Turbulenzen bei der Sternbildung
Computersimulation zeigt Rolle von Turbulenzen in interstellaren Gaswolken.
Aufwändige und in diesem Umfang bis dahin noch nicht realisierte Computersimulationen zur Turbulenz in interstellaren Gas- und Molekülwolken haben wichtige neue Erkenntnisse zu der Frage gebracht, welche Rolle sie bei der Entstehung von Sternen spielt. Die Ergebnisse der Berechnungen lassen erstmals Rückschlüsse darauf zu, wie der Übergang dieser turbulenten Bewegungen vom Überschall- in den Unterschallbereich erfolgt. Die Arbeiten eines internationalen Forscherteams wurden unter Leitung von Wissenschaftlern des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg sowie der Australian National University in Canberra durchgeführt. Die Simulationen fanden am Leibniz-Rechenzentrum der Bayerischen Akademie der Wissenschaften statt.
Zu den zentralen und komplexesten Fragestellungen der Astronomie gehört, wann und auf welche Weise sich aus interstellaren Gaswolken Sterne bilden. „Interstellares Gas, das etwa zehn bis fünfzehn Prozent der sichtbaren Materie in der Milchstraße ausmacht, durchsetzt den Raum zwischen den Sternen nicht gleichmäßig diffus, sondern ähnelt in seiner Verteilung aufsteigenden und turbulent wirbelnden Rauchschwaden. Gerade dieses turbulente Verhalten scheint ein Schlüssel dafür zu sein, wie interstellare Gaswolken unter ihrem eigenen Gravitationsgewicht fragmentieren und sich zusammenballen, um Sterne und Sternhaufen zu bilden“, erläutert Ralf Klessen vom Institut für Theoretische Astrophysik der Universität Heidelberg. Eine besondere Herausforderung bei der Erforschung dieser turbulenten Bewegungen ist, dass sie von großen Skalen zu immer kleineren Maßstäben kaskadieren. Sie ähneln dabei Rauchschwaden mit ihren großen sich schnell aufwärts bewegenden Wirbeln, in denen kleinere Verwirbelungen mitgerissen werden.
In den Gas-, Staub- und Molekülwolken im Raum zwischen den Sternen – zusammen auch als interstellares Medium bezeichnet – findet dieser kaskadierende Vorgang ebenfalls statt. Allerdings sind diese Wolken um viele Größenordnungen dünner als eine Rauchschwade. Bei einem solchen Kaskadenprozess nimmt die turbulente Energie hin zu kleineren Maßstäben immer weiter ab. Dies führt dazu, dass sich großräumige, meist mit Überschallgeschwindigkeit bewegende Turbulenzen irgendwann mit einer Geschwindigkeit im Unterschallbereich bewegen. Und genau dieser Übergang – die Schallskala – bestimmt die Eigenschaften dichter molekularer Wolkenkerne. Diese Skala, so die Annahme, markiert den Übergangsbereich von turbulenz-dominiertem zu schwerkraft-dominiertem Verhalten. Sobald die Schwerkraft dominiert, setzt die Sternbildung ein.
„Es gibt zwar theoretische Vorhersagen, wo diese Übergangszone liegen sollte. Aber ihre genaue Lage, Form und Breite war bislang unbekannt. Die physikalischen Vorgänge sind derart komplex, dass sie sich nur mithilfe von Computersimulationen erforschen lassen“, sagt Klessen. Im Rahmen einer internationalen Kooperation haben der Heidelberger Wissenschaftler und sein Kollege Christoph Federrath von der Australian National University die Ressourcen des Leibniz-Rechenzentrums genutzt, um in der bislang größten Simulation interstellarer Turbulenz den Übergang von Überschall- zur Unterschallturbulenz zu untersuchen. Sie bestätigten die theoretisch vorhergesagte Lage der Schallskala. Darüber hinaus war es möglich, auch die Breite und Form der Übergangszone vom Überschall- in den Unterschallbereich zu bestimmen. Der Übergang ist nicht scharf, sondern erstreckt sich über einen sehr breiten Skalenbereich. „Theoretisch definiert diese Übergangszone die Häufigkeit, mit der neue Sterne in interstellaren Gaswolken zu finden sind“, sagt Klessen. „Wir haben daher unsere Vorhersage mit Beobachtungen von Gaswolken in der Milchstraße verglichen und hervorragende Übereinstimmung mit deren statistischen Eigenschaften erhalten“, so der Heidelberger Astrophysiker. Die Simulationen liefern aus Sicht der Wissenschaftler wichtige quantitative Informationen für zukünftige turbulenzregulierte Modelle der Sternentstehung.
U. Heidelberg / JOL