Die Entwicklung von Quantencomputern schreitet schnell voran. Bereits heute lassen sich mit einfachen Quantenrechnern Simulationen durchführen, die von den besonderen Eigenschaften der Quantenbits profitieren. Dank der quantentypischen Verschränkung können Quantenbits sich quasi kollektiv durch den Hilbertraum hangeln und dabei parallel alle möglichen Rechenwege auf einmal durchgehen. Diese Fähigkeit verspricht einerseits enorme Rechenleistung bei Aufgaben wie der Kryptographie, Simulationen von chemischen und pharmazeutisch interessanten Reaktionen und vielem mehr. Zugleich ist die Verschränkung von Quantenzuständen aber auch ein technologisch höchst diffiziles Problem – denn sie funktioniert nur, solange die Quantenzustände ungestört sind.
Abb.: Die Elektronen im Innern des Materials sind nicht spinpolarisiert und es treten keine topologischen Effekte auf. An der Oberfläche hingegen kommt es zu topologischer Supraleitung. (Bild: P. Zhang et al.)
Schon kleine thermische oder elektromagnetische Störungen können den gesamten Quanten-Rechenprozess zum Erliegen bringen. Da diese Prozesse immer durchgehend von Anfang bis Ende ablaufen müssen, lässt sich auch kein Zwischenergebnis ermitteln und abspeichern. Mit dem steigenden Komplexitätsgrad von Quantencomputern wachsen folglich auch die Schwierigkeiten mit der Dekohärenz drastisch an. Ein internationales Forscherteam um Shik Shin von der Universität Tokio hat nun ein Material eingehend analysiert, das sehr wünschenswerte topologische Eigenschaften für besonders widerstandsfähige Quantenbits mitbringt.
Die Forscher untersuchten den eisenbasierten Supraleiter FeTe1-xSex mit x = 0,45, der eine Supraleitungs-Sprungtemperatur von 14,5 Kelvin besitzt. Diese hohe Sprungtemperatur ist für den Bau von Quantenbits angenehm, da sie eine gute thermische Stabilität gewährleistet. Ein weiterer Vorteil gegenüber anderen topologischen Materialien besteht darin, dass dieser Stoff ein Kristall ist, an dessen Oberfläche sich topologische Eigenschaften zeigen sollten. Andere topologische Materialien sind häufig Heterostrukturen, deren Herstellung oder Handhabung teilweise sehr aufwändig ist und die nur bei sehr tiefen Temperaturen die gewünschten Charakteristika zeigen.
Die Wissenschaflter analysierten dieses Material mit unterschiedlichen Methoden, unter anderem mit spin- und winkelaufgelöster Photoelektronenspektroskopie. Dabei fanden sie eine vielversprechende Bandstruktur, die einem topologischen Supraleiter entspricht. Topologische Supraleiter sind für den Bau von Quantenbits aufgrund ihrer ungewöhnlichen Bandstruktur von Bedeutung: Die Öffnung der supraleitenden Bandlücke geht mit der Entstehung von Nullpunkt-Anregungen einher, die zugleich ihre eigenen Antiteilchen sind. Solche Quasiteilchen-Zustände werden auch Majorana-Moden oder gebundene Majorana-Zustände genannt – nach dem italienischen Theoretiker Majorana, der schon 1937 die Existenz von Fermionen vorhergesagt hatte, die ihre eigenen Antiteilchen sind. Gebundene Majorana-Zustände in Supraleitern weisen jedoch keine Fermi-Statistik auf, sondern sind nicht-abelsche Anyonen: Wenn man zwei von ihnen vertauscht, ändert sich der Gesamtzustand des Systems so, dass er nur von der Reihenfolge der Vertauschungen abhängt. Diese topologische Eigenschaft führt zu einer enormen Robustheit gegenüber äußeren Einwirkungen und macht sie unempfindlich für Dekohärenz.
„Die topologischen Zustände in eisenbasierten Supraleitern existieren aber nur in einem sehr kleinen Energiebereich“, sagt Peng Zhang von der Universität Tokio. „Um diese Zustände auflösen zu können, mussten wir extrem genau messen.“ Mit diesem und ähnlichen Materialien könnte sich also ein neuer Technologiepfad für Quantenbits öffnen.
Auch wenn diese Ergebnisse auf den ersten Blick aufhorchen lassen, ist zugleich aber auch offenbar: Es ist noch ein gutes Stück Weg bis hin zu topologischen Quantenbits, die mit Majorana-Zuständen arbeiten. Es bleiben noch viele Fragen zu klären, insbesondere wie sich die Majorana-Moden mit passenden Magnetfeldern am geschicktesten erzeugen und manipulieren lassen und wie man verschiedene von ihnen miteinander verschaltet. Zunächst wollen die Wissenschaftler herausfinden, wie sich solche Zustände so präparieren lassen, dass man tatsächlich mit ihnen arbeiten kann. Im Vergleich zu etablierten Quantentechnologien, wie Atomen in optischen Gittern oder Josephson-Tunnelkontakten, befindet sich dieses Gebiet noch in den Kinderschuhen.
Erst wenn diese Hürde genommen ist, kommen Majorana-Quantenbits überhaupt als Alternative zu den bislang genutzten Techniken in Frage. Die Forscher rechnen mit ungefähr fünf bis zehn Jahren, bis einsatzfähige Majorana-Quantenbits verfügbar sein sollten. Vom heute Machbaren mit rund einigen Dutzend verschalteten Quantenbits bis hin zu den in großem Maßstab wirklich interessanten Quantencomputern mit vielleicht einigen Tausend Quantenbits ist es noch ein sehr weiter Weg. Und es ist bislang kaum abzuschätzen, welche Schwierigkeiten die Dekohärenz beim Bau zunehmend komplexer Quantencomputer noch bringen wird. Wie schnell die positiven Eigenschaften von Majorana-Zuständen dann zum Tragen kommen und welche Entwicklung die anderen Typen von Quantenbits bis dahin genommen haben werden, bleibt spannend zu beobachten.
Dirk Eidemüller
RK