19.01.2012

Ultimative Turbulenz

Der extrem turbulente Transport in einer Flüssigkeit bestätigte bei zwei unterschiedlichen Experimenten dasselbe Skalenverhalten.

Turbulente Strömungen sind weit verbreitet. Sie treten im Erdinneren, in den Meeren und in der Atmosphäre ebenso auf wie in der äußersten Schicht der Sonne. Mit zunehmender Turbulenz verhält sich eine Flüssigkeit zunächst immer komplizierter, doch schließlich zeigt sie ein einfacheres Verhalten: Es tritt „ultimative Turbulenz“ auf, wie jetzt zwei Experimente belegen.

Abb.: Der Rayleigh-Bénard-Behälter wird im „Göttinger U-Boot“ versenkt. (Bild: G. Ahlers, APS)

Während Forscher um Detlef Lohse an der Universität von Twente in Enschede mit der Taylor-Couette-Strömung von Wasser in den Bereich der ultimativen Turbulenz vorgestoßen sind, haben Eberhard Bodenschatz am MPI für Dynamik und Selbstorganisation in Göttingen und seine Kollegen die extrem turbulente Rayleigh-Bénard-Konvektion eines Gases erforscht. Beide Teams fanden heraus, dass der turbulente Transport von Drehimpuls bzw. von Wärme Skalengesetzen folgt, die Detlef Lohse zusammen mit Siegfried Großmann von der Universität Marburg bereits früher hergeleitet hatte.

Bei dem Taylor-Couette-Experiment in Enschede war Wasser zwischen zwei senkrecht stehende konzentrische Zylinder eingeschlossen. Während der äußere, durchsichtige Zylinder in Ruhe war, drehte sich der innere mit hoher Geschwindigkeit und riss das Wasser mit, das dabei Drehimpuls aufnahm. Ab einer bestimmten Drehgeschwindigkeit setzte Konvektion ein, und das Wasser bewegte sich vom inneren zum äußeren Zylinder. Dort gab es seinen Drehimpuls ab und kehrte zum inneren Zylinder zurück. Die Strömung der Flüssigkeit verfolgten die Forscher anhand von kleinen, im Wasser gelösten Plastikkügelchen, deren Bewegungen sie mit einer Hochgeschwindigkeitskamera aufnahmen.

Wie stark die Flüssigkeit zur Konvektion angetrieben wurde, drückten die Forscher durch die Taylor-Zahl Ta aus. Sie verhält sich proportional zum Quadrat der Winkelgeschwindigkeit des Innenzylinders. In ihrem Experiment erreichten sie enorme Ta-Werte von 3,8×109 bis 6,2×1012, bei denen die Konvektion völlig turbulent war. Das Verhalten der Flüssigkeit quantifizierten die Forscher durch zwei Messgrößen: Die Nusselt-Zahl Nu ist hier das Verhältnis des gesamten Drehimpulstransports der turbulenten Flüssigkeit zum Drehimpulstransport aufgrund ihrer Viskosität; die Reynolds-Zahl Re ist proportional zur Standardabweichung der Radialgeschwindigkeit der Flüssigkeit zwischen den beiden Zylindern.

Die Messungen ergaben, dass Re proportional zu Ta1/2 war, wie Lohse und Grossmann vorhergesagt hatten. Dabei waren sie von der Annahme ausgegangen, dass bei extremer Turbulenz die normalerweise laminaren Randschichten der Flüssigkeit, die in Kontakt mit den Zylinderoberflächen stehen, selbst turbulent werden. Ein einfaches Skalenverhalten ergaben auch die Messungen für Nu, das sich als proportional zu Ta0,38 erwies, ebenfalls in Übereinstimmung mit der Vorhersage.

Abb.: In der „ultimativ“ turbulenten Taylor-Couette-Strömung hängen Reynolds-Zahl und Taylor-Zahl auf einfache Weise zusammen. (Bild: S. G. Huisman et al., PRL)

Der Theorie zufolge sollte es für die Gültigkeit dieser Skalengesetze letztlich keine Rolle spielen, wie die ultimative Turbulenz zustande kommt. Das wurde jetzt durch das zweite Experiment bestätigt: Bei dem Rayleigh-Bénard-Experiment in Göttingen wurde gasförmiges Schwefelhexafluorid in einem zylindrischen Behälter einer Temperaturdifferenz ausgesetzt. Dazu beheizten die Forscher den Boden des Zylinders und kühlten seinen Deckel. Der Behälter befand sich unter starkem Druck in einem mehrere Meter großen Tank, dem „Göttinger U-Boot“.

Als Folge der Temperaturdifferenz kam es zur Konvektion: Das heiße Gas stieg vom Boden auf, kühlte sich am Deckel ab und sank wieder zu Boden. Ein Maß für den Antrieb dieser Rayleigh-Bénard-Konvektion ist die Rayleigh-Zahl Ra. Sie verändert sich proportional zur Temperaturdifferenz. Für Ra-Werte von einigen Tausend tritt Turbulenz auf. In ihrem Experiment erreichten die Forscher Ra-Werte zwischen 1012 und 1015. Das Verhalten des Gases beschrieben sie wiederum durch die Nusselt-Zahl Nu und die Reynolds-Zahl Re. Hier ist Nu das Verhältnis des gesamten Wärmetransports im Gas zum Wärmetransport durch Wärmeleitung, während Re proportional zu einer charakteristischen Geschwindigkeit des turbulenten Gases ist.

Für Ra-Werte oberhalb von 5×1014 erwies sich das Gas als extrem turbulent, sodass auch hier die Vorhersagen von Lohse und Grossmann eintraten: Re war proportional zu Ra1/2 und Nu war proportional zu Ra0,38. Bei solch hohen Werten für die Rayleigh-Zahl waren die normalerweise laminaren Randschichten des Gases turbulent geworden, sodass ultimative Turbulenz auftrat.

Das war allerdings nicht für Ra-Werte unterhalb von 1013 der Fall. Hier beobachtete die Forscher zwar auch Turbulenz und ein einfaches Skalenverhalten für Nu und Re, doch die Exponenten hatten nicht die „ultimativen“ Werte 1/2 und 0,38. Angesichts der wichtigen Rolle, die der turbulente Transport z. B. in der Astrophysik und der Atmosphärenphysik spielt, haben die Ergebnisse der Göttinger und Enscheder Forscher weitreichende Bedeutung.

Rainer Scharf

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