzu“, erklärt Ensslin. 

Bemerkenswert ist, dass man das Verhalten des Graphen durch die angeschlossene Elektrode gezielt steuern kann. Je nachdem, welche Spannung man anlegt, ist das Material isolierend, leitend oder eben supraleitend. „Die ganze Vielfalt an Möglich­keiten der Festkörper­physik steht zur Verfügung“, meint Ensslin. Interessant ist zudem, dass man nun in einem einzigen Material die beiden grund­legenden Bauelemente eines Halbleiters (Transistor) und eines Supraleiters (SQUID) kombinieren kann. Dies erlaubt den Bau neuartiger Schalt­operationen. „Normaler­weise würde man den Transistor aus Silizium fertigen und das SQUID aus Aluminium“, erklärt Ensslin. „Das sind verschiedene Materialien, die unter­schiedliche Verarbeitungs­technologien benötigen.“

Obwohl Supraleitung in Graphen vor nunmehr fünf Jahren von einer Gruppe am MIT entdeckt wurde, gibt es weltweit vielleicht gerade mal ein Dutzend experi­mentelle Gruppen, welche Supra­leitung in Graphen beobachten. Noch weniger sind in der Lage, das supraleitende Graphen auch zu einem funktionsfähigen Bauteil zu verarbeiten. Die Herausforderung besteht darin, dass die Wissenschaftler mehrere fragile Arbeits­schritte nacheinander ausführen müssen: Zuerst müssen sie die Graphen­schichten im exakt richtigen Winkel zueinander justieren. Anschließend folgen die weiteren Schritte wie beispiels­weise Elektroden anschließen oder Löcher ätzen. Würde man dazu das Graphen aufheizen, wie das sonst bei Reinraum-Techno­logien mehrfach der Fall ist, so würden sich die beiden Schichten sofort wieder parallel zueinander ausrichten. „Die ganze Standard-Halbleiter­technologie muss also angepasst werden“, erklärt Portolés. „Das macht die Aufgabe extrem anspruchsvoll.“

Ensslin denkt zudem bereits einen Schritt weiter: Zurzeit werden ganz unter­schiedliche Technologien für Qubits untersucht, die alle ihre Vor- und Nachteile haben. Die meisten dieser Techno­logien werden von verschiedenen Forschungs­gruppen innerhalb des Nationalen Forschungs­schwerpunkts Quantum Science and Technology (QSIT) untersucht. Wenn es nun gelingt, mit Hilfe von Graphen zwei dieser Systeme miteinander zu koppeln, könnte man vielleicht auch deren Vorteile miteinander verbinden. „Man hätte dann zwei verschiedene Quanten­systeme auf dem gleichen Kristall“, erklärt Ensslin. Neue Möglich­keiten ergeben sich auch für die Erforschung der Supraleitung. „Mit diesen Bauteilen werden wir vielleicht besser verstehen, wie Supra­leitung in Graphen überhaupt zustande kommt“, meint Ensslin. „Heute wissen wir einzig, dass es in diesem Material unter­schiedliche Phasen der Supra­leitung gibt. Doch wir haben noch kein theoretisches Modell, um diese zu erklären.“

ETHZ / JOL

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