02.09.2015

Tragik und Mechanik

Vor 150 Jahren starb der irische Physiker William Rowan Hamilton, der fundamentale Beiträge zur Mechanik geleistet hat.

William Rowan Hamilton (1805 – 1865) auf einem Foto aus dem Jahr 1857

Im Jahr 1826 bereitete sich der 21-jährige William Hamilton gerade auf seine Abschlussprüfungen an der Universität Dublin vor, als ihn ein Brief überraschenden Inhalts erreichte: Die Universität bot ihm den frei werdenden Lehrstuhl für Astronomie an. Doch selbst ein Wunderkind wie Hamilton hielt es für anmaßend, in so jungen Jahren eine Professur zu bekleiden, zumal es andere qualifizierte und vor allem erfahrenere Bewerber gab. Erst als sein Tutor ihm versicherte, dass seine Kandidatur beste Chancen hätte, bewarb er sich. Er wurde einstimmig gewählt.

Bedenklich fand diese Entscheidung einzig sein Vorgänger, der „Royal Astronomer of Ireland“, John Brinkley. Er hatte bereits über den 18-jährigen Hamilton gesagt, aus ihm könne ein zweiter Newton werden. Nun fürchtete er, sein Nachfolger werde zu früh bei der Entfaltung seines vielseitigen Talents eingeengt. Man hätte Hamilton genauso gut den Lehrstuhl für Altphilologie, englische Literatur, Metaphysik, moderne oder orientalische Sprachen anbieten können, denn auf allen Gebieten glänzte er durch überdurchschnittliche Leistungen.

So stand Hamilton mit 21 Jahren am Beginn einer vielversprechenden Karriere, doch für sein privates Glück war es dennoch zu spät. Zwei Jahre zuvor hatte er sich hoffnungslos in Catherine Disney verliebt, aber als Student noch nicht um ihre Hand anhalten können. Ein halbes Jahr später erfuhr er, dass seine Angebetete einen 15 Jahre älteren, wohlhabenden Pfarrer heiraten würde. William war untröstlich; er wurde krank und soll zeitweise sogar an Selbstmord gedacht haben. Trost fand er in der Poesie. William Hamilton ist zeitlebens nicht über diese unglückliche Liebe hinweg gekommen. Die Wissenschaft war seine Zuflucht. In späteren Jahren auch der Alkohol.

Das Leben William Hamiltons, geboren 1805, spielte sich im Wesentlichen an zwei Schauplätzen ab: Kindheit und Jugend verbrachte er im Pfarrhaus seines Onkels in der Grafschaft Meath; den Rest seines Lebens am Observatorium von Dunsink, acht Kilometer nördlich von Dublin. Er war das vierte Kind des Anwalts Archibald Hamilton, der seinem Bruder James und der Schwester Sydney die Erziehung von William anvertraute. James, der alte Sprachen studiert hatte, war ein ausgezeichneter Lehrer und hatte Freude an dem wissbegierigen und lebhaften Kind, das schon mit drei Jahren lesen lernte.

Williams unstillbare Wissbegier richtete sich zunächst auf Sprachen: Mit fünf Jahren lernte er Griechisch und Latein. Er war bezaubert von Homers Ilias. Als Neunjähriger lernte er Sanskrit, mit zehn studierte er Arabisch und Persisch. Er konnte ausgezeichnet im Kopf rechnen. Mit 12 Jahren forderte er das amerikanische Rechengenie Zerah Colbum zu einem Wettbewerb auf. Zwar unterlag er, aber zu dem Zeitpunkt begann er, sich gründlicher mit Mathematik zu beschäftigen. Er las die „Algebra“ des französischen Mathematikers Alexis-Claude Clairaut. Mit 15 Jahren entdeckte er Newtons „Principia“. Ein Jahr später verschlang er Bücher über Differentialrechnung und die „Mécanique céleste“ von Piere Simon de Laplace – in letzterer fand er einen Fehler, worauf der Königliche Astronom Brinkley auf ihn aufmerksam wurde. Als man Hamilton mit 18 Jahren einen Tutor zur Seite stellte, der ihn auf die Aufnahme an der Universität Dublin vorbereiten sollte, erklärte dieser, er könne William nichts mehr lehren, wohl aber sein Freund sein.

An der Universität erhielt Hamilton die äußerst seltene Bewertung „optime“ sowohl in klassischer Philologie als auch in Naturwissenschaften. 1824 reichte er seine erste Veröffentlichung bei der Irischen Akademie der Wissenschaften ein. Er führte darin seine charakteristische Funktion (später Eikonal genannt) in die Optik ein. 1826 folgte der erste Teil seiner bahnbrechenden Arbeit „Theory of Systems of Rays“. Bevor er seine Professur antrat, machte Hamilton eine Bildungsreise durch England und Schottland. Er begegnete dem um 25 Jahre älteren Dichter William Wordsworth, mit dem er sich anfreundete. Wordsworth brachte dem jungen Hamilton taktvoll bei, dass seine Stärke nicht in der Dichtung lag.

Der frisch gebackene „Royal Astronomer“ machte nur einige zaghafte Versuche, die Sterne zu beobachten, merkte aber bald, dass er keine praktische Begabung hatte und widmete sich ganz der Mathematik. Bei einem Besuch von Catherine zerbrach er vor lauter Nervosität das Okular, als er ihr das Teleskop vorführen wollte, was ihn tief beschämte. Seine erste bedeutende Publikation, in der er die konische Brechung in doppelbrechenden Kristallen vorhersagte und die bald darauf experimentell bestätigt wurde, machte den 27-Jährigen weltweit bekannt. 1833/34 veröffentlichte er „On a General Method in Dynamics“ – die für die Physik bis heute fundamentale Hamiltonsche Mechanik. Sie entstand, indem er seine für die Optik entwickelte charakteristische Funktion als Wirkfunktion auf die Dynamik übertrug.

1833 heiratete Hamilton die in der Nähe des Observatoriums wohnende Helen Bayley. Die Ehe, aus der drei Kinder hervorgingen, war unglücklich. Phasenweise lebte das Paar getrennt. Zwei Jahre nach der Hochzeit erreichte William Hamilton den Höhepunkt seines Ruhms, als er in den Adelsstand erhoben wurde. Im gleichen Jahr publizierte er, inspiriert durch die Lektüre von Kants „Kritik der reinen Vernunft“, seine „Algebra as the Science of Pure Time“, in der er die komplexen Zahlen als Paare reeller Zahlen deutete. Über viele Jahre versuchte er, algebraische Tripletts zu finden, bis er bei einem Spaziergang 1843 einen Geistesblitz hatte: Es müssten Viererpaare sein. In seiner Begeisterung ritzte er die Lösung des Problems in die Steinbrücke von Brougham, wo heute noch eine Plakette an das Ereignis erinnert.

William Hamilton machte die Theorie der so genannten Quaternionen fortan zu seinem Lebenswerk, die sich in der Mathematik aber nicht durchsetzen konnte und zugunsten der Vektoranalysis und Vektorrechnung in den Hintergrund traten. Seine „Lectures on Quaternions“ waren derart umfangreich, dass seine Freunde und das Trinity College in Dublin sich an den Druckkosten beteiligten, damit das Werk 1858 erscheinen konnte. Als Hamilton vor 150 Jahren starb, am 2. September 1865, hinterließ er ein reiches wissenschaftliches Werk – trotz seines unglücklichen Privatlebens.

Anne Hardy

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