11.09.2018

Tauender Permafrost

Küstenerosion in der Arktis verstärkt die globale Erwärmung.

Heute weiß niemand genau, wie stark die Treibhausgas­konzen­trationen in Zukunft noch steigen werden. Das liegt auch daran, dass Kohlen­dioxid nicht allein vom Menschen durch die Verbrennung von Gas, Kohle und Öl freigesetzt wird, sondern dass Treib­hausgase auch durch andere Umwelt­prozesse in die Atmosphäre gelangen könnten. Gefürchtet wird besonders die sich selbst verstärkende Wechsel­wirkung von Erwärmung und Freisetzung immer weiterer Mengen an Kohlen­dioxid aus natür­lichen Quellen. Um besser abschätzen zu können, ob und wie solche Entwick­lungen tat­sächlich möglich sind, schauen Klimawissen­schaftler in die Vergan­genheit, um Spuren solcher Ereignisse zu finden.

Abb.: Erodierende Küste auf der sibirischen Insel Sobo-Sise im östlichen Lena-Delta. (Bild: G. Grosse)

Wissen­schaftlern des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeres­forschung AWI, ist es jetzt gelungen gemeinsam mit Kollegen aus Kopenhagen und Zürich ein solches Phänomen für die arktischen Perma­frostböden nachzuweisen. Sie konnten durch Unter­suchungen vor der Küste des Ochots­kischen Meeres im Osten Russlands nachweisen, dass vor mehreren Tausend Jahren aus Perma­frostböden in der Küsten­region große Mengen an Kohlendioxid freigesetzt wurden und dass die Ursache dafür der Meeres­spiegel­anstieg gewesen ist. Beim Permafrost handelt es sich um Böden, die ganzjährig bis zu mehrere Hundert Meter tief gefroren sind, einige davon seit der letzten Eiszeit vor rund 20.000 Jahren oder sogar noch länger. Diese Böden konser­vieren wie eine Kühltruhe riesige Mengen abge­storbener Biomasse, vor allem aus Pflanzen. Taut der Permafrost auf, werden Bakterien aktiv, die die uralte Biomasse abbauen und durch ihren Stoffwechsel die Treibhaus­gase Kohlen­dioxid und Methan freisetzen.

Obwohl der Südozean eine Schlüssel­stellung im globalen Klima­geschehen einnimmt, ist seine größte Region – der Südpazifik – kaum bearbeitet. Das Ziel der SO-213 Ausfahrt in den SE-Pazifik ist es, mit paläo­ozeano­graphischen Rekonstruk­tionen die Kenntnisse über die pleis­tozänen und holozänen Wechselwirkungen zwischen Ozean, Atmosphäre und konti­nentalen Eismassen, sowie über die Auslöse- und Übertragungs­mechanismen von globalen Klima­änderungen zu verbessern. Insbe­sondere steht dabei die Lage und Ausdehnung der ozeanischen Fronten­systeme mit ihren Auswirkungen auf den atmo­sphärisch ozeanischen Kohlen­dioxidaustausch und die Nährstoff­verwertung in der ozeanischen Deckschicht im Fokus.

Dies soll anhand von Unter­suchungen von Bor-Isotopen und B/Ca-Verhältnissen an planktischen Foramini­feren, von Wasser­oberflächen­temperaturen und Wärmetransfer des Humboldt-Stromes und der Veränderungen in der Zirkulation und Venti­lation von Antarktischem Zwischen­wasser, zirkum­polarem Antark­tischem Tiefen­wasser und Pazifischem Zentralwasser, sowie Änderungen in den Karbonat­lösungs­mustern anhand von geophysi­kalischen und geo­chemischen Untersuchungen an Sedimentkernen von Sediment­kernen erreicht werden. Weiterhin sollen die ozeanischen Deckschicht in Abhän­gigkeit von Veränderungen der ozeanischen Fronten rekonstruiert, sowie die Änderungen der Tiefenwasser­zirkulation, deren Bildungs­gebiete und -phasen und der zeitliche Zusammen­hang mit den paläo­klimatischen Verän­derungen untersucht werden.

