30.06.2021

Synchrotrons beschleunigen Corona-Forschung

Lichtquellen unterstützten Entwicklung von Arzneien, Maßnahmen und Therapien gegen Covid-19.

Um Covid-19 zu bekämpfen, brauchen wir Impfstoffe und Medikamente. Für ihre Entwicklung muss man das Virus SARS-CoV-2 genau kennen. Doch für diese Untersuchungen reicht die Auflösung eines normalen Licht­mikroskops nicht aus, denn das Virus selbst ist kleiner als die Wellenlänge des sichtbaren Lichtes. Kurzwelligere Photonen, zum Beispiel Röntgen­strahlen, werden mit Synchrotrons produziert. Hier zeigt sich der Vorteil der seit Jahrzehnten etablierten Forschungs­infrastruktur in Deutschland und mit deutscher Beteiligung: Synchrotron-Licht­quellen wie Petra III und FLASH am Deutschen Elektronen­synchrotron Desy in Hamburg, Bessy II am Helmholtz-Zentrum Berlin HZB, European XFEL bei Hamburg oder ESRF in Grenoble, Frankreich, sind solche Großforschungs­anlagen. Sie gestatten es, das Virus mit atomarer Genauig­keit abzubilden. 

Abb.: DESY-Forscherin Wiebke Ewert zeigt auf einer Elektronen­dichtekarte, wo...
Abb.: DESY-Forscherin Wiebke Ewert zeigt auf einer Elektronen­dichtekarte, wo ein Wirkstoff­kandidat an die Haupt­protease des Corona­virus bindet. (Bild: C. Schmid, DESY)

„Das Besondere an diesen Großforschungs­anlagen ist, dass dort eine große Gemeinde von Nutzerinnen und Nutzern ihre drängenden Frage­stellungen bearbeiten kann. Die Bereitstellung von modernsten Messmethoden macht Synchrotrons außer­ordentlich attraktiv, gerade auch für die Corona-Forschung.“, sagt Jan-Dierk Grunwaldt, Vorsitzender des Komitees Forschung mit Synchrotron­strahlung (KFS). Das Herzstück eines Synchrotrons ist ein Teilchen­beschleuniger. Dieser beschleunigt Elektronen auf nahezu Lichtge­schwindigkeit. Spezielle Magnete lenken die Elektronen von ihrer Flugbahn im Synchrotron ab; beim Bremsen verlieren sie Energie in Form von Licht. Diese Photonen, die einen weiten Bereich von Infrarot bis Röntgen abdecken, werden dann genutzt, um chemische Prozesse, Zellen und Moleküle, aber auch die Ausbreitung von Aerosol­partikeln oder das Ausmaß der Schädigung des Lungen­gewebes von Covid-Patienten zu untersuchen.

Gleich nachdem Anfang 2020 das Genom des neuartigen Coronavirus SARS-CoV2 bekannt wurde, starteten die ersten Forschungs­vorhaben an Synchtrotron­lichtquellen mit deutscher Beteiligung. Dies war möglich durch ein „Fast-Track-Verfahren“: Während die begehrte Synchrotron-Messzeit normaler­weise mehrere Monate im Voraus beantragt werden muss, haben die Synchrotrons ein Schnell­verfahren für Corona­forschung eingerichtet und den Betrieb für diese Projekte sogar während des Lockdowns aufrecht­erhalten. Dies hat eine Vielzahl unter­schiedlicher Projekte ermöglicht:

Im Februar 2020 konnte in Berlin die drei­dimensionale Struktur der Hauptprotease des Virus durch Röntgen­struktur­analyse entschlüsselt werden – ein wichtiger Angriffspunkt für Medikamente gegen Covid-19. In einem Projekt am Bessy II mit den Universitäten Hamburg und Lübeck werden mögliche Bindestellen und der richtige Aufbau für Arznei­mittel untersucht. Eine vielver­sprechende Substanz wurde bereits gefunden. Nachdem die 3D-Molekül­struktur der Haupt­protease bekannt war, wurden am Desy in einem groß angelegten Röntgen­screening rund 7000 bereits zugelassene oder sich in der klinischen Erprobung befindende Medikamente auf eine mögliche Wirksamkeit auch gegen das SARS-CoV-2 Virus getestet, in einer Kooperation von Desy, den Universitäten Lübeck und Hamburg, dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropen­medizin und Fraunhofer IME. An Petra III konnten 37 Wirkstoffe identi­fiziert werden, die an die Haupt­protease binden. Zwei dieser Wirkstoffe sind bereits in der prä­klinischen Testphase. 

