31.01.2022

Tempolimit für Quantencomputer

Energieunschärfe und mittlere Energie bestimmen die theoretisch maximale Rechengeschwindigkeit.

Quantencomputer sollen in Zukunft bestimmte Probleme bearbeiten, die für klassische Rechner völlig unlösbar wären. Doch auch für sie gelten funda­mentale Grenzen für die Datenmenge, die sie in einer bestimmten Zeit verarbeiten können. Die Information wird in Quantenbits gespeichert, die eher einer Welle ähneln als einer Reihe von diskreten Werten. Mit Wellen­funktionen lassen sich die in Qubits enthaltenen Informationen präzise darstellen. In einem tradi­tionellen Computer werden die Informationen durch Gatter miteinander verknüpft. Wenn man mehrere Gatter kombiniert, ermöglichen sie elementare Berech­nungen, zum Beispiel die Addition zweier Bits. In Quanten­rechnern erfolgt die Verarbeitung der Informationen ganz ähnlich, indem Quantengatter die Wellen­funktion nach bestimmten Regeln verändern.

Abb.: Manolo Rivera Lam, Dieter Meschede und Andrea Alberti (v.l. n. r.)...
Abb.: Manolo Rivera Lam, Dieter Meschede und Andrea Alberti (v.l. n. r.) konzipierten ein elegantes Experiment, um das Tempolimit für Quanten­computer zu bestimmen.

Quantengatter ähneln ihren tradi­tionellen Verwandten noch in einer anderen Hinsicht: „Auch in der Quantenwelt arbeiten Gatter nicht unendlich schnell“, erklärt Andrea Alberti vom Institut für Angewandte Physik der Universität Bonn. „Sie benötigen ein Minimum an Zeit, um die Wellen­funktion und die darin enthaltenen Informationen zu verändern.“ Die sowjetischen Physiker Leonid Mandelstam und Igor Tamm haben bereits Mitte des letzten Jahrhunderts theoretisch herge­leitet, wie lang diese Mindestzeit ist. Die Physiker der Universität Bonn und des Technion in Haifa, Israel, haben diese Mandel­stam-Tamm-Grenze nun erstmals in einem komplexen Quanten­system untersucht. Dazu nutzten sie Caesium-Atome, die sich auf eine streng kontrollierte Weise bewegten. „Im Experiment lassen wir einzelne Atome wie Murmeln in einer Lichtschüssel herumrollen und beobachten sie dabei“, erklärt Alberti.

Atome lassen sich quanten­mechanisch als Materiewellen beschreiben. Bei der Reise zum Boden der Lichtschüssel verändert sich ihre Quanten­information. Die Wissenschaftler wollten nun wissen, wann sich diese „Verformung“ frühestens ausmachen lässt. Dieser Zeitpunkt wäre dann der experi­mentelle Beweis der Mandelstam-Tamm-Grenze. Das Problem dabei: In der Quantenwelt verändert jede Messung der Position des Atoms unvermeidlich und auf nicht vorher­sagbare Weise die Materiewelle. Es sieht also immer so aus, als habe sich die Murmel verformt, egal wie rasch die Messung erfolgt. „Wir haben daher eine andere Methode ersonnen, um die Abweichung vom Ausgangs­zustand nachzuweisen“, sagt Alberti.

Dazu stellten die Wissenschaftler zu Beginn einen Klon der Materiewelle her, also einen fast exakten Zwilling. „Mit schnellen Licht­impulsen haben wir eine Quanten­überlagerung zweier Zustände des Atoms erzeugt“, sagt Gal Ness, Doktorand am Technion. „Bildlich gesprochen, hat das Atom damit zur gleichen Zeit zwei verschiedene Farben.“ Je nach Farbe nimmt der entsprechende Atom-Zwilling eine andere Position in der Licht­schüssel ein: Der eine befindet sich hoch oben am Rand und „rollt“ von dort nach unten. Der andere befindet sich dagegen bereits am Boden der Schüssel. Dieser Zwilling bewegt sich nicht – er kann schließlich nicht die Wände hinaufrollen. Er verändert seine Wellenfunktion also nicht. In regelmäßigen Zeit­abständen verglichen die Physiker die beiden Klone miteinander. Dazu nutzten sie die Quanten­interferenz, durch das sich Unterschiede in Wellen sehr exakt nachweisen lassen. Auf diese Weise konnten sie feststellen, nach welcher Zeit erstmals eine wesentliche Verformung der Materiewelle eintrat.

Indem sie die Höhe über dem Schüsselboden beim Start des Experiments variierten, konnten die Physiker zudem die durch­schnittliche Energie des Atoms kontrol­lieren. Durch­schnittlich deshalb, weil sich die Höhe prinzipiell nicht exakt festlegen lässt. Die Lageenergie des Atoms hat also immer eine Unschärfe. „Wir konnten zeigen, dass die Mindestzeit für die Änderung der Materiewelle von dieser Energie­unschärfe abhängt“, sagt Yoav Sagi von Technion. „Je größer die Unsicherheit, desto kürzer die Mandelstam-Tamm-Zeit.“ Genau das hatten die beiden sowjetischen Physiker auch vorher­gesagt. Dazu kam aber noch ein zweiter Effekt: Wurde die Energie­unschärfe mehr und mehr erhöht, bis sie die mittlere Energie des Atoms überstieg, dann verkürzte sich die Mindestzeit nicht weiter – anders, als es die Mandelstam-Tamm-Schranke eigentlich nahelegen würde.

Die Physiker wiesen also eine zweite Geschwindigkeits­grenze nach, die vor etwa zwanzig Jahren theoretisch entdeckt wurde. Das Tempolimit in der Quantenwelt wird also nicht nur durch die Energie­unschärfe, sondern auch durch die mittlere Energie bestimmt. „Es ist das erste Mal, dass beide Schranken der Quanten­geschwindigkeit für ein komplexes Quantensystem gemessen werden konnten, und zwar sogar in einem einzigen Experiment“, freut sich Alberti. Zukünftige Quanten­computer mögen Probleme rasant lösen können, doch auch ihnen werden durch diese fundamentalen Grenzen Zügel angelegt.

U. Bonn / JOL

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