09.12.2011

Trickstöße im Bose-Einstein-Kondensat

Durch Laserlicht „bekleidete“ ultrakalte Atome können richtungsabhängig streuen.

Ultrakalte atomare Gase entwickeln sich immer mehr zu einem „Versuchslabor“, mit dem man komplizierte Wechselwirkungen in kondensierter Materie nachbilden und studieren kann. Jetzt ist es Forschern in den USA gelungen, der normalerweise richtungsunabhängigen Wechselwirkung zwischen den Atomen eines Bose-Einstein-Kondensats eine Richtungsabhängigkeit zu geben. Dadurch wird es unter anderem möglich, mit ultrakalten Atomen auch unkonventionelle Supraleiter oder exotische Zustände zu simulieren.

Abb.: Die Kollisionen der „bekleideten“ Atome in den beiden Kondensaten lassen einen Halo aus gestreuten Atomen entstehen, der keine Kugelsymmetrie aufweist. (Bild: R. A. Williams et al., Science)

Ian Spielman und seine Kollegen am National Institute of Standards and Technology (Nist) in Gaithersburg haben in den letzten Jahren für ultrakalte bosonische Atome eine Reihe von Eigenschaften fingiert, die diese normalerweise nicht besitzen. Mit Hilfe von inhomogenen oder zeitlich veränderlichen Magnetfeldern haben sie den Wellenfunktionen der ungeladenen Atome eine zusätzliche Phase gegeben, wie sie elektrische Ladungen in Magnetfeldern bzw. elektrischen Feldern gewinnen. Dadurch konnten sie das neuartige Verhalten eines atomaren Bose-Einstein-Kondensats untersuchen.

Anfang dieses Jahres gelang es den Forscher, für ultrakalte Atome künstlich eine starke Spin-Bahn-Kopplung zu erzeugen, wie sie natürlicherweise nicht auftritt. Dazu haben sie mit zwei Lasern eine Raman-Kopplung zwischen der Schwerpunktbewegung der Atome und zwei ihrer internen Zustände hergestellt,. Diese spielten die Rolle von Spinzuständen. Mit Hilfe des Raman-Effekts kann man auch die effektive Wechselwirkung zwischen den Atomen verändern und sie richtungsabhängig machen, wie Spielman und seine Kollegen jetzt gezeigt haben.

Die Forscher haben ein Bose-Einstein-Kondensat aus ca. 500.000 Rubidium-87-Atomen hergestellt und in einer optischen Dipolfalle festgehalten. Die de Broglie-Wellenlänge der ultrakalten Atome war viel größer als die Reichweite ihrer van der Waals-Kräfte. Deshalb wechselwirkten die Atome nur über ein effektives Potential, das kugelsymmetrisch war. Bei paarweisen Kollisionen zwischen den Atomen wurde kein Drehimpuls übertragen, sodass nur s-Wellenstreuung stattfand.

Um bei den atomaren Kollisionen Drehimpulse zu übertragen und z. B. d-Wellenstreuung zu beobachten, haben die Forscher um Spielman die Atome mit Hilfe zweier entgegengesetzt gerichteter Raman-Laserstrahlen in einen „dressed state“ oder „bekleideten Zustand“ gebracht. Ein „nacktes“ Atom konnte ein Laserphoton aufnehmen und vom Grundzustand (g) in den angeregten Zustand (a) gelangen, wobei sich die Photonenzahl von n+1 auf n verringerte. Der bekleidete Zustand des Atoms war dann die Überlagerung der Zustände |g,n+1> und |a,n>. Wenn zwei bekleidete Atome kollidierten, machte sich die Ausrichtung des Laserfeldes bemerkbar und gab der Kollision eine Vorzugsrichtung.

Die Forscher zerlegten ein aus bekleideten Atomen bestehendes Bose-Einstein-Kondensat in zwei Teile und schalteten die Dipolfalle aus. Daraufhin bewegten sich die beiden Atomwolken ungehindert gegeneinander, sodass ihre Atome paarweise kollidieren konnten. Nach den Kollisionen flogen die Atome in unterschiedliche Richtungen davon und bildeten einen Halo um die in den beiden Wolken verbliebenen Atome, die nicht kollidiert waren. Dieser Halo war in Richtung der Laserstrahlen gestreckt. Wurde das Streuexperiment bei abgeschalteten Laserstrahlen mit nackten Atomen wiederholt, so war der Halo erwartungsgemäß kugelförmig. Die Laser hatten also die Kugelsymmetrie der Streuung gebrochen.

Spielman und seine Kollegen analysierten den richtungsabhängigen Halo der bekleideten Atome genauer, um die Anteile der d- und g-Wellenstreuung mit einer Drehimpulsänderung von =2 bzw. =4 zu bestimmen. Dabei erhöhten sie stetig die Stärke der Raman-Kopplung, mit der die Laserstrahlen die Atome zu einem Übergang zwischen dem Grundzustand und dem angeregten Zustand brachten. Sie stellten fest, dass die Amplitude der g-Wellenstreuung relativ klein und durchgängig negativ war, wie es die Theorie vorhersagte. Die Amplitude der d-Wellenstreuung bei kleiner Raman-Kopplungsstärke war positiv, wurde aber bei hinreichend starker Kopplung negativ – ebenfalls in Übereinstimmung mit der Theorie. Für die d-Wellenstreuung konnten die Wissenschatler somit die Stärke und das Vorzeichen der Amplitude steuern.

Für ihr Verfahren zur Änderung der atomaren Wechselwirkung durch „Dressing“ sehen die Forscher zahlreiche interessante Anwendungen, sowohl für bosonische als auch für fermionische Atome. In Kondensaten könnte die Drehimpulsübertragung bei Kollisionen zu quantisierten Drehbewegungen oder Rotonen führen. Es könnte aber auch zur Kristallisation oder zur Suprasolidität sowie zur Entstehung von Solitonen kommen. Ein weiteres Beispiel sind exotische Anregungen im Kondensat wie beispielsweise „Majorana-Fermionen“, die ihre eigenen Antiteilchen sind. Das „Versuchslabor“ der ultrakalten Gase verzeichnet einen erheblichen Zuwachs an neuen Möglichkeiten.

Rainer Scharf

PH

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