Topologisches Metamaterial bestätigt physikalische Theorie
Nichthermitescher Skin-Effekt erstmals experimentell nachgewiesen.
Topologische Metamaterialien werden als eine neuartige Plattform eingesetzt, um außergewöhnliche Effekte zu erforschen. Anstatt auf natureigene Materialien zurückzugreifen, arrangieren Forscher die Bestandteile eines topologischen Metamaterials künstlich zu einer regelmäßigen Struktur. Diese Anordnung steht in Analogie zu einem Festkörper, bei dem die Atome ein Kristallgitter formen. Ziel der Metamaterialien ist es oft, besondere Eigenschaften von Festkörpern zu simulieren und experimentell fokussiert zugänglich zu machen.
Während topologische Isolatoren üblicherweise als abgeschlossene, also hermitesche Systeme betrachtet werden, ist es den Wissenschaftlern der Uni Würzburg in topologischen Metamaterialien gelungen, den Energieaustausch mit der Umgebung einzubeziehen. Durch diese Wechselwirkungen wird das Verhalten des Systems von außen beeinflusst, so wie es auch bei Reibungseffekten der Fall wäre. Auf diese Weise konnten sie den in der Theorie vorhergesagten nichthermiteschen Skin-Effekt erstmals experimentell bestätigen. Der Effekt besteht darin, dass im Gegensatz zu einem gewöhnlichen topologischen Isolator nicht nur ein Anteil, sondern alle Zustände im Material an dessen Rand auftreten, also dort lokalisiert werden.
„Unsere Forschungsarbeit zeigt unter anderem, dass die physikalischen Prinzipien, die aus abgeschlossenen Festkörpersystemen bekannt sind, mithilfe neuer Theorien für den nichthermiteschen Fall grundlegend ergänzt werden müssen“, erläutern Tobias Helbig und Tobias Hofmann von der Uni Würzburg. Einen direkten Anwendungsbezug hätten die neuen Erkenntnisse noch nicht. Sie bergen aber das Potenzial, um zum Beispiel hochsensible optische Detektoren zu verbessern.
Um den nichthermiteschen Skin-Effekt experimentell nachzuweisen, hat das Team elektrische Schaltkreise mit periodisch angeordneten Schaltelementen verwendet. Aufgrund der Ähnlichkeit zur regelmäßigen Kristallstruktur eines Festkörpers werden diese zur Klasse der Metamaterialien gezählt. Als nächstes wollen die Forscher das Zusammenspiel zwischen topologischen Zuständen und nichthermitescher Physik weiter untersuchen. Ein Schwerpunkt wird auf der Frage liegen, inwieweit der Schutz der Zustände durch die Topologie bei Wechselwirkungen mit der Umgebung intakt bleibt.
Mittel- bis langfristig will das Team in Richtung Quanten-Hybrid-Schaltkreise gehen, in die es supraleitende oder andere quantenmechanische Schaltkreis-Elemente einbetten wird. Solche Schaltkreise bieten eine vielseitige Plattform, um neuartige Phänomene zu entdecken. „Wir wollen außerdem die Erkenntnisse, die wir mit der Plattform der periodischen Schaltkreisgitter erhalten haben, auf andere Plattformen übertragen“, resümiert Ronny Thomale von der Uni Würzburg. Dazu gehören auch optische Systeme wie photonische Wellenleiter. Dort könnten topologisch geschützte Zustände in nichthermiteschen Systemen perspektivisch für verbesserte Signalverarbeitung und Detektoren sowie für die Konstruktion photonischer Quantencomputer relevant werden. Schlussendlich ist die Rückführung neuartiger Effekte auf tatsächliche Festkörper ein wesentlicher Bestandteil der Forschung an topologischen Metamaterialien.
JMU / RK
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
T. Helbig et al.: Generalized bulk–boundary correspondence in non-Hermitian topolectrical circuits, Nat. Phys., online 1. Juni 2020; DOI: 10.1038/s41567-020-0922-9 - Theoretische Festkörperphysik (R. Thomale), Theoretische Physik I, Julius-Maximilians-Universität Würzburg