05.11.2015

Trampolinspringende Wassertröpfchen

Spezielle Mikrostruktur führt zu superhydrophoben Oberflächen.

Materialien, die Wasser und Eis von selbst extrem stark abstoßen, sind in der Luftfahrt und vielen anderen technischen Anwendungen begehrt. Forscher der ETH Zürich haben jetzt heraus­gefunden, wie man die starren Ober­flächen solcher Materialien gezielt designen kann – indem sie Wasser­tröpfchen das Trampolin­springen beibrachten.

Abb.: Spezielle mikrostrukturierte SiliziumOberflächen weisen Wassertropfen so stark ab, dass letztere in die Höhe katapultiert werden. (Bild: Digit Works / ETH Zürich)

Dimos Poulikakos und seine Mitarbeiter studierten das Verhalten von Wasser­tropfen auf Ober­flächen, indem sie einen millimeter­großen Tropfen auf eine speziell bearbeitete starre Silizium-Oberfläche setzten und dann den Luftdruck in der Experimentier­kammer stetig absenkten, während eine Hoch­geschwindigkeits­kamera den Tropfen filmte. Zunächst blieb der Tropfen still auf der Oberfläche liegen, doch bei etwa einem Zwanzigstel des normalen Atmosphären­drucks sprang er plötzlich hoch. Nach einem kurzen Hüpfer landete der Tropfen schließlich wieder auf der Oberfläche und sprang erneut hoch – und zwar noch höher als beim ersten Mal. Wie ein Trampolin­springer, der mit jedem Sprung vom elastischen Sprungtuch an Höhe gewinnt, wurde auch der Wassertropfen bei jedem Kontakt mit der Oberfläche immer höher geschleudert, obwohl diese absolut starr war.

Um zu verstehen, woher die Kraft kam, welche die Wasser­tröpfchen hoch­schleuderte, analysierten Poulikakos und seine Mitarbeiter Tom Schutzius und Stefan Jung bis ins Detail die Bewegungen des Tropfens, sowie, mit einer Wärme­bild­kamera, die Temperatur­verteilung in seinem Inneren. Die Wissen­schaftler fanden heraus, dass das Zusammen­spiel der natürlichen Wasser­verdampfung und der Mikro­struktur der Material­oberfläche für das Trampolin-Phänomen eine entscheidende Rolle spielt. Der Überdruck, der durch die Verdampfung zwischen Ober­fläche und Tropfen entsteht, schleudert diesen wie eine Feder bei jedem Aufprall in die Höhe.

Beim Gefrieren eines supergekühlten Wasser­tropfens wird der Verdampfungs­effekt durch die Reka­leszenz weiter verstärkt. Dieser Effekt ist aus der Metall­verarbeitung bekannt, etwa bei geschmiedetem Eisen, das sich während des Abkühlens kurz­fristig noch einmal von selbst bis zur Rotglut erhitzt. Das liegt daran, dass das Innere des Eisens erstarrt und dabei latente Wärme freisetzt.

Ganz Ähnliches geschieht bei einem Wasser­tropfen: Ein Tropfen, der durch Verdunstung von Wasser an seiner Oberfläche unter den Gefrier­punkt abkühlt, bildet zunächst Eis­kristalle. Die Wärme, die bei diesem Phasen­übergang von flüssig zu fest abgegeben wird, heizt den Tropfen dann schnell auf null Grad auf. „Diese Erwärmung passiert in wenigen Milli­sekunden“, erklärt Schutzius, „und führt im Anschluss daran zu einer explosiven Verdampfung.“ Daraufhin kühlt der Tropfen erneut ab, und der Zyklus wiederholt sich. Die explosive Verdampfung führt zu einem noch größeren Überdruck zwischen Tropfen und Oberfläche und lässt ihn dadurch wie eine Rakete abheben.

Der eigentlich Clou des Ganzen liegt allerdings in der Ober­fläche selbst: Zum einen muss sie rau sein, damit der Wasser­tropfen nicht an ihr hängen bleibt, zum anderen aber darf sie nicht zu rau sein, da sonst der Wasser­dampf zu schnell durch die Poren und Ritzen der Ober­fläche entweichen und der Raketen­effekt damit buchstäblich verpuffen würde. Die von den Forschern hergestellten mikro­strukturierten Silizium-Ober­flächen erfüllen genau diese Bedingungen: Sie bestehen aus kleinen, nur wenige Mikrometer großen Säulen, die im Abstand von etwa fünf Mikro­metern regelmäßig angeordnet sind.

„Aus unseren Forschungsergebnissen können wir ableiten, wie Ober­flächen generell beschaffen sein müssen, um Wasser und Eis energisch abzustoßen, und sie dann entsprechend designen“, sagt Poulikakos. In ihrem Experiment untersuchten die Forscher verschiedene Materialien, darunter oberflächen­behandeltes Aluminium und Kohlenstoff-Nanoröhren. Um den Trampolin-Mechanismus noch praxis­tauglicher zu machen, müsste man freilich soweit kommen, dass er auch bei normalem Luftdruck funktioniert. Poulikakos und seine Mitarbeiter hoffen, in den nächsten Jahren Fortschritte in diese Richtung zu machen. Dann wären verschiedenste Anwendungen denkbar, die von eisfreien Hochspannungs­leitungen bis hin zu wasser- und eisabweisenden Straßen­belägen reichen – und vielleicht eines Tages die Enteisung von Flugzeug­flügeln überflüssig machen.

ETH / RK

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