Tröpfchen als Modellathleten
Kleine Flüssigkristalltropfen können im Zickzack oder geradeaus schwimmen.
Wenn man an Schwimmer denkt, hat man gewöhnlich kraulende Olympioniken, gegen den Strom wandernde Lachse oder Haie auf Jagd im Kopf – und nicht etwa die häufigsten Schwimmer der Natur: Einzeller. Das können etwa Algen sein, die zum Licht schwimmen, oder Spermien, die zielsicher zur Eizelle steuern. Können wir aber lebensecht schwimmende Mikromaschinen mit reinen Mitteln der Physik nachstellen, ohne auf Hilfsmittel der Biologie zurückzugreifen? Ein Team um Corinna Maaß aus der Forschungsgruppe „Aktive weiche Materie“ vom Göttinger Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation hat sich zum Ziel gesetzt, weiche Modellschwimmer aus rein flüssigen Komponenten zu konstruieren. Dabei gelang es den Forschern, stabile, autonom schwimmende und lenkbare Tropfen mit eingeschlossenen „Gepäckfächern“ zu erzeugen.
Für eigenständig schwimmende künstliche Zellen lassen sich spannende neue Anwendungen finden: Zum Beispiel könnten sie medizinische Wirkstoffe eigenständig zu einem Krankheitsherd im menschlichen Körper transportieren und dort absorbiert werden. Darüber hinaus tragen sie zum Grundverständnis von biologischen Schwimmern bei. Mit einem maximal vereinfachten „Minimalschwimmer“ können Grundlagenforscher testen, welche Mechanismen und Komponenten in einer lebenden Zelle für eine bestimmte Funktion zwingend erforderlich sind.
„Unser idealer Modellschwimmer, sozusagen die künstliche Urzelle, sollte mehrere Voraussetzungen erfüllen: Sie muss autonom schwimmen, robuste ‚Gepäckfächer‘ für den Transport von Wirkstoffen oder biochemischen Reagenzien bereithalten, und sie muss steuerbar sein, zum Beispiel an einen bestimmten Ort gelenkt werden und dort ihre Fracht freigeben“, so Maaß. Diesen idealen Modellschwimmer haben Maaß und ihre Mitarbeiter Babak Vajdi Hokmabad und Kyle Baldwin mit einem verblüffend einfachen System gebaut: Sie stellten Öltropfen her, die einen oder mehrere Wasserkerne enthalten, also aktive Doppelemulsionen.
Solche Tropfen können spontan losschwimmen, während sie sich langsam in einer konzentrierten Tensid- oder Seifenlösung auflösen – die Seife ist gewissermaßen der Treibstoff. Ein grundsätzliches Problem bei Emulsionen ist, dass sie instabil sind, also zum Entmischen neigen – man kennt das aus dem Alltag, wenn sich in der Salatsauce das Öl absetzt. Analog dazu neigen Doppelemulsionen zum Platzen, sowie sie losschwimmen, weil ihr Kern gegen ihre Außenwand gedrängt wird.
Dieses Platzen konnten die MPIDS-Forscher in ihrer Studie durch einen Trick verhindern. Dafür benutzten sie ein flüssigkristallines Öl. Obwohl Flüssigkristalle fließen wie ein gewöhnliches Öl, wollen ihre Moleküle eine bestimmte „kristalline“ Ordnung oder Ausrichtung einnehmen, die dazu führt, dass ein Wasserkern in einem solchen Tropfen vorzugsweise in der Mitte sitzt. Wird der Kern beim Schwimmen verschoben und damit diese Ordnung gestört, entsteht eine Kraft, die ihn wieder ein wenig Richtung Mitte drängt. Computersimulationen des MPIDS-Kollegen Christian Bahr haben gezeigt, dass diese Kraft tatsächlich ausreicht, um den Kern von der Tropfenwand abzudrängen. Experimente der Gruppe bestätigen, dass nur Flüssigkristalltropfen stabil bleiben – solche aus gewöhnlichen Ölen platzen, sobald sie losschwimmen.
Flüssigkristalltropfen dagegen überleben stundenlang, bis sie sich zu einer sehr dünnwandigen Blase aufgelöst haben, die dann platzt. Ihre Bewegung ist faszinierend – sie schwimmen nicht einfach geradeaus los, sondern in einer komplizierten Zickzackbewegung, die an Haifischflossen erinnert. „Und auch das können wir auf die Kombination zweier einfacher Grundprinzipien zurückführen. Wenn der Kern schief zur Bewegungsrichtung liegt, bekommt der Schwimmer einen Drall, der ihn auf eine Kurve zwingt. Dabei nähert er sich aber seiner eigenen Spur, wo er den Treibstoff schon verbraucht hat und die ihn damit wieder abstößt. Der Drall kehrt sich um und er schwimmt eine Kurve in die andere Richtung“, betont Babak Vajdi Hokmabad.
Außerdem konnten die Forscher die Zickzackbewegung sogar abschalten, indem sie Tropfen mit zwei eingeschlossenen Kernen erzeugten. Diese können sich nicht schief, sondern nur symmetrisch um die Tropfenachse anordnen - damit gibt es keinen Drall und der Tropfen schwimmt gerade. „Unter dem Polarisationsmikroskop sehen diese Doppelkerntropfen ein bisschen wie Eulenaugen aus“, findet Kyle Baldwin. Die Forscher fanden noch mehr Möglichkeiten, die Tropfen zu lenken – zum Beispiel schwimmen sie entlang von Wänden, sodass man ihnen eine „Tropfeneisenbahn“ bauen könnte, und suchen eigenständig Regionen mit höherer Tensidkonzentration.
Doppelemulsionen sind damit exzellente Modellschwimmer – sie sind etwa so groß, schnell und deformierbar wie biologische Zellen, kommen völlig ohne komplizierte Biochemie aus und ihr Verhalten wird durch fundamentale und obendrein sehr elegante physikalische Gegebenheiten wie spontane Symmetriebrüche vollständig erklärt. Darüber hinaus sind sie durch die Kontrolle dieser Mechanismen steuerbar. „Der große Vorteil der Doppelemulsionen ist, dass wir stabil ein Objekt, also den Kern, der nicht zum Schwimmen benutzt oder gar aufgebraucht wird, einschließen können, – damit könnten wir sowohl chemische Reagenzien als auch biologische Bausteine wie Proteine und Enzyme transportieren, und damit in Zukunft sogar lebende Objekte nachbauen," sagt Maaß abschließend.
MPIDS / DE