12.04.2017

Tiefenspeicher für Strom und Wärme

Forschungsprojekt ANGUS ermittelt Grundlagen für geotechnische Speicher.

Etwa ein Viertel des Endenergie­verbrauchs in Deutsch­land wird als elek­trische Energie, hingegen etwa die Hälfte für die Bereit­stellung von Wärme verwendet. Im Rahmen der Energie­wende soll die Energie­versorgung in Deutschland bis 2050 zu 60 Prozent aus erneuer­baren Energie­quellen gedeckt werden, Strom sogar zu mehr als 80 Prozent. Erneuer­bare Energien wie Sonne oder Wind sind aber nicht immer dann verfügbar, wenn sie gebraucht werden, sondern schwanken zeitlich. Daher lässt sich mit Wind­kraft- oder Solar­anlagen teilweise mehr Energie produ­zieren, als benötigt wird oder in die Netze eingespeist werden kann, teilweise aber auch zu wenig. Während Sonnen­energie im Sommer durch solar­thermische Anlagen genutzt werden kann, wird Heizwärme hauptsächlich im Winter benötigt. Daher liegt es auf der Hand, dass große Energie­speicher nützlich sein können, um diese zeit­lichen Schwankungen auszu­gleichen: Gas- und Wärme­speicher im unter­irdischen Gestein bieten hierbei gute Optionen.

Abb.: Skizze zu unterirdischen Varianten von Energiespeichern in natürlichen geologischen Formationen. Oben sind verschiedene Schutzgüter und Sektoren des Energiemarkes aufgeführt. (Bild: ANGUS, AG Bauer)

Welche dieser geo­technischen Speicher­arten für Schleswig-Holstein in Frage kommen und wie diese effizient mit dem Energie- und Wärme­markt gekoppelt werden können, soll im Forschungs­projekt ANGUS II (Auswir­kungen der Nutzung des geo­logischen Untergrundes als thermischer, elek­trischer oder stoff­licher Speicher) unter Feder­führung der Christian-Albrechts-Univer­sität in Kiel ermittelt werden. „Wir wissen, dass es in Schleswig-Holstein viele gute Speicher­möglich­keiten im Unter­grund gibt. Wasser­stoff, synthe­tisches Methan aus Windkraft und Druckluft können in Salz­kavernen und in tiefer­liegenden porösen Gesteins­schichten gelagert werden. Wärme kann auch ober­flächennah im Unter­grund einge­speichert werden. Beides geht in Schleswig-Holstein theo­retisch im großen Maßstab. Der wöchent­liche Strom­bedarf unseres Landes ließe sich beispiels­weise mit einem großen Wasserstoff­speicher in einer geolo­gischen Formation abdecken“, erläutert Sebastian Bauer ein Ergebnis der bis­herigen Forschungen. Im Vorgänger­projekt ANGUS+ hatte das Forschungs­team die Speicher­möglichkeiten im schleswig-hol­steinischen Unter­grund untersucht. Im Folge­projekt sollen nun diese Speicher­potenziale und ihre mögliche Einbindung in das Energie­netz weiter erforscht werden.

Vor einer konkreten Umsetzung der Grundlagen­forschung in die prak­tische Anwendung müssen die Wissen­schaftler zunächst noch viele Fragen beantworten: Welche Energie­menge muss eigent­lich wann und für welchen Zeitraum gespeichert werden? Wie viel Energie brauchen wir heute und wie viel in den nächsten 20 Jahren? Wie kann sich zum Beispiel ein Druckluft­speicher­kraftwerk über diesen Zeitraum rentieren? Wieviel Wärme kann im städtischen Raum durch erneuer­bare Energien erzeugt und wo kann diese gespeichert werden? Welche lang­fristigen Effekte ergeben sich aufgrund des Speicher­betriebes in den geolo­gischen Schichten für die Umwelt? Für die dauerhafte Nutzung einer geolo­gischen Formation unter variabler Zuführung und Entnahme von Gasen oder Wärme muss nicht nur der Speicher­betrieb gesichert, sondern auch die hydrau­lischen, chemischen, thermischen oder mecha­nischen Auswir­kungen dieser Nutzung vorher­sagbar, über­wachbar und ohne schädliche Neben­wirkungen sein.

Die Forscher beschäf­tigen sich zunächst mit der Entwicklung neuer Methoden zur Quanti­fizierung und der mathe­matischen Be­schreibung der rele­vanten Prozesse, die der Dimen­sionierung und Auslegung der Speicher zugrunde liegen. „Die Erkennt­nisse aus den Prozessstudien werden dann in groß­technischen Labor­untersuchungen für Wärme­speicher überprüft. Mit etwa fünf Tonnen Sediment bauen wir die Natur nach und erforschen unter kontrol­lierten Bedingungen, welche Detail­prozesse mit ver­schiedenen Arten der Wärme­speicherung genau verbunden sind. Dabei achten wir darauf, welche unmittel­baren Auswir­kungen für den Speicher selbst, aber auch für seine umgebende Schicht und oberflächen­nahe unter­irdische Schutz­güter wie Grund­wasser entstehen“, erklärt Bauer.

Parallel dazu erfolge die Erfor­schung der Markt­einbindung. Dazu werden nume­rische Modelle zu Energie­speichern, Kraftwerks­einzel­anlagen und Energie­netzen erstellt. Die Ergeb­nisse dieser realis­tischen und auf Schleswig-Holstein als Modell­region fokus­sierten Simula­tionen werden anschließend in einer Daten­basis für den Daten­transfer zusammen­geführt. „Das erlaubt uns die gemeinsame Nutzung der Modelle unter wirtschaft­lichen Aspekten und stellt eine konsis­tente Methodik zur Integration von geotech­nischen Speichern in die Energie­netze dar“, so Geowissen­schaftler Andreas Dahmke.

Um den Anteil an erneuer­barer Energie nicht nur im Strom- sondern auch im Wärme­sektor zu erhöhen, könne mithilfe dieser Grundlagen­forschung künftig zum Beispiel über­schüssige erneuer­bare Energie aus Solar­thermie, die saisonal und wetter­abhängig produziert wird, als Wärme­energie ge­speichert werden. „Energie­wende geht nicht ohne Wärme­wende“, betont Dahmke den Beitrag, den urbane Wärme­speicher in Zukunft spielen können. Mit dem Forschungs­projekt ANGUS II soll daher auch die Wärme­wende voran­getrieben werden. Dieser Beitrag ist natur­gemäß nicht auf Schleswig-Holstein beschränkt, sondern von nationaler Bedeutung. Auch inter­national ist dieses Projekt aufgrund der geowissen­schaftlichen Grundlagen­forschung kombiniert mit anwendungs­nahen Aspekten der System­integration maßgebend und von hoher Relevanz bei der Trans­formation der Energie­systeme.

CAU Kiel / JOL

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