13.12.2022

Temperatur in der Quantenwelt

Chaos vermittelt zwischen Quantenphysik und Thermodynamik.

Ein einzelnes Teilchen hat keine Temperatur. Es hat eine bestimmte Energie oder auch eine bestimmte Geschwindigkeit – aber in eine Temperatur kann man das nicht übersetzen. Nur wenn man es mit zufälligen Geschwindigkeits­verteilungen vieler Teilchen zu tun hat, kann man überhaupt von einer Temperatur sprechen. Wie sich aus den Gesetzen der Quantenphysik die Gesetze der Thermo­dynamik ergeben können, ist ein Thema, das in den letzten Jahren wachsende Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat. An der TU Wien ging man dieser Frage nun mit Computer­simulationen nach und konnte dadurch zeigen, welche zentrale Rolle Chaos dabei spielt: Nur da, wo Chaos herrscht, folgen auch aus der Quantenphysik die wohl­bekannten Regeln der Thermodynamik.

Abb.: In einem simulierten Vielteilchen-Ensemble dient ein Teilchen als...
Abb.: In einem simulierten Vielteilchen-Ensemble dient ein Teilchen als Thermometer. (Bild: TU Wien)

Wenn in einem Raum die Luftmoleküle scheinbar regellos durcheinander­fliegen, dann können diese Moleküle viele verschiedene Zustände einnehmen: Für jedes einzelne Teilchen sind unterschiedliche Aufenthalts­orte und unter­schiedliche Geschwin­digkeiten erlaubt. Doch nicht alle diese Zustände sind gleich wahrscheinlich. „Physikalisch wäre es möglich, dass zufällig die gesamte Energie in diesem Raum auf ein einziges Teilchen übertragen wird, das dann mit extrem hoher Geschwin­digkeit herum­fliegt, während alle anderen Teilchen stillstehen“, sagt Iva Brezinova vom Institut für Theo­retische Physik. „Aber das ist so unwahrscheinlich, dass man es praktisch nie beobachten wird.“ Die Wahrschein­lichkeiten unterschiedlicher erlaubter Zustände lassen sich berechnen – nach einer Formel, die der öster­reichische Physiker Ludwig Boltzmann nach den Regeln der klassischen Physik aufstellte. Und aus dieser Wahrscheinlichkeits­verteilung lässt sich dann auch die Temperatur ablesen, die in diesem Raum herrscht: Sie ist nur bei einer großen Zahl von Teilchen bestimmt.

Das bringt nun aber Probleme mit sich, wenn man sich mit Quanten­physik befasst. Wenn eine größere Zahl von Quantenteilchen gleichzeitig im Spiel ist, dann werden die Gleichungen der Quantentheorie nämlich so kompliziert, dass selbst die besten Supercomputer der Welt keine Chance haben, sie zu lösen. Man kann in der Quantenphysik die einzelnen Teilchen auch nicht unabhängig voneinander betrachten, wie man das etwa bei klassischen Billard­kugeln machen kann. Jede Billardkugel hat ihre eigene indi­viduelle Bahn und zu jedem Zeitpunkt ihren indivi­duellen Aufenthalts­ort. Quantenteilchen hingegen haben keine Individualität – man kann sie nur gemeinsam beschreiben, in einer einzigen großen Quanten-Wellen­funktion. „Quanten­physikalisch wird das gesamte System von einem einzigen großen Viel­teilchen-Quanten­zustand beschrieben“, sagt Joachim Burgdörfer. „Wie daraus eine zufällige Verteilung und damit eine Temperatur folgen sollte, blieb lange ungeklärt.“

Das Team konnte nun zeigen, dass Chaos in der Quanten­physik dabei eine zentrale Rolle spielt. Dazu simulierten die Physiker Zustände eines Quantensystems, das aus einer großen Zahl von Teilchen besteht – aus vielen einzelnen ununter­scheidbaren Teilchen einer Teilchensorte (dem „Wärmebad“) und einem einzelnen „Probe­teilchen“, das als Thermometer fungiert. Jede einzelne Quanten-Wellen­funktion des großen Systems hat eine bestimmte Energie, aber keine definierbare Temperatur – ganz wie ein einzelnes klassisches Teilchen. Wenn man aber nun aus dem einzelnen Quanten­zustand das Probe­teilchen heraus­greift und seine Geschwindigkeit misst, dann kann man überraschender­weise eine Geschwindigkeits­verteilung finden, die einer Temperatur entspricht, die zu den längst bekannten Gesetzen der Thermo­dynamik passt.

„Ob sie passt, entscheidet das Chaos – das konnten wir mit unseren Berechnungen zeigen“, sagt Iva Brezinova. „Wir können nämlich die Wechsel­wirkungen zwischen den Teilchen am Computer gezielt verändern und so entweder ein völlig chaotisches System erzeugen, oder eines, das überhaupt kein Chaos zeigt – oder auch irgendetwas dazwischen.“ Und dabei stellte man fest: Die Anwesenheit von Chaos entscheidet darüber, ob ein Quantenzustand des Probe­teilchens einer Boltzmann-Temperatur­verteilung folgt oder nicht.

„Ohne dass man zu Beginn irgendwelche Annahmen über zufällige Verteilungen oder thermo­dynamische Regeln hineinsteckt, ergibt sich aus der Quantentheorie thermo­dynamisches Verhalten ganz von selbst – wenn das kombinierte System von Probeteilchen und Wärmebad sich quanten-chaotisch verhält. Und wie genau dieses Verhalten zu den bekannten Boltzmann-Formeln passt, wird von der Stärke des Chaos bestimmt“, erklärt Joachim Burgdörfer. Damit wurde nun erstmal auf rigorose Weise mit Viel­teilchen-Computer­simulationen das Zusammenspiel von drei wichtigen Theorien gezeigt: Quanten­theorie, Thermodynamik und Chaos­theorie. 

TU Wien / JOL

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