24.02.2021

Tempolimit für Quantenoperationen

Bestimmung der Maximalgeschwindigkeit komplexer Operationen ist auch für das Quantencomputing relevant.

Mal angenommen, man beobachtet einen Kellner (der Lockdown sei bereits Geschichte), der in der Silvester­nacht wenige Minuten vor dem Jahres­wechsel noch ein ganzes Tablett mit gefüllten Sekt­kelchen servieren muss. Er eilt in höchster Geschwindigkeit von Gast zu Gast. Dank seiner in vielen Berufs­jahren perfektionierten Technik gelingt es ihm dennoch, kein Tröpfchen der kostbaren Flüssigkeit zu verschütten. Dabei hilft ihm ein kleiner Trick: Während der Kellner seine Schritte beschleunigt, kippt er das Tablett etwas, damit der Champagner nicht aus den Gläsern schwappt. Auf halbem Wege zum Tisch neigt er es in die entgegengesetzte Richtung und bremst ab. Erst wenn er vollständig zum Stillstand gekommen ist, hält er es wieder gerade.
 

Abb.: Beim Justieren der Laser­strahlen: Manolo Rivera Lam (li.) und Andrea...
Abb.: Beim Justieren der Laser­strahlen: Manolo Rivera Lam (li.) und Andrea Alberti (re.) im Institut für angewandte Physik der Universität Bonn (Bild: V. Lannert / U. Bonn)

Atome ähneln in gewisser Hinsicht dem teuren Sekt: Sie lassen sich als Materiewellen beschreiben, die sich nicht wie eine Billard­kugel, sondern wie eine Flüssigkeit verhalten. Wer Atome möglichst schnell von einem Ort zum anderen transportieren möchte, muss sich daher ähnlich geschickt anstellen wie der Kellner in der Silvesternacht. „Und selbst dann gibt es eine Geschwindigkeits­grenze, die dieser Transport nicht überschreiten kann“, erklärt Andrea Alberti, der am Institut für angewandte Physik der Universität Bonn eine Studie zu diesem Thema geleitet hat.

Wo diese Grenze genau liegt, haben die Wissenschaftler experimentell untersucht. Als Sekt-Ersatz diente ihnen ein Caesium-Atom, als Tablett zwei gegeneinander gerichtete Laser­strahlen, die sich über­lagerten. Durch diese Interferenz entsteht eine stehende Lichtwelle. „Wir haben das Atom in eines dieser Täler geladen, dann die Lichtwelle in Bewegung versetzt und so die Position des Tals verschoben“, sagt Alberti. „Unser Ziel war es, das Atom in kürzester Zeit zum Ziel zu bringen, ohne dass es dabei bildlich gesprochen aus dem Wellental schwappen kann.“

Dass im Mikrokosmos ein Tempolimit gilt, haben bereits Mitte des letzten Jahrhunderts zwei sowjetische Physiker theoretisch nachgewiesen, Leonid Mandelstam und Igor Tamm. Sie zeigten, dass die maximale Geschwindigkeit eines Quantenprozesses von der Energie­unschärfe abhängt, das heißt wie frei das manipulierte Teilchen hinsichtlich seiner möglichen Energiezustände ist: Je mehr energetische Freiheiten es hat, desto schneller. Für den Atom­transport etwa gilt: Je tiefer das Wellental ist, in das man das Caesium-Atom sperrt, desto gespreizter sind die Energien der Quanten­zustände im Tal und desto rascher lässt sich das Atom transportieren. Ähnlich ist es auch im Beispiel mit dem Kellner: Wenn er die Gläser nur halbvoll macht, läuft er weniger Gefahr, dass der Sekt beim Beschleunigen und Abbremsen überschwappt. Allerdings lässt sich die energetische Freiheit eines Teilchens nicht beliebig erhöhen. „Wir können unser Wellental nicht unendlich tief machen – es würde uns zu viel Energie kosten“, betont Alberti.

Das Tempolimit von Mandelstam und Tamm ist eine fundamentale Grenze. Man kann diese allerdings nur unter bestimmten Umständen erreichen, nämlich in Systemen, in denen es lediglich zwei Quanten­zustände gibt. „Bei uns ist das beispiels­weise der Fall, wenn Ausgangsort und Ziel sehr nah beieinander liegen“, erklärt Alberti. „Dann überlappen die Materiewellen des Atoms an beiden Orten gewissermaßen. Daher ließe es sich auf einen Rutsch direkt zum Ziel transportieren, also ohne Zwischen­stopps – fast wie bei der Teleportation im Raumschiff Enterprise.“

Anders sieht es allerdings aus, wenn der Abstand wächst, auf mehrere Dutzende von Materiewellenbreiten wie in dem Bonner Experiment. Für diese Distanzen ist eine direkte Teleportation ausgeschlossen. Statt­dessen muss das Teilchen seinen Orts­wechsel in mehreren Zwischenschritten vollziehen: Aus dem Zwei-Niveau- wird ein Multi-Niveau-System. Die Studie zeigt, dass für solche Prozesse ein niedrigeres Tempolimit als das gilt, das die zwei sowjetischen Physiker vorhergesagten: Es wird nicht nur von der Energie­unschärfe bestimmt, sondern auch von der Anzahl der Zwischenzustände. Damit verbessert die Arbeit das theoretische Verständnis komplexer Quanten­prozesse und der Beschränkungen, denen sie unterliegen.

Wichtig sind diese Erkenntnisse unter anderem für das Quanten­computing. Die Berechnungen, die mit Quanten­rechnern möglich sind, basieren meist auf der Manipulation von Multi-Niveau-Systemen. Quanten­zustände sind allerdings sehr empfindlich; sie überdauern nur eine kurze Kohärenzzeit. Es ist daher wichtig, in diese Zeitspanne möglichst viele Rechen­operationen zu packen. „Unsere Studie zeigt, wie viele Operationen in der Kohärenz­zeit maximal ablaufen können“, erklärt Alberti. „Dadurch wird es möglich, diese Zeit optimal auszunutzen.“

U. Bonn / DE
 

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