12.05.2020

Turbulenzen im Blutstrom

Verwirbelungen treten viel häufiger auf als die klassische Strömungsmechanik-Theorie vorhersagt.

Können wir tatsächlich davon ausgehen, dass unser Herz das Blut so langsam durch unsere Arterien pumpt, dass ein gleichmäßiger, turbulenzfreier Blutstrom entsteht? Nun weist ein inter­nationales Forschungs­team nach, dass es in unseren Blutbahnen oft turbulenter zugeht als es für den menschlichen Körper von Vorteil wäre. Unregel­mäßigkeiten im Blutstrom fördern nachweislich Entzündungen und Funktions­störungen der inneren Schicht der Blutgefäße, dem Endothel. Entzündungen in der Endothel­zellschicht können wiederum zur Entwicklung von Arterio­sklerose führen, der Zivilisations­krankheit, die als weltweit häufigste Todes­ursache gilt. Studienleiter Duo Xu arbeitet an Strömungen seit vier Jahren am Zentrum für angewandte Raumfahrt­technologie und Mikro­gravitation (ZARM) an der Universität Bremen.

Abb.: Visua­lisierung der numerischen Simu­lation eines turbu­lenten...
Abb.: Visua­lisierung der numerischen Simu­lation eines turbu­lenten Blut­stroms. (Bild: ZARM)

„Pulsierende Strömungen durch Rohr­geometrien sind bei moderaten Geschwin­digkeiten laminar“, berichten Xu und Kollegen. So entstehen in einer Flüssigkeit keine Verwirbelungen, wenn sie ausreichend langsam durch ein Rohr gepumpt wird. Generell sind pulsierende Strömungen zwar turbulenz­anfälliger als stetig fließende Strömungen, dennoch ist man bislang davon ausgegangen, dass aufgrund der geringen Geschwin­digkeit und der hohen Viskosität des Blutes im menschlichen Kreislauf­system keine Turbulenzen entstehen. Duo Xu hingegen hat nun nachgewiesen, dass ein turbulenz­freies Strömungs­verhalten nur im Ideal­zustand immer erreicht wird.

Die zentrale Erkenntnis des Forschungs­teams ist, dass pulsierende Strömungen sehr empfindlich auf geometrische Störungen reagieren und dadurch schon bei einer niedrigeren Strömungs­geschwindigkeit turbulent werden, als es bei einem nicht-pulsierenden, konstanten Massestrom der Fall wäre. Übertragen auf den menschlichen Blutstrom heißt das, dass Verwirbelungen viel häufiger auftreten als anhand der klassischen Strömungs­mechanik-Theorie zu erwarten wäre, da in menschlichen Blutbahnen häufig Krümmungen, Uneben­heiten oder auch Verengungen etwa durch arterio­sklerotische Läsionen vorkommen.

Das Forschungs­team hat sowohl theo­retisch, anhand von Simulationen, als auch experimentell nach­gewiesen, dass Blutbahnen mit geometrischen Unregel­mäßigkeiten Turbulenzen auslösen. In den Experimenten ist deutlich sichtbar, wie in der Phase, in der sich der pulsierende Blutstrom verlangsamt, an diesen kritischen Bereichen Verwir­belungen entstehen, die sich rasch zu einer Turbulenz ausweiten. Erst durch die erneute Beschleu­nigung mit dem nächsten Herzschlag beruhigt sich die Strömung wieder: sie wird laminar. Das bedeutet, dass in nicht ideal geformten Blutgefäßen in jedem einzelnen Pulszyklus eine Störung des Blutstroms auftreten kann. 

Die Innenwand der Blutgefäße, das Endothel, reagiert sehr sensibel auf Scher­spannungen. Im Normalfall sind die Endothel­zellen auf einen gleich­mäßigen Durchfluss in eine Richtung eingestellt. Wenn nun in jedem Pulszyklus eine Turbulenz mit entsprechenden Scherspannungs­schwankungen und einer Strömungs­umkehr auftritt, kann das zelluläre Dysfunktionen auslösen, die zu einer Entzündung des Endothels und langfristig zu Arterio­sklerose führen können. Für Menschen mit kardio­vaskulären Vorerkrankungen bedeutet das Forschungs­ergebnis, dass sie durch das Auftreten von Turbulenzen an bestehenden Unebenheiten oder Verengungen in den Blutgefäßen einem erhöhten Risiko zur Entstehung oder Fort­schreitung von Arterio­sklerose ausgesetzt sind. Doch auch bei gesunden Menschen können Turbulenzen auftreten, was uns eindrücklich die hohe Komplexität und Sensibilität unseres Blutkreis­laufsystems verdeutlicht.

ZARM / JOL

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