19.08.2020

Synchrone Pulse von ungleichen Nachbarn

Rätselhafte Verbindung zwischen schwarzem Loch und 100 Lichtjahre entfernter Gaswolke.

Forscher haben einen rätselhaften Gamma­strahlen-„Herzschlag“ aus einer unscheinbaren kosmischen Gaswolke erspäht. Die Wolke im Sternbild Adler pulsiert im Takt mit einem taumelnden schwarzen Loch in der Nachbarschaft, was eine Verbindung unbekannter Art zwischen den beiden Objekten nahelegt. Das Team um DESY-Humboldt-Fellow Jian Li und Diego F. Torres vom Institut für Weltraum­forschung (IEEC-CSIC) in Barcelona hat seine Beobachtungen nun vorgestellt. Wie das schwarze Loch den Gamma-Herzschlag in der rund 100 Lichtjahre entfernten Gaswolke genau antreibt, ist unklar. 
 

Abb.: Der Mikro­quasar SS 433 (Hinter­grund) taumelt mit einer Periode von...
Abb.: Der Mikro­quasar SS 433 (Hinter­grund) taumelt mit einer Periode von 162 Tagen. Die 100 Licht­jahre entfernte unscheinbare Gas­wolke (Vorder­grund) pulsiert im selben Rhythmus mit Gamma­strahlung, was eine direkte Verbindung nahelegt. (Bild: DESY / Sci. Commun. Lab)

Die Wissenschaftler aus Deutschland, Spanien, China und den USA hatten mehr als zehn Jahre Messdaten des Gamma-Satelliten „Fermi“ der US-Raumfahrt­behörde NASA von der Beobachtung eines Mikro­quasars genau analysiert. Dieses System mit der Katalog­nummer SS 433 liegt 15.000 Lichtjahre von unserem Sonnen­system entfernt in der Milchstraße und besteht aus einem Riesenstern mit rund der dreißig­fachen Masse unserer Sonne und einem schwarzen Loch mit zehn bis zwanzig Sonnen­massen. Die beiden Objekte umkreisen einander alle 13 Tage, wobei das schwarze Loch Materie von dem Stern absaugt.

„Dieses Material sammelt sich auf einer Akkretions­scheibe, bevor es ins schwarze Loch fällt – ähnlich wie das Wasser im Strudel über dem Badewannen­abfluss“, erläutert Li. „Ein Teil der Materie fällt allerdings nicht in das Loch, sondern schießt in zwei gebündelten Strahlen mit hoher Geschwindigkeit nach oben und unten ins All.“ Dieses Phänomen kennen Astronomen von Quasaren, aktiven Galaxien mit riesigen schwarzen Löchern von Millionen Sonnen­massen in ihren Zentren, die solche Materiejets zehntausende Lichtjahre weit in den inter­galaktischen Raum hinausschießen. Da SS 433 wie eine verkleinerte Version dieser Quasare aussieht, sprechen die Forscher von einem Mikroquasar.

Die schnellen Teilchen und die ultrastarken Magnetfelder in den Jets erzeugen Röntgen- und Gammastrahlung. „Die Akkretions­scheibe liegt nicht genau in der Ebene der Umlaufbahn der beiden Objekte. Sie präzediert, also taumelt, wie ein drehender Kreisel, der schief auf einen Tisch aufgesetzt wurde“, berichtet Torres. „Daher schrauben sich die beiden Jets eher in den umgebenden Raum als sich in einer geraden Linie auszubreiten.“

Die Präzession der Jets aus dem schwarzen Loch hat eine Periode von 162 Tagen. Die genaue Analyse der Messdaten offenbarte ein Gamma­strahlen­signal mit derselben Periode an einer Position relativ weit von den Jets entfernt. Es bekam die Katalog­nummer Fermi J1913+0515 und liegt am Ort einer unscheinbaren Anreicherung von inter­stellarem Gas. Die überein­stimmende Periode zeigt, dass dieser regelmäßige Gammastrahlen-Herzschlag der Wolke von dem Mikro­quasar angetrieben werden muss.

„Eine solche unzweifelhafte Verbindung rein über die Zeitmessung zu finden, rund 100 Lichtjahre vom Mikroquasar entfernt und noch nicht einmal in der Richtung der Jets, ist ebenso unerwartet wie erstaunlich“, betont Li. „Wie das schwarze Loch allerdings den Herzschlag der Gaswolke antreiben kann, ist uns nicht wirklich klar.“ Ideen haben die Wissenschaftler durchaus. Eine direkte periodische Beleuchtung der Wolke durch einen der Jets ist dabei unwahrscheinlich.

Als alternatives Modell hat das Team die Idee untersucht, dass schnelle Protonen in den Jets oder in der Nähe des schwarzen Lochs erzeugt werden und Gamma­strahlung produzieren, wenn sie auf die Moleküle der Gaswolke treffen. Solche Protonen könnten auch aus einem Strom schneller Teilchen von der äußeren Kante der Akkretions­scheibe stammen. Wenn dieser Strom die Gaswolke trifft, leuchtet sie im Gammalicht auf. Das würde den rätselhaften Herzschlag erklären. „Von der Energie her könnte der Strom von der Scheibe so kräftig sein wie der von den Jets, und es wird angenommen, dass er zusammen mit dem Rest des Systems präzediert“, erläutert Torres.

Um den rätselhaften Gamma-Herzschlag dieses einzig­artigen Systems allerdings genau zu verstehen, sind weitere Beobachtungen und theoretische Analysen nötig, betonen die Wissenschaftler. „SS 433 verblüfft Beobachter bei allen Frequenzen sowie die Theoretiker gleicher­maßen“, sagt Li. „Und er wird auf jeden Fall über Jahre hinaus ein Testfeld für unsere Vorstellungen von der Erzeugung und Ausbreitung kosmischer Strahlung in der Nähe von Mikro­quasaren bieten.“ An der Arbeit waren Forscherinnen und Forscher von DESY, dem Institut für Weltraum­forschung ICE in Spanien, der Universität Nanjing und der Sternwarte am purpurnen Berg in China sowie dem Forschungs­labor der US-Marine beteiligt.

DESY / DE
 

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