Das Mainzer Unternehmen BioNTech, der Entwickler eines der ersten Corona-Impfstoffe, forscht an Petra III gemeinsam mit universitären Partnern nach Möglich­keiten, RNA-Impfstoffe zu verbessern. Fachleute suchen mit Hilfe von Petra III nach innovativen Verabreichungs­formen von Corona-Medi­kamenten mit dem Ziel, mögliche Neben­wirkungen zu mildern. Am Röntgen­mikroskop von Bessy II ist es einem Team der Freien Universität Berlin und des HZB gelungen, Coronaviren in Zellen räumlich darzustellen. Aktuell untersuchen sie, wie die Virus­aufnahme durch klinisch zuge­lassene Medi­kamente aus der Gruppe der Anti­depressiva blockiert wird. Anti­depressiva beein­flussen finger­förmige Aus­stülpungen der Zelle, die so genannten Filopodien. Da auch das Virus an diese Filopodien bindet, kann man mit den Anti­depressiva erforschen, ob diese Strukturen in der Infektion eine wichtige Rolle spielen. 

Für die Entwicklung von Medikamenten ist es wichtig, nicht nur Strukturen zu kennen, sondern auch zu verstehen, welche Prozesse ablaufen. Besonders interessant ist die Frage, wie Substanzen an das Coronavirus binden. Einmalige Einblicke in diese schnellen Prozesse haben inter­nationale Forscher­kooperationen unter Beteiligung von Desy am European XFEL gewonnen. Ganze Lungen von Covid-19-Patienten konnte eine Kooperation der Univer­sitäten Hannover, Heidelberg und Mainz unter Leitung des University College London und der ESRF untersuchen; Ziel des Projekts ist es, den gesamten menschlichen Körper mit extrem hoher Auflösung zu kartieren (Human Organ Project). 

An Petra III haben Forscher der Universität Göttingen mit einem ursprüng­lich für die Untersuchung von Hirngewebe entwickelten Röntgen­verfahren geschädigtes Lungen­gewebe von Covid-19-Patienten mit bislang unerreicht hoher Auflösung durchleuchtet. Das grund­legende Verständnis der Auswirkungen von Covid-19 ist Basis für bessere Therapien. Ein Team des MPI für Chemie in Mainz sowie des MPI für Dynamik und Selbst­organisation in Göttingen untersucht an Bessy II den Ausstoß und die Eigen­schaften von Aerosol­partikeln bei verschiedenen Tätig­keiten wie Sprechen, Singen oder Husten mit Hilfe der Mikro­spektroskopie, um ihre Rolle in der Übertragung von Krankheits­erregern besser zu verstehen.

„Dass diese Projekte machbar waren, ist kein Zufall, sondern das Ergebnis einer konsequenten und langfristigen Forschungs­förderung. Dass wir in Deutschland diese Forschungs­infrastruktur hatten, war ein großes Glück für die Bekämpfung der Pandemie. Gute Forschung dauert einfach länger als eine Legislatur­periode.“ sagt Andrea Thorn von der Universität Hamburg und Leiterin der Corona­virus Structural Task Force und Mitglied des Komitees Forschung mit Synchrotron­strahlung (KFS). Das KFS ist eine gewählte Vertretung der mehr als 4000 Nutzerinnen und Nutzer von Synchrotron­strahlungsquellen in Deutschland und an inter­nationalen Institutionen mit deutscher Beteiligung.

KFS / JOL

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