20.08.2025

TUM-Professor: „Technologie-Standards versprechen derzeit mehr Erfolg als Gesetze“

Urs Gasser und Kollegen aus Cambridge, Harvard und Stanford plädieren für ein Qualitätsmanagementsystem für Quantentechnologien.

Wie können Quantentechnologien verantwortungsvoll entwickelt werden? Forschende aus Großbritannien, den USA und Deutschland plädieren im Fachmagazin Science dafür, erst internationale Standards festzulegen, bevor regulierende Gesetze erlassen werden. Prof. Gasser vom Lehrstuhl Public Policy, Governance and Innovative Technology erklärt, warum die Autoren ein Qualitätsmanagementsystem für Quantentechnologien vorschlagen, wie Standards Vertrauen schaffen und wo selbst konkurrierende Staaten wie China und die USA kooperieren.

Prof. Urs Gasser erforscht, wie Gesellschaften mit neuen Technologien umgehen...
Prof. Urs Gasser erforscht, wie Gesellschaften mit neuen Technologien umgehen können.
Quelle: Andreas Heddergott, TUM

Quantentechnologien könnten noch umwälzender wirken als Künstliche Intelligenz. Deshalb mehren sich Forderungen, anders als bei KI die technologische Entwicklung frühzeitig mit Gesetzen in gesellschaftlich verantwortungsvolle Bahnen zu lenken. Die Autoren schlagen dagegen vor, die Gesetzgeber sollten erst zu einem späteren Zeitpunkt rote Linien ziehen, etwa für Hochrisiko-Anwendungen, wenn die Anwendungen der Quantentechnologien konkreter absehbar sind. In der jetzigen frühen Entwicklungsphase sei erfolgversprechender, internationale Technologie-Standards zu formulieren, um Ziele wie Sicherheit, Interoperabilität, Transparenz und Verantwortlichkeit zu erreichen. Darauf könne die Gesetzgebung dann aufbauen.

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Wilhelm Kaenders • 7/2025 • Seite 3

Quantentechnologie – bereits heute eine reale Industrie

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Bei der KI-Regulierung in Europa würde das Problem deutlich, wenn man den umgekehrten Weg einschlägt. Gasser: „Wir haben nun eine EU-KI-Verordnung, bei der die nächsten Jahre fieberhaft an Standards gearbeitet werden muss, um überhaupt zu verstehen, was die Verordnung meint und was Compliance in der Praxis heißt. Dies kann erhebliche Rechtsunsicherheit erzeugen und das Innovationsklima zu einem kritischen Zeitpunkt belasten.“

Als Vorbilder für gelungene Standardisierungen komplexer Technologien nennt Gasser die Internationale Organisation für Normung (ISO), die mit ihren Normen zur Informationssicherheit eine wesentliche Grundlage für den Schutz sensibler Daten im digitalen Zeitalter geschaffen, was für Unternehmen aller Branchen – und damit auch für deren Kundinnen und Kunden – von entscheidender Bedeutung ist. Die Internationale Elektrotechnische Kommission (IEC) hat Sicherheitsanforderungen für medizinisch-elektrische Geräte festgelegt, um den Schutz von Patientinnen und Patienten sowie Anwenderinnen und Anwendern sicherzustellen. Und das Institut für Elektro- und Elektronikingenieure (IEEE) hat mit seinen Standards für drahtlose Netzwerke die technische Grundlage für Wi-Fi geschaffen, wodurch Geräte unterschiedlicher Hersteller nahtlos miteinander kommunizieren können. Auf ähnliche Weise können wir nun auch für Quantentechnologien Protokolle, Schnittstellen und zahlreiche technische Spezifikationen festlegen.

Bereits heute laufen vielfältige Standardisierungsprozesse auf internationaler und nationaler Ebene. ISO und IEC haben zum Beispiel Anfang 2024 das Joint Technical Committee 3 (JTC 3) gegründet, das grundlegende Standards für Quantencomputing, Quantenkommunikation und verwandte Bereiche entwickelt. Auch das IEEE, das US-amerikanische National Institute of Standards and Technology (NIST) und das Europäische Institut für Telekommunikationsnormen (ETSI) arbeiten an Normen zu Post-Quantum-Kryptografie, Interoperabilität, Sicherheit und Leistungsbenchmarks.

Gasser: „Wir empfehlen die Einführung eines zertifizierbaren Qualitätsmanagementsystems (QMS) für Quantentechnologien. Dieses würde nicht nur technische Aspekte wie Stabilität oder Sicherheit berücksichtigen, sondern auch rechtliche, ethische und damit gesellschaftsrelevante Aspekte systematisch in Entwicklung und Betrieb integrieren. Zertifiziert wird dabei nicht das einzelne Produkt, sondern das Managementsystem des Unternehmens – ähnlich wie derzeit in der Medizintechnik. Solche Zertifikate könnten von unabhängigen, akkreditierten Stellen wie dem TÜV vergeben werden, sobald ein Standard definiert ist. Damit würde ein vertrauenswürdiger Rahmen geschaffen, der Qualität, Transparenz und Verantwortlichkeit sicherstellt.“

Die Standardsetzung sei zwar kein klassisch-demokratischer Prozess wie etwa parlamentarische Gesetzgebung. Dennoch ist sie kein abgeschottetes Expertensystem. Internationale Standardisierungsorganisationen bringen oft verschiedene Akteurinnen und Akteure zusammen – darunter Unternehmen, zivilgesellschaftliche Gruppen, Forschungsinstitute und Behörden. In nationalen Gremien, die die internationale Arbeit mitgestalten, sind unterschiedliche Interessenvertretungen oft noch stärker eingebunden. Zudem würden bei der Ausarbeitung vieler Standards heute nicht nur technische Fragen behandelt, sondern zunehmend auch ethische, soziale und rechtliche Aspekte berücksichtigt – etwa in Bereichen wie Datenschutz, Sicherheit oder Inklusion. Gerade bei Standards für Qualitätsmanagementsysteme sind gesellschaftliche Werte, Risiken und Rechte integraler Bestandteil.

Gleichzeitig gibt es berechtigte Kritik, räumt Gasser ein: Manche Standardisierungsprozesse seien von wirtschaftlich mächtigen Akteurinnen und Akteuren dominiert, und gesellschaftliche Perspektiven sind nicht gleichwertig vertreten. Diese Defizite seien jedoch bekannt und würden zunehmend thematisiert – etwa in aktuellen Debatten zur Entwicklung von KI-Standards in Europa, wo bewusst versucht wird, zivilgesellschaftliche Stimmen und Grundrechtsfragen stärker einzubeziehen. [TUM / dre]

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