10.09.2020

Tscherenkow-Blitze in der Tiefe

Im Pazifik soll ein neues Observatorium für hochenergetische kosmische Neutrinos entstehen.

Bereits das Neutrino-Observatorium „IceCube“ im tiefen Eis des Südpols hat spektakuläre neue Erkenntnisse über kosmische Ereignisse mit extrem hohen Energien gebracht. Um die kosmische Herkunft von Elementar­teilchen mit noch höheren Energien zu klären, hat Elisa Resconi von der Technischen Universität München (TUM) nun eine internationale Initiative für den Bau eines mehrere Kubik­kilometer großen Neutrino-Teleskops im nord­östlichen Pazifik gestartet. 
 

Abb.: Skizze des geplanten Neutrino-Teleskops P-ONE im Pazifischen Ozean. Das...
Abb.: Skizze des geplanten Neutrino-Teleskops P-ONE im Pazifischen Ozean. Das Teleskop soll modular aufgebaut sein und aus sieben gleichen Detektor­segmenten (re.) bestehen, wovon das erste 2023/24 installiert werden soll. (Bild: E. Resconi / TUM)

Genau wie Licht durchqueren Neutrinos das Universum mit (beinahe) Licht­geschwindigkeit, interagieren jedoch äußerst selten mit anderen Teilchen. Sie behalten Energie und Richtungen bei, was sie zu einzigartigen Botschaftern des hoch­energetischen Universums macht. Seit 2013, als das IceCube Neutrino Observatorium zum ersten Mal extra­galaktische Neutrinos entdeckte, bemühen sich Astrophysiker zu verstehen, aus welchen kosmischen Quellen diese stammen und welcher physikalische Mechanismus sie auf ihre extremen Energien beschleunigt hat. Um das Rätsel zu lösen, sind jedoch zusätzliche Detektoren mit noch größeren Volumina als das des IceCube-Observatoriums erforderlich. Da Neutrinos nicht direkt, sondern nur mittels Tscherenkow-Strahlung beobachtet werden können, müssen sich die Detektoren in Eis oder Wasser befinden. 

Elisa Resconi, Sprecherin des Sonder­forschungs­bereichs 1258 und Inhaberin des Liesel-Beckmann-Lehrstuhls für Experimental­physik mit kosmischen Teilchen an der TUM, hat daher kürzlich eine internationale Initiative zum Bau eines neuen Neutrino-Teleskops im Pazifik vor der Küste Kanadas gestartet: das Pacific Ocean Neutrino Experiment (P-ONE). Zu diesem Zweck schloss sie eine Partnerschaft mit einer Einrichtung der University of Victoria: Ocean Networks Canada (ONC), eines der weltweit größten und fort­schrittlichsten kabelgebundenen Ozean­observatorien.

Der ONC-Netzwerkknoten im Cascadia-Becken in einer Tiefe von 2660 Metern wurde für P-ONE ausgewählt. Die weitläufige Tiefsee­ebene bietet ideale Bedingungen für ein Neutrino-Observatorium, das sich über mehrere Kubik­kilometer erstreckt. Im Sommer 2018 verankerte ONC ein Straw (Strings for Absorption Length in Water) genanntes, erstes Erkundungs­experiment im Cascadia-Becken: Mittels zweier 140 Meter langer Trossen, die mit Licht­sendern und Sensoren bestückt sind, soll zunächst die Lichtdurchlässigkeit des Ozeanwassers bestimmt werden. Dieser Parameter ist für das Design von P-ONE entscheidend. 

Im September 2020 wird Straw-b installiert, ein 500 Meter langes Stahlkabel mit weiteren Detektoren. Beide Experimente wurden von Resconis Forschungs­gruppe am Physik Department der TUM entwickelt und gebaut. Das erste Segment von P-ONE, der Pacific Ocean Neutrino Explorer, ein Ring mit sieben 1000 Meter langen Trossen mit jeweils zwanzig Detektoren, soll in der Marine­betriebs­saison von ONC im Jahr 2023/24 in Zusammen­arbeit mit verschiedenen kanadischen Universitäten installiert werden.

„Astrophysikalische Neutrinos können unser Wissen über das extreme Universum erheblich erweitern“, sagt Darren Grant, Professor an der Michigan State University (USA), und Sprecher des IceCube-Projekts. „P-ONE bietet uns eine einzigartige Gelegenheit, den Einsatz eines groß­volumigen Neutrino-Detektors in der Tiefsee zu demonstrieren. Dies ist ein entscheidender Schritt hin zu einem global vernetzten Neutrino-Observatorium, mit dem wir in der Lage wären, diese kosmischen Boten über den gesamten Himmel hinweg zu beobachten.“

Elisa Resconi hofft, dass P-ONE mit seinen sieben Segmenten bis Ende des Jahrzehnts fertiggestellt sein kann. „Das Experiment wird perfekt darauf ausgelegt sein, die Herkunft der extragalaktischen Neutrinos zu verstehen“, sagt Resconi. „Darüber hinaus haben hochenergetische Neutrinos auch das Potenzial, uns etwas über die Natur der dunklen Materie zu verraten.“ Eine Besonderheit der abgebildeten Module: Sie enthalten Kunst­werke junger internationaler Künstler, die eine Verbindung zwischen der Erde und der Tiefsee schaffen und das Erkundungsexperiment damit zu einer einzigartigen Unterwasser-Ausstellung machen. 

TUM / DE
 

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