Telekinese mit Teilchenstrahlen
Materiewellen können theoretisch genauere Traktorstrahlen bereitstellen als optische Pinzetten.
Die Entwicklung optischer Traktorstrahlen ist immer noch ein sehr junges Gebiet. Obwohl die Maxwellschen Grundgleichungen der Elektrodynamik, auf denen solche Manipulationstechniken beruhen, mittlerweile über 150 Jahre alt sind, steckt die Erforschung von Traktorstrahlen noch in den Kinderschuhen. Die Idee, kleine Teilchen mit Hilfe von Licht anzuziehen, ist schließlich kontraintuitiv: Licht übt einen zwar geringen, aber in Ausbreitungsrichtung gerichteten Strahlungsdruck aus, der Teilchen grundsätzlich von der Lichtquelle wegschiebt. Diesen Strahlungsdruck wollen sich etwa die Wissenschaftler hinter dem Breakthrough Starshot Projekt zunutze machen, um mit Hilfe extrem starker Laserstrahlen sogar kleine Raumsonden an Lichtsegeln zu unserem Nachbar-Sternensystem Proxima Centauri zu schicken.
Abb.: Auch Materiewellen können wie ein Traktorstrahl auf Teilchen wirken.(Bild: A. Novitsky, DTU)
Mit passend präparierten Lichtstrahlen lässt sich der Effekt aber auch umkehren. Solche Traktorstrahlen, die kleine Objekte anziehen und fixieren können, benötigen spezielle Wellenformen. Hierzu gehören etwa Bessel-Strahlen, die gleich mit mehreren Besonderheiten aufwarten können. So sind Bessel-Strahlen nichtbeugend; sie ändern ihre Form also nicht während ihrer Ausbreitung. Außerdem sind sie selbstheilend. Werden sie an einem bestimmten Punkt gestört, stellt sich danach ihre ursprüngliche Form von selbst wieder her.
Ein Team theoretischer Physiker aus Weißrussland, Russland und Dänemark hat die Technik optischer Traktorstrahlen nun auf Teilchenstrahlen verallgemeinert. „Die Welle-Teilchen-Dualität war unsere anfängliche Intuition“, sagt Andrey Novitsky, der an der Belarusian State University in Minsk und an Technical University of Denmark in Kongens Lyngby arbeitet. Da die Welle-Teilchen-Dualität ebenso für Licht wie für Materieteilchen gilt, sollten schließlich auch Materiewellen mit anziehenden Eigenschaften möglich sein.
Während optische Pinzetten, mit denen man kleine Teilchen im Fokus eines starken Lichtstrahls festhalten kann, bereits seit Jahrzehnten etabliert sind, sind Traktorstrahlen schwieriger zu realisieren und erst seit wenigen Jahren bekannt. Bei sämtlichen Arten optischer Pinzetten und Traktorstrahlen muss man den Strahlungsdruck dadurch ausgleichen, dass der Lichtstrahl so mit dem Objekt wechselwirkt, dass der Lichtstrahl einen zusätzlichen Impuls nach vorne erhält und dadurch das Teilchen aufgrund der Impulserhaltung Richtung Lichtquelle schiebt. Bei optischen Pinzetten funktioniert dies nur im Bereich hinter dem Fixierpunkt, bei Traktorstrahlen entlang des gesamten Strahls. Dies ist dadurch möglich, dass bei den verwendeten Bessel-Strahlen eine Transversal-Komponente in Strahlrichtung abgelenkt wird.
Mit optischen Traktorstrahlen lassen sich ungefähr ein Mikrometer große Objekte anziehen. Aufgrund der wesentlich kürzeren Wellenlänge von Materiewellen sollten Teilchen-Traktorstrahlen auch wesentlich kleinere Objekte transportieren können – laut den Berechnungen der Forscher bis hin zu 0,1 Nanometern. Das macht solche Strahlen im Prinzip für atomare Manipulationen interessant. Da unterschiedliche Arten von Materialien auch auf unterschiedliche Art und Weise mit Licht- und anderen Wellen wechselwirken, hängt die Stärke der anziehenden Kraft auch von Material und Struktur des Teilchens ab. So zeigte sich, dass ein Streukörper, der in Form eines Coulomb-Potenzials wechselwirkt, sich nicht heranziehen, sondern nur abstoßen lässt. Ein Körper mit der Form eines Yukawa-Potenzials hingegen lässt sich anziehen.
In der Grenzbetrachtung sich aufhebender Kräfte – wenn also die Wirkung des Traktorstrahls verschwindet – gelangten die Forscher zur Bedingung für resonante Transparenz von Quantenbarrieren, wie sie sich im Ramsauer-Townsend-Effekt bemerkbar macht. Dieser Effekt beschreibt die klassisch unverständliche Durchlässigkeit von Gasen gegenüber langsamen Elektronen.
Welche Arten von Materiewellen-Traktorstrahlen sich in Zukunft realisieren lassen könnten, ist derzeit noch schwer abzusehen. Optische Traktorstrahlen funktionieren nur bei sehr kleinen und leichten Objekte. Teilchen-Traktorstrahlen haben nach den Berechnungen der Forscher eine ähnliche Stärke wie optische und könnten auch über eine ähnliche Distanz wirken. Allerdings gibt es hier noch weitere Freiheitsgrade wie Spin und Bahndrehimpuls, mit denen sich künftig arbeiten lassen wird und die noch nicht in die Berechnungen eingegangen sind.
Theoretisch eignen sich nicht nur Elektronen, sondern sowohl geladene Teilchen wie Ionen oder Atomkerne als auch ungeladene Teilchen wie Atome oder Moleküle als Traktor-Teilchenstrahl. Um Elektronen ein geeignetes Wellenprofil aufzuprägen, bieten sich etwa nano-holographische Verfahren an. Aufgrund der im Vergleich zu Licht wesentlich kleineren Wellenlänge massiver Teilchen sollte deshalb eine wesentlich höhere Ortsgenauigkeit möglich sein als bei optischen Traktorstrahlen. Nach den Berechnungen der Wissenschaftler benötigen Teilchen-Traktorstrahlen auch keine außergewöhnlichen Parameter. Die Forscher rechnen deshalb schon in den nächsten Jahren mit einer experimentellen Realisierung, die zumindest die grundsätzliche Machbarkeit nachweist.
Dirk Eidemüller
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