Trudelnde Planeten
Gebunden rotierende Planeten können ihre Drehachse ändern, sofern sie geologisch aktiv sind.
Schon lange wendet der Mond der Erde immer die gleiche Seite zu. Nach seiner Entstehung vor etwa 4,5 Milliarden Jahren drehte sich der Mond zunächst noch schnell um seine Achse. Die Eigenrotation unseres Trabanten ist aufgrund der Gezeitenkräfte, die die Erde auf ihn ausübt, aber im Lauf der Jahrmillionen zunehmend zum Erliegen gekommen. Auch zum Verständnis ferner Planeten ist die gebundene Rotation von besonderer Bedeutung: Denn bei der Suche nach bewohnbaren Planeten im Weltraum gelten insbesondere erdähnliche Planeten, die rote Zwergsterne umkreisen, als vielversprechende Kandidaten. Solche Planeten lassen sich besonders gut beobachten, da ihre Sterne nicht allzu hell leuchten und sich die Atmosphäre dieser Planeten mit der neuen Generation von Teleskopen untersuchen lässt.
Abb.: Konvektion im Planetenmantel kann zu einer drastischen Verschiebung der Drehachse führen. (Bild: J. T. Keane)
Da rote Zwergsterne nur eine sehr geringe Leuchtkraft haben, liegt ihre habitable Zone, innerhalb der sich Planeten mit flüssigem Wasser befinden können, ziemlich nahe an ihrem Stern. Die Gezeitenkräfte sind entsprechend hoch, weshalb sich die meisten dieser möglicherweise lebensfreundlichen Planeten in einer gebundenen Rotation um einen solchen Stern befinden sollten. Die Modellierung der möglichen klimatischen Bedingungen auf diesen Planeten hängt unter anderem von der Frage ab, wie stabil eine solche gebundene Rotation überhaupt ist: Ist sie so stabil wie beim Mond oder kann sich ihre Orientierung ändern?
Wie Jérémy Leconte von der Uni Bordeaux nun anhand von Computersimulationen herausgefunden hat, können gebunden rotierende Planeten durchaus ihre Ausrichtung ändern, wenn sich aufgrund von Konvektion heißer Gesteinsmassen im Planeteninnern die Trägheitsmomente des Planeten verschieben. Frei rotierende Körper richten ihre Drehachse nach dem größten Trägheitsmoment aus. Die größten Massen auf einem Planeten, etwa Gebirgszüge, sollten sich deshalb bevorzugt in der Nähe des Äquators befinden.
„Massenbewegungen in einem Planetenmantel finden auf einer Zeitskala von einigen Dutzend bis hundert Millionen Jahren statt, dementsprechend lang dauert auch die Neuorientierung der Drehachse, die diesen Bewegungen folgt“, sagt Leconte. Bei gebunden rotierenden Planeten geschehen solche Wanderungen der Drehachse sogar besonders leicht. Der Grund hierfür liegt in der vergleichsweise langsamen Rotation dieser Körper. Denn schnell drehende Körper setzen nach dem Gesetz der Drehimpulserhaltung einer Neuorientierung der Drehachse größeren Widerstand entgegen als langsam rotierende.
Auf der Erde haben sich wiederholt Verschiebungen der Rotationsachse ereignet. Dies lässt sich heute aus Gesteinsproben herauslesen: Lavaschichten, die zu Basalt erstarrt sind, haben das Erdmagnetfeld zur Zeit ihrer Entstehung in magnetischen Kristallen konserviert. Da die Achse des Erdmagnetfelds und die Drehachse weitgehend übereinstimmen, lässt sich so die geographische Breite der Basaltschichten zur Zeit ihrer Entstehung bestimmen. Manche alte Gesteine scheinen sehr viel weiter von ihrem Fundort entstanden zu sein, als sie allein aufgrund der Plattentektonik hätten wandern können – ein eindeutiger Hinweis auf eine Verschiebung der Drehachse unseres Planeten. Nicht nur auf der Erde, sondern auch auf anderen Planeten in unserem Sonnensystem lässt sich dieser Effekt beobachten. Man hat dort zwar keinen Zugriff auf weit auseinander liegende Gesteinsproben. Aber zumindest statistische Überlegungen sprechen in vielen Fällen für eine Wanderung der Planetenachsen.
Auf dem Mars befindet sich mit dem Olympus Mons, der die umgebende Tiefebene um 26 Kilometer überragt und 22 Kilometer Höhe über dem mittleren Planetenniveau besitzt, der höchste Berg unseres Sonnensystems. Da der Mars keine Plattentektonik aufweist, konnten sich nicht – wie auf der Erde – an vielen verschiedenen Orten entlang der Platten-
Gleiches gilt für die Sputnik Planitia, ein von hohen Bergen flankiertes Plateau auf Pluto. Da die Raumsonde New Horizons bei ihrem Vorbeiflug dort keine Krater entdecken konnte, ist die Region wahrscheinlich sogar geologisch aktiv: Die Oberfläche könnte nur wenige hunderttausend Jahre alt sein. Auch diese geologischen Formationen erstrecken sich über den Äquator und sind vermutlich nicht dort entstanden, sondern dorthin gewandert.
Was solche Neuorientierungen für das Klima auf einem habitablen Planeten bedeuten können, hängt wiederum von einer ganzen Reihe von Faktoren ab. Befindet sich bei einem mit seinem Stern gebunden rotierenden Planeten etwa eine große Wasser- oder Landmasse zentral gegenüber dem Zentralgestirn, dürfte es zu erheblichen klimatischen Veränderungen kommen, wenn sich diese Masse verschiebt und von anderen geologischen Formationen abgelöst wird. Da solche Verschiebungen aber auf geologischen Zeiträumen stattfinden, sollten eventuelle Lebensformen einige Zeit besitzen, um sich evolutionär an die neuen Bedingungen anzupassen.
Dirk Eidemüller
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