Bekannt ist heute, dass es vor rund 11.500, 14.600 und 16.500 Jahren jeweils zu einem deutlichen und raschen Anstieg der Kohlendioxid­konzentration in der Atmo­sphäre kam. Die Ursachen für die drei schnellen Schwankungen sind bisher kaum verstanden. Um nach diesen Ursachen zu fahnden, machten sich die Wissen­schaftler um die AWI-Geo­loginnen Maria Winterfeld und Gesine Mollenhauer auf ins Ochotskische Meer. „Ursprüng­lich hatten wir angenommen, dass damals der riesige Fluss Amur sehr große Mengen pflanzlichen Materials aus dem Hinterland ins Meer getragen hat, das im Wasser von Mikro­organismen zu Kohlendioxid abgebaut worden ist. Wir haben daher Sediment­proben am Grunde des Ochotskischen Meeres genommen und diese untersucht.“ Die Ergebnisse waren überraschend. Tatsächlich konnten die Forscher tief in den Sedimenten Nachweise auf pflanz­liche Überreste finden, die sich am Grunde des Meeres abgelagert haben. Diese waren viele Tausend Jahre älter als die Ablagerungen in der Umgebung. „Damit war klar, dass sie aus sehr altem Perma­frostboden stammen mussten, der aus irgendeinem Grund plötzlich aufgetaut war. Besonders viele dieser alten Pflanzen­reste wurden vor 11.500, 14.600 und 16.500 Jahren ins Meer gespült. Der Amur jedoch zeigte zu diesen Zeiten keine deutlich erhöhten Abfluss­raten.“

Gesine Mollen­hauer und ihr Team fanden die Lösung beim Blick auf die Veränderung des Meeres­spiegels seit der letzten Eiszeit. Insbe­sondere vor rund 11.500 und 14.600 Jahren kam es durch größeres Abschmelzen der großen Eisschilde an Land zu Schmelzwasserpulsen. Zu dieser Zeit stieg der Meeres­spiegel innerhalb weniger Jahr­hunderte um je bis zu zwanzig Meter an. „Wir gehen davon aus, dass dadurch die Perma­frostküsten am Ochots­kischen Meer und rund um den Nordpazifik sehr stark abgetragen wurden. Ein Phänomen, das wir auch heute in der Arktis beobachten.“ Damit gelangten große Mengen Jahr­tausende alter Pflanzen­reste ins Meer, die teilweise von Bakterien zu Kohlen­dioxid abgebaut wurden oder sich am Boden des Meeres abla­gerten.

Um herauszufinden, ob ein solcher Abtrag von Permafrost tatsächlich wesentlich zu einem Anstieg der globalen Kohlendioxid­konzentration beigetragen haben könnte, simulierte ihr Kollege Peter Köhler mithilfe eines Computer­modells des globalen Kohlenstoff­kreislaufes die Situation. Er schätzte die wahr­scheinliche Größe der Permafrost­fläche ab, die damals ans Meer verloren ging, und erhielt so Zahlen über die Menge an Kohlen­dioxid, die seinerzeit mutmaßlich frei­gesetzt wurde. Die Ergebnisse lassen aufhorchen. Vor 11.500 und vor 14.600 Jahren dürfte der Abtrag an arktischem Perma­frost rund fünfzig Prozent zur Kohlen­dioxid­zunahme beigetragen haben, vor 16.500 Jahren immerhin zu einem Viertel.

Damit hat das Team einen Prozess aufgedeckt, der künftig tatsächlich Realität werden könnte. Schon heute bricht die Perma­frostküste in der Arktis immer stärker ab, weil es dort immer wärmer wird – an manchen Stellen zieht sich die Küste zwanzig Meter pro Jahr ins Inland zurück. „Diese Küsten­erosion ist nach dem, was wir jetzt heraus­gefunden haben, eine nennens­werte Größe, die in Klima­modellen bislang aber nicht ausreichend berück­sichtigt ist. Solche Effekte sollten künftig unbedingt in die Modelle einfließen“, sagt Mollen­hauer.

AWI / JOL

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