25.10.2023

Tiefer Blick in die dipolare Quantenwelt

Ultragenaues Quantengas-Mikroskop für die Beobachtung magnetischer Quantenmaterie entwickelt.

Zwei weltweit führende Forschungsgruppen, eine unter der Leitung von Francesca Ferlaino von der Uni Innsbruck und die andere geführt von Markus Greiner von der Harvard University, haben ihre Expertise gebündelt und ein ultragenaues Quantengas-Mikroskop für die Beobachtung magnetischer Quantenmaterie entwickelt. Mit diesem lassen sich komplexe, dipolare Quantenzustände beobachten, die Ergebnis der Wechselwirkung der Teilchen sind.

Abb.: Das Quantengas-Mikroskop ähnelt einem Schiff im Glas: Vakuumkammer und...
Abb.: Das Quantengas-Mikroskop ähnelt einem Schiff im Glas: Vakuumkammer und Linse befinden sich in einer Glaszelle, mit Lasern wird in der Kammer ein Lichtkristall erzeugt.
Quelle: M.R.Knabl, IQOQI Innsbruck

Magnetische Atome bilden das Herzstück der Forschung von Ferlaino zu Quantenmaterie. Die Teilchen verfügen über unvergleichliche Eigenschaften für Quantenexperimente. Am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und dem Institut für Experimentalphysik der Uni Innsbruck erforscht die Experimentalphysikerin mit ihrem Team Materiezustände, die bislang nicht untersucht werden konnten. So haben sie 2012 das erste Bose-Einstein-Kondensat aus Erbium realisiert und 2019 als eines von drei Teams erstmals suprasolide Zustände in ultrakalten Quantengasen aus magnetischen Atomen beobachtet.

Das Team des aus Deutschland stammenden Physikers Greiner leistet Pionierarbeit bei der Entwicklung von optischen Techniken zur direkten Beobachtung von einzelnen Atomen. An der Harvard Universität haben die Physiker mit Hilfe hochauflösender Mikroskopie viele exotische Phänomene in stark korrelierten ultrakalten Quantengasen sichtbar gemacht, wie zum Beispiel anti-ferromagnetische Phasen im Jahr 2017.

Vor einigen Jahren hatten Ferlaino und Greiner beschlossen, ihre Expertise zu bündeln und gemeinsam ein Quantengas-Mikroskop für magnetische Atome zu bauen, mit dem Ziel neue Phänomene zugänglich zu machen. „Durch den stark magnetischen Charakter beeinflussen sich die Teilchen über viel größere Distanzen als nicht magnetische Teilchen und ihr Einfluss wirkt immer in eine bestimmte Richtung“, erklärt Ferlaino. „Aufgrund der Eigenschaften der Teilchen können wir in diesen Quantengasen Wechselwirkungen beobachten, die in herkömmlichen Experimenten nicht zu sehen sind. Das bietet uns völlig neue Einblicke in die Funktionsweise von Festkörpern.“

In jahrelanger Kleinarbeit haben die Forschungsteams gemeinsam das neue Experiment entwickelt und zwei Mikroskope in Österreich und den USA aufgebaut. „Teile der Apparatur haben wir hier in Innsbruck hergestellt“, erzählt Ferlaino. Heute steht sowohl in Harvard als auch in Innsbruck ein Quantengas-Mikroskop für dipolare Quantengase. Es erzeugt mit Laserstrahlen ein Lichtgitter, in dem sich auf extrem tiefe Temperaturen abgekühlte Erbium-Atome verteilen. Mit Magnetfeldern lassen sich die Teilchen unterschiedlich ausrichten und so die Wechselwirkungen steuern. Die Linse des Mikroskops befindet sich im Inneren einer gläsernen Vakuumzelle, und der Aufbau erinnert so an ein Schiff in einer Flasche.

Die Gruppe um Greiner präsentiert nun erste Ergebnisse dieser Arbeiten. Den Wissenschaftlern ist es gelungen zu zeigen, wie durch die Manipulation der Wechselwirkungen in der Apparatur aus supraflüssigen Phasen verschiedene dipolare Quantenfestkörper erzeugt werden können. Diese zeigen sich im Mikroskop als unterschiedliche Muster: Querstreifen, Schachbrettmuster oder diagonale Streifen. „Hier bestimmt die weitreichende, gerichtete Wechselwirkung der Teilchen die Eigenschaften der Materiewolke, die ordnende Kraft des Lichtkristalls wird gebrochen“, erklärt Ferlaino.

Grundlage für diesen Durchbruch war die langjährige, enge Zusammenarbeit zweiter experimenteller Forschungsgruppen über einen Ozean hinweg. Die gemeinsame Arbeit ermöglicht nun Simulationen von Quantensystemen mit weitreichenden und gerichteten Wechselwirkungen und schafft so die Basis für neue Erkenntnisse zu den Eigenschaften von Quantenmaterie. „Interessant ist das für alle Phänomene, die von diesen Wechselwirkungen dominiert werden, wie etwa der Ferromagnetismus“, zeigt sich Ferlaino begeistert.

U. Innsbruck / RK